Mein Club liegt in Connewitz, weit im Süden von Leipzig, das eine „besetzte“ Haus (zumindest in der Gegend).
[21.01.24 / 00:42] ✎ Mein Club liegt in Connewitz, weit im Süden von Leipzig, das eine „besetzte“ Haus (zumindest in der Gegend). Tickets gibt es nur an der Abendkasse, auch hier bin ich wieder überpünktlich und stehe kurz vor 19 Uhr vor dem Eingang des Gebäudes in dem dunklen Hinterhof. Es ist arschkalt (zum Glück trage ich noch eine olivgrüne Steppjacke drunter). Irgendwann geht die Tür auf, mit mir sind schon einige angereiste Gäste da. Eintritt bezahlen, Stempel auf die Handfläche abholen. Der Club ist kalt, die Tür zur Treppe nach oben, wo die Bands auftreten sollen, finde ich nicht gleich, wähne sie noch geschlossen. Es dauert bestimmt noch eine Stunde, bis hier alles losgeht. Zeit für ein Abendessen.
Wieder draußen auf der Straße vor dem Hinterhofeingang zu dem Club, das Ding daneben, ich dachte, das wäre mal ein veganer Burger-Laden gewesen, jetzt ist es ein kleines Restaurant (der tatsächliche Burger-Laden ist eine Straße weiter). Nicht ganz, was ich suche – quer über die Straße erblicke ich einen hell beleuchteten Döner-Imbiss. „Falafel-Teller“, der Mann am Grillspieß hat gute Laune, ich bestelle mir mein kleines Essen und nehme auf einer der Sitzbänke in dem kleinen Bistro Platz. Ich bin so froh, dass ich kein aufwendiges Make-up mehr im Gesicht trage, ich kann großflächig alles wieder mit einer weißen Papierserviette abwischen: „… mit scharfer Soße.“
Zurück in dem Club – das „Sozio-kulturell-links-autonome-Zentrum“ von Leipzig – die bunt angemalte Bude mit den vielen Plakaten von unzähligen Punk-Konzerten auf mindestens drei Etagen verteilt. Es sind mehr Leute da, ich zeige meinen Stempel unten am Eingang und schiebe mich die Treppe hoch nach oben, in dem kleinen Saal mit der noch viel kleineren Bühne. So viele gute Bands habe ich hier schon gesehen. Weiter an die Bar, den obligatorischen Club Mate bestellen? Ich probiere erst die kleinere Flasche Mate-Cola – keinen Alkohol für mich.
Nicht wenig später, die erste Band betritt die Bühne und beginnt zu spielen, diese Nacht sind alles Bands aus dem Synth-Wave-Umfeld, ich mag die junge Sängerin, sie trägt auch so einen schönen, „plüschigen“ Mantel wie ich … hätte ich eine Tochter, würde sie bestimmt genau so aussehen. Zusatzinfo: Ich bin überzeugt, ich habe eine 19-jährige Tochter irgendwo in einem Paralleluniversum, das in dem eine Entscheidung (2004) anders ausfiel und es sich so aufgesplittet hat (tatsächlich ist sie die Tochter meines Paralleluniversums-Ich). Keine Ahnung, was ich hier trinke oder welche türkis-blaue Pille ich da in dem Dönerladen eingeworfen habe, aber ich bin jetzt hier und mir geht es gut.
Nach der ersten Band erkunde ich wieder das Gebäude, die Toiletten sind eine Etage höher, unten hinter dem Eingang ist diese Nacht eine zweite Tanzfläche offen … es kommen immer mehr Leute. Wieder auf der zweiten Etage sehe ich ein Plakat für diese Nacht, unten fand ich schon die Timetable, bis zu dem Haupt-Act für mich – für das ich extra angereist bin – gegen Mitternacht, treten noch ein paar andere Bands auf. Schön, dass ich jetzt mit einem Foto des Plakats auch die Bandnamen habe, ich weiß sonst nie, welche Band tritt da jetzt eigentlich auf? Zu Schade, wenn mir eine gefällt und ich den Namen gar nicht kenne. Dicht daneben sehe ich noch ein anderes Plakat: Mist! Es gab doch wieder eine Party den 30.12. – ich hätte nicht unbedingt wieder mich für mein „Anti-Silvester“ isoliert zu Hause einschließen müssen. Die schwere Tür neben mir wieder zurück in den Saal mit der Bühne.
Die nächste Band, ein betagter Herr, die Musik gefällt mir, tanzbar, Wave, Synthesizer. Um mich herum die anderen Menschen finden die Musik auch gut. Es wird langsam eng zum Tanzen. Die nächste Band, meine Steppjacke liegt eingerollt in meiner Handtasche, meinen Mantel kann ich über meinen Arm hängen, von diesen beiden Künstlern kenne ich nur einen, im Auto höre ich mir manchmal den Sampler eines Plattenlabels an, die etwas von ihm veröffentlicht haben. Leider ist er diesen Abend nicht da, sein Partner entschuldigt sich und liefert eine für mich interessante Performance: die natürliche Evolution, nach Italo-Disco kommt Italo-House! Es war nur eine Frage der Zeit, bis die schwarze Gothic-Szene auch diese Stilrichtung elektronischer Musik aufsaugt und sie in etwas neues und düsteres umwandelt. Gefällt mir (als hätte ich nicht denselben Gedanken gehabt, was ich mit meinen Synthesizern als nächstes anstellen könnte).
Zwischen den Bands, die Treppe hoch zur Toilette … mein Atem kondensiert, es muss auch hier kalt sein, geheizt wird nur unten, wo die vielen Menschen sind. Meistens gehe ich kurz raus, frische Luft atmen (es ist ein Raucherclub), aber diese Nacht ist anders: kurz vor Mitternacht herrscht unten an der Abendkasse Einlasstopp, ich kann meinen Mantel gleich wieder ausziehen und wieder umdrehen … zu viele Menschen. Oben die nächste Band, viel bekomme ich nicht mit, ich werde weiter nach hinten gedrückt und stehe schon fast mit meinem Rücken an der Bar. Eine lokale Band? Ich kann mich nicht einstimmen, sie fängt mich nicht. Ich schiebe mich zwischen den Menschen wieder nach draußen, die Treppe runter zu der anderen kleinen Tanzfläche. Endlich weniger Menschen, ein paar Songs zu der aufgelegten Musik des DJs tanzen. Vertraute Musik, sie laufen bei mir auch das Autoradio hoch und runter.
Gefühlt kurz nach Mitternacht, wieder hoch zu dem Haupt-Act, für das ich hierher gekommen bin. Ich habe ihn schon ein paar mal live gesehen, kenne seine Musik. Äußerst tanzbar, elektronisches Zeug. Ich sichere mir einen Stehplatz in der Mitte vor der Bühne, will nicht wieder nach hinten weitergereicht werden. Egal, ob ich nur wenige Zentimeter zum Tanzen habe, egal, ob es zu so viel (unfreiwilligen) Körperkontakt kommt, ich angerempelt und geschubst werde – ich will ihn sehen! Ich kann in seiner Musik mitgehen, die Augen schließen, alles um mich herum vergessen. Es wird ein langes Konzert, er gibt mehrere Zugaben? Er spielt sein Set durch – ohne Pause.
An der Deckendekoration erkenne ich, wie ich mich durch den Raum und die Massen bewegt haben muss, nach dem letzten Auftritt wird es etwas lockerer – aber es sind immer noch genug Menschen da. Menschen. So viele Menschen. Ein zweites Getränk an der Bar, die Club-Mate-Flaschen, die ich verschließen kann. Tanzen, die ganze Nacht, so weit der Plan. Ich bin unten auf der kleinen Tanzfläche, irgendwo gegen 2:30 Uhr soll hier noch ein Live-Techno-Set kommen. Gerüchteweise. Es bleibt kaum Platz zum Tanzen. Die DJane legt wirklich gute Sachen auf – anders als oben, geht sie mehr in die Punk-Richtung.
Wenig später, das Set mit den harten, elektronischen Beats … live gespielt? Der Künstler überzeugt mich. Ich wünschte, ich könnte mich in Trance fallen lassen – aber es ist so eng auf der kleinen Tanzfläche! Und die da neben mir quatschen die ganze Zeit und übertreffen noch mehr die Lautstärke! Furchtbar! Ich stehe an der Wand, ich drehe mich zur Wand, suche in dem Lichtgewitter meinen Schatten. Wenigstens gegen Ende des Sets kann ich mich woanders vor der kleinen Bühne positionieren und noch einmal einen Versuch wagen, meiner Realität zu entkommen. Harte, industrialisierte Beats.
Weiter die Nacht, ich bin wieder oben auf der Tanzfläche. Die DJs sind bis fünf Uhr morgens geplant. Es ist vier Uhr nochwas und der letzte DJ legt sein Set auf. Ich bin immer noch meine wenigen Schritte tanzen, meine Handtasche und mein Mantel liegen nie mehr als ein oder zwei Meter von mir entfernt irgendwo am Rande an einer Mauer des Clubs, mal auf einer Bank, mal in einer Ecke. Wie lange bleibe ich hier noch? Gerechnet: wenn ich zwölf Uhr mittags wieder aus dem Hotel raus sein muss, bis elf Uhr schlafe, mit fünf Stunden Schönheitsschlaf … sechs Uhr mein Make-up entfernt habe und ins Bett falle – reicht es aus, wenn ich um fünf Uhr hier verschwinde. Irgendwo gegen halb fünf den Sonntag Morgen, der DJ spielt mal einen langsamen Song an … Zeit runterzukommen und so langsam zu gehen.
Unten an der verlassenen Abendkasse, ich streife meine Steppjacke und meinen Mantel wieder an. Zurück nach draußen in die winterliche Kälte dieser eisigen Januarnacht. Zurück zu meinem geparkten Auto. Zurück ins Hotel. Ein Fuchs überquert die Straße … oder war das schon bei der Hinfahrt?
Zurück im Hotelzimmer, es dauert immer eine ganze Weile, bis ich das Badezimmer abgeschminkt verlasse. Ich lege alles bereit für den Morgen nach dem Aufwachen, gezielt um am wenigsten Zeit zu benötigen und am längsten zu schlafen bis zu dem Hotel-Check-out. Auch diesen Sonntag Mittag (nach weiteren fünf Stunden Schlaf) verläuft alles nach Plan. Nur kennengelernt habe ich die Nacht niemanden. Wurde ich angesprochen? Verträumt an der Toilette wartend: „Rück mal einen Stück nach vorne!“ Auf Gothic-Partys geht nie etwas, alle meine Liebhaber, für kurze Momente, habe ich auf queeren Partys kennengelernt.
Sonntag spät nach Mittag, die Leipziger Innenstadt, mein Auto steht im Parkhaus am Bahnhof. Ich will in der Innenstadt dieses eine Bistro ausprobieren, in dem man (frau) gut frühstücken kann. Es ist tatsächlich gut (auch wenn es keine Croissants gibt), aber für fast 20 Euro wird es vielleicht nicht doch etwas, was ich in ein paar Monaten, Pfingsten zum Gothic-Wochenende, jeden Tag mir leisten kann. Weiter zum Hauptbahnhof. Bevor ich Leipzig wieder verlasse, zieht es mich den Sonntag zu den offenen Boutiquen in der Bahnhofspassage, eine nicht näher genannte Kette, überall zu finden in Deutschland, für günstigen Modeschmuck. Nach dem günstigen Mittagessen bei dem Buffet-Inder, verliere ich mich in den Auslagen billigen Silberschmucks … mehr oder weniger billig, ich greife gezielt zu den 925er Sterling-Silber Ohrklemmen mit den Zirkonia-Steinen, meine letzte Ohrklemme aus der Drogerie habe ich leider letztes Jahr in dem Hostel liegengelassen, jetzt sind wieder zwei neu in meinem Bestand. Ich ziehe meine Karte über das Bezahlterminal und mache mich weiter auf den Weg zum Durchgang zum Parkhaus. Zurück zu meinem Auto. Zurück auf die Autobahn. Wenigstens mal wieder eine Nacht ausgegangen. (Ende Teil 2/2)