Der Sonntag, wieder zwei Brötchen (vom Vortag) und einen Kaffee an meinem Klapptisch ...
[09.06.20 / 19:27] ✎ Der Sonntag, wieder zwei Brötchen (vom Vortag) und einen Kaffee an meinem Klapptisch ... hätte ich nicht noch extra die Isomatte aus billigen Schaumstoff dazugekauft, hätte ich die Nächte wohl kaum auf dem harten Fußboden schlafen können. Für diesen Tag nehme ich mir das Bad vor, gründlich zu reinigen. Doch zuerst, gegen Mittag, zwei Stück Kuchen kaufen bei dem Sonntagsbäcker um die Ecke: "Was ist in dem Bauernkuchen? Ah ... Mohn, Früchte, alles gemischt (für Unentschlossene). Das und noch ein Stück Eierschecke!" Wenn schon Sachsen, dann richtig.
Das Bad ... schaffe ich es innerhalb einer Stunde? So wie die Putzkolonnen in den Hotels? Ich weiß mittlerweile, daß Punkt 13 Uhr eine ganz große Demo in der Innenstadt von Leipzig startet. Während ich den ganzen Nachmittag in meinem Badezimmer festsitze und jede kleinste Ecke penibel reinige, gehen mir haufenweise Gründe durch den Kopf, warum ich eben nicht an einer Anti-Rassismus-Demo teilnehme. [Anm. der Verfasserin: Wie voll es da wirklich wurde, lese ich den Abend später auf Twitter.]
"Nach mir die Sintflut!" Irgendwann muß ich beim Putzen ein Ende finden, ich kann nicht alles klinisch sauber reinigen, die Ecken sind immer noch auffällig und die Kalkspuren in der Duschkabine bekomme ich nie vollkommen weg ... das sieht auch später keiner. Sollte irgend jemand hier wirklich wieder einziehen, macht derjenige sowieso noch einmal alles sauber. Ich setze den späten Nachmittag mein Kännchen schwarzen Ceylon Tee auf und genieße meine zwei Stück Kuchen. Die Küchenecke muß noch gereinigt werden. Und dann ist da noch dieser eine, kleine Schrank mit den zwei Schubfächern als Kommode ... das einzige Möbelstück, das noch nicht verschwunden ist. Es gehört meinem Ex-Freund.
Die Küchenecke, nachdem ich das Geschirr und alle Pfannen und Töpfe ein paar Wochen zuvor schon wegtransportieren konnte, sind jetzt nur noch eine Ansammlung von Tee- und Kaffeedosen, Tee- und Kaffeetassen und dem Wasserkocher (also eine reine "Tee- und Kaffeeküche") in der Ecke vorhanden. Alles in eine Klappbox packen, die Herdplatte und die Spüle reinigen und ich bin schneller als erwartet (also zwei Stunden?) fertig. Essen gehen.
Das Auto bleibt stehen, die Straßenbahn will ich nicht benutzen, das indische Restaurant um die Ecke bei dem Kuchenbäcker gegenüber bietet sich an. Auch hier bestelle ich den Abend mein komplettes Menü (die gemischte Grillplatte für Unentschlossene) an einem Tisch im Außenbereich ... für die Toilettenbenutzung muß ich das Restaurant betreten und mein Tuch über das Gesicht ziehen. Leider habe ich für das Trinkgeld nur haufenweise Cent-Münzen in meiner Tasche und muß lange suchen, bis ich ein paar größere Münzen finde für einen spärlichen Kleinstbetrag. Zu Fuß zurück zu meiner Wohnung ... auch hier, wie den Abend zuvor, wieder in der Dämmerung.
Wenn du deinen Schrank nicht bis Sonnenuntergang abgeholt hast, fliegt er raus! Fast schon befriedigend schraube ich das kleine Schränkchen erst auseinander und breche dann die einzelnen Spanholzstücke, die genagelt wurden, heraus: Deinen Schrank gibt es jetzt nicht mehr. Auf alle meiner letzten Nachrichten am Telefon hat er nicht geantwortet ... bis auf eine. Er ist jetzt obdachlos, alkohol- und drogenabhängig. Die Rechnungen des Mobiltelefonanbieters konnte er schon vor ein oder zwei Jahren nicht mehr bezahlen, ohne Geld kein Prepaid-Guthaben ... und auch keine Antwort. Nur diese eine: Er wollte mich vor meinem Auszug noch einmal sehen, vielleicht etwas klären, einen Abschluß finden. Im Dunkeln der Nacht trage ich die Einzelteile seines Schrankes zur großen Mülltonne im Hinterhof des Mietshauses - und werfe sie krachend hinein. Noch eine letzte Nacht schlafen in meiner Wohnung.
Der Montag. Ich bin den Morgen eine Stunde früher wach, als eingestellt am Wecker. Die Küche bleibt so sauber, wie sie ist (nur Brötchen und eine Flasche Wasser), die Dusche muß ich benutzen ... nackt wische ich zum Schluß noch einmal alles mit dem Kalkreiniger ab.
Das Auto holen, das ganze Zeug runterbringen und einladen. Die Badvorleger, den Abtreter, die Klappbox mit dem Geschirr und das Küchenregal. Die Mülleimer (3x bzw. 4x für vorbildliche Mülltrennung) und alles, was noch an Kleidern, an Bügeln irgendwo in meiner Wohnung herumhängt ... mein kleines Auto ist jetzt schon voll, und es fehlt noch der Klapptisch mit dem weißen Tischdeckchen und der Klappstuhl, sowie die ganze Campingausrüstung (Isomatte, Luftmatratze, Schlafsack). Wer hätte gedacht, daß in einer an sich leeren Wohnung noch so viel herumsteht?

Der Übergabetermin ist um 11 Uhr, jetzt bin ich froh, eine Stunde früher aufgewacht zu sein. Seit Tagen, eher seit Wochen, schwebt in meinen Gedanken das Bild des Abschlußrituals: In der leergeräumten Wohnung muß noch ein Räucherstäbchen angezündet werden! Ich kann sonst nicht loslassen. 10:30 Uhr, ich entflamme das mitgebrachte Räucherstäbchen und setze es in den Halter in die Mitte des Raumes ... es ist nicht der energetische Mittelpunkt, dieser liegt einen Meter weiter zum Innenbereich hin, an der Stelle, an der ich auch meine morgendlichen Tai-Chi-Übungen gemacht habe. Alle Fenster sind weit geöffnet.
10:55 Uhr, es klingelt unten an der Tür, ich lasse die Mitarbeiterin der Hausverwaltung durch die Wohnungstür ... das Räucherstäbchen ist noch nicht ganz heruntergebrannt. "Aber ich habe doch noch fünf Minuten!" Mein ganzer Krempel, der Tisch und der Stuhl, sind noch da. Vor der Wohnungstür im Treppenhaus steht noch das alles, was ich noch nicht bis runter geschafft habe. Sie schaut sich die Wohnung an ... alles sauber ... keine größeren Schäden (ich deute auch nicht auf die Stellen im Laminat, die ich nachweislich zerkratzt habe). Ich kehre die Asche des heruntergebrannten Räucherstäbchens zusammen ... das mit der Wohnungsübergabe kommt jetzt doch irgendwie so plötzlich.
Schlüsselübergabe, alle fein sortiert, das Protokoll unterschreiben, den Rest von meinem Kram vor die Tür in das Treppenhaus stellen - und ich bin draußen, die Tür ist zu. Sie macht noch Fotos von innen und kommt dann auch mit raus. Hinunter in den Keller, ich brauche noch den Zählerstand für den Strom, sie auch. Und dann stehe ich wenig später wieder oben alleine vor meiner Wohnungstür, zwischen meinem ganzen ausgeräumten, verbliebenen Hausrat. "Mach's gut Wohnung!" Ich laufe noch ein paar mal die Treppe hoch und runter, trage meinen ganzen Kram raus zum Auto bzw. vor dem Hauseingang ... ein letztes Mal noch meine Hand von außen gegen die verschlossene Wohnungstür. Ich unterdrücke meine Tränen ... jetzt beginnt etwas Neues.
Es ist nicht 'Wohnung', wenn die Tür verschlossen ist.
Zurück zum Auto, die Tetris-Melodie summend, räume ich erst alles wieder aus und dann wieder effizient ein, stapel alles auf Höhe des Armaturenbretts, nutze jeden kleinsten Zentimeter (die Isomatte liegt fast auf den Armaturenbrett). Der Kofferraum ist bis oben voll, mein "Klapp-Ensemble" teilt sich mit dem Rucksack und dem ganzen anderen Kram den Beifahrersitz. Etwa eine dreiviertel Stunde später bin ich bereit für die Abfahrt, ich starte den Motor um 12:30 Uhr, zurück auf der Autobahn zu meinem Erstwohnsitz* - "Buddha" (der Daibutsu aus Kamakura) fährt als Beifahrer mit, das kleine Poster von der Badezimmertür steckt jetzt vor der Kopfstütze und über dem Gepäck auf dem Beifahrersitz.
(* Irgendwo im Nirgendwo, ich könnte jetzt von meinem Dachbodenverschlag in die Wohnung darunter ziehen. Ist zwar mietfrei aber ... ich kann mir nicht vorstellen, hier "Männerbesuch" zu empfangen. Da war meine jetzt alte Wohnung in Leipzig viel praktischer: "Don't look for me, I don't live in Leipzig anymore.") (Ende Teil 2/2)