Freitag Abend - ein Punk-Konzert in Connewitz, die Band mit den deutschen Texten, bei der ich noch nie so hundert Prozent textsicher war.
[06.01.20 / 00:48] ✎ Freitag Abend - ein Punk-Konzert in Connewitz, die Band mit den deutschen Texten, bei der ich noch nie so hundert Prozent textsicher war. Ich stehe in der kleinen Halle des Werk 2 wie gewohnt in der rechten Ecke vor der Bühne. Die Halle ist voll, links von mir die Pogo-Masse (mit zwei Reihen Puffer). Die Band spielt ein paar Stücke von ihrem neuen Album und als Zugabe die alten "Klassiker" aus Ende der 80er und Anfang/Mitte der 90er ... ob sie ihre eigenen Auftritte zählen? Ich habe jedenfalls nicht mitgezählt, wie oft ich diese Band schon live gesehen habe - seit Mitte der 2000er bin ich dabei.
Nach dem Konzert zum Merchandising-Stand, es dauert noch 10 oder 20 Minuten, bis der Sänger der Band die Platten verkauft, ich kaufe währenddessen die kleine Split-Single der Vorband. Als er endlich auftaucht, bildet sich eine große Menschentraube vor dem Stand, viele Autogrammjäger, alte Fans, persönlicher Kontakt. Ab und zu kann ich schon mal einen Blick auf die ausgelegten Alben werfen, das eine, das ich für meine Sammlung noch suche, ist nicht mit dabei - dafür aber die allererste Platte von 1988 als Neupressung auf Vinyl und auf CD. Es dauert noch eine ganze Weile - die Security bittet die Gäste (und mich) schon zu gehen - bis ich auch ganz vorne an den Stand gelange und endlich das fehlende Erstalbum für meine Sammlung kaufen kann ... bestimmt das mit den alten Punk-Krachern.
23:30 Uhr vor Mitternacht, ein Blick auf mein Telefon - mein Kontakt nach Malta hat mir eine Nachricht geschrieben und fragt nach einem spontanen Treffen: "Klar!" Es folgt ein Austausch von Ortsangaben und Vorschlägen für die Nacht, während ich meinen Mantel von der Garderobe abgeholt habe und an der Bar kurz vor dem Ausgang anziehe, mein Telefon auf dem Tresen. Sein Standpunkt ist irgendwo in der Innenstadt, er erwartet mich in 20 Minuten ... das müßte ich mit dem Auto schaffen.
Die Adresse erreiche ich ... aber einen Parkplatz finde ich nicht. Auf der gegenüberliegenden Seite ist einer, aber der ist durch die Straßenbahngleise von mir getrennt. Ich fahre weiter geradeaus, in der Hoffnung auf eine Parklücke ... und noch weiter geradeaus. Ich biege ab - wo bin ich hier überhaupt? Auf einer großen Straße erkenne ich, das ist schon ein ganz anderes Viertel von Leipzig. Das Navigationssystem hat sich in den Stand-by-Modus versetzt, ich starte es an einer Ampel erneut und kurve wieder durch die Innenstadt zurück ... bis ich erneut an der Zieladresse vorbeifahre. Harte Wendung, quer über die Straße, über die Gleise (kein Gleisbett) und in die Parklücke auf der anderen Seite. Ich bin mindestens 15 Minuten zu spät (im Nachhinein betrachtet, hat er wohl hier auf die letzte Straßenbahn gewartet), ich steige aus und suche nach der Hausnummer.
Er begegnet mir ein paar Minuten später und erzählt mir, daß er hier gar nicht wohnt (jetzt ergibt das mit der Straßenbahn auch einen Sinn), seine Wohnung ist irgendwo außerhalb des Zentrums. Er fragt an, ob wir was zusammen in meinem Auto machen wollen. "Nein", das ist zu klein, zu eng ... und ich bin auch gar nicht für irgend etwas in diese Richtung vorbereitet - ich habe meine Beine nicht fertig rasieren können, kein Gleitgel in der Handtasche und weder er noch ich (ich sowieso nicht) haben Kondome dabei. 0:40 Uhr nach Mitternacht (in der Nähe steht eine dieser großen Uhren), es ist saukalt, ich schiebe meinen Schal vor das Kinn, meine Hände tief in den Taschen meines schwarzen Wollmantels. "Laß uns morgen treffen, 22 Uhr? Die Bar in der Innenstadt am Marktplatz? Ich lade dich ein!" Ich stimme ihm zu, das paßt mir auch viel besser. Er geht zu der Straßenbahnhaltestelle, ich zu meinem Auto auf der anderen Straßenseite. Zurück zu meiner Wohnung.
Sonnabend Mittag, ich stehe auf, Frühstück, Brötchen von gestern und eine Flasche Wasser. Gegen Nachmittag fange ich an, mir meine Beine fertig zu rasieren, die Achselhöhlen ("German women don't shave their armpits!") und die anderen Stellen ... wo Frauen in natura behaart sind (die nie ein Mann so sieht). Bevor die Sonne untergeht, will ich mein Badezimmer auch noch gründlich durchwischen (schon allein wegen den ganzen Haarstoppeln, ich rasiere trocken) - damit ich, wenn ich dann Besuch habe, sagen kann: "Bei mir ist es aber nicht so sauber, ich hatte da jetzt keine Zeit für." Heißt übersetzt von Frau zu Mann: Ich habe wie verrückt alles klinisch sauber gewischt, wenn dir doch etwas auffällt, dann ist das nicht mein Problem.
19 Uhr nochwas, Zeit mich ausgehfertig zu machen. Eine Dusche, das Parfüm, die neue Gesichtscreme ... und ich rasiere weiter. Meine Augenbrauen - jetzt bloß den Schlußpunkt finden, sonst sind sie ganz weg (und ich muß sie mir mit Kajal neu aufmalen). Ich versuche sie auszudünnen, den natürlichen Schwung beizubehalten, keine "Mono-Braue". Mit schwarzen Kajal und Mascara kommen meine grünen Augen noch besser zur Geltung. Ich will umwerfend schön aussehen, wenn ich ihn diesen Abend in der Bar treffe.
Meine Klamottenwahl - die letzte Nacht hatte ich noch die schwarze Jeans im Straight-Cut und die flachen Stiefeletten für den Winter - diese Nacht wähle ich wieder die anthrazitgraue Strech-Jeans und die 3/4-Stiefel (mit Nietenband). Mein neuer, schwarzer "Schlamperpullover", ultrabequem und mit Rollkragen (und hinten nicht ganz so lang, in Kastenform, damit jeder, wenn ich auf dem Barhocker sitze, meinen Nietengürtel aufblitzen sieht). Fertig angezogen, packe ich meine Handtasche - genug Bargeld (damit es für ein Taxi zurück reicht, ich könnte ja Alkohol trinken), ein paar Make-up-Utensilien, den Kamm, den kleinen Spiegel, Tempos ... und die Tube Gleitcreme. Schon vor dem Badezimmerspiegel: "Ich will heute Nacht flachgelegt werden!"
20 Uhr nochwas, zu Fuß in der dunklen Kälte zur Straßenbahnhaltestelle in der Nähe meiner Wohnung und weiter die Kurzstrecke, vier Stationen, zum Hauptbahnhof ... erst mal etwas Essen gehen. Das erste italienische Restaurant in der Straße zwischen Bahnhof und Fußgängerzone hat wahrscheinlich dicht gemacht oder hat sich nicht rentiert - die drei anderen alteingesessenen Italiener sind aber immer noch da. Ich wähle das, in dem ich zuletzt nicht gegessen habe - um alle drei gleich zu behandeln. Ich habe Appetit auf Pasta: "Ein Tisch für eine Person, Bruschetta als Vorspeise und ... die überbackenen Penne-Nudeln." Eine ausgezeichnete Wahl, allein die riesigen Knoblauchstücke in dem mir kurze Zeit später servierten Auflauf: Da mußt du jetzt durch! Du kommst aus Malta, dir ist das bestimmt nicht fremd. Der Auflauf hat etwas sizilianisches mit den schwarzen Oliven und den Kapern, das muß ich mir für mein nächstes Rezept merken.
Kurz nach 22 Uhr erreiche ich dann die beliebte Bar am Marktplatz in der Innenstadt von Leipzig. Die Bar ist voll, ich finde nicht mal einen freien Hocker vor dem Tresen - ich bestelle dennoch meine erste Cola und beobachte die Gäste. Ist er schon hier? Kommt er noch? Blick auf das Telefon ... keine Nachricht. Eine Stunde später, die zweite Cola, ein Barhocker wird endlich frei. Ich setze mich an den Tresen (an den ich mich bis dahin gelehnt habe, meinen Mantel und meine Tasche im Arm), aber so langsam wird mir bewußt: Ich glaube, er kommt nicht mehr. Die "arabische Stunde" (oder italienische, oder maltesische) ist schon längst vorbei, ich ziehe mein Telefon erneut aus der Handtasche ... eine Nachricht? Er fragt, wo ich bin und ob ich alleine in der Bar bin.
Die nächste Stunde lasse ich mein Telefon keinen einzigen Augenblick aus den Augen, achte darauf, ob der schwarze Bildschirm endlich aufleuchtet und mir eine Nachricht von ihm anzeigt. "Und wo bist du? Unterwegs?" Er antwortet mir darauf nicht ... noch so ein Kerl. Es ist kurz nach Mitternacht und ich wechsele von der Cola auf koffeinfreies Mineralwasser. Auf meine Arme gebeugt, meinen Kopf abstützend, hänge ich vor meinem Telefon an der Bartheke, die Bar selbst wird spürbar leerer. Einer der gehenden Gäste zwickt mich in die Seite: War er es? Nein, ich drehe mich um, von wo das kam, kann ich auch nicht mehr orten.
Ich sitze weiter auf meinem Barhocker ... 1 Uhr nach Mitternacht, eine Straßenbahn fährt jetzt bestimmt nicht mehr. "Alle Männer sind Arschlöcher!" Es hat 20 Begegnungen bei mir gebraucht, um zu diesen Gedanken zu kommen. Er taucht hier bestimmt nicht mehr auf, nach drei Stunden Warten bezahle ich meine Rechnung und gehe. Meinen Schal wickele ich noch einmal ganz dick um meinen Hals, doch die paar Meter quer über den Marktplatz zu dem Taxistand um die Ecke sind doch nicht so kalt wie erwartet. Ich steige in ein bereitstehendes Taxi und lasse mich zu meiner Wohnadresse fahren. Der Taxifahrer ist so flott unterwegs, daß der Endpreis unter die 10-Euro-Marke fällt - angekommen vor dem Mietshaus ziehe ich ein 2-Euro-Stück als Trinkgeld aus meiner Geldbörse. Zurück in meiner Wohnung ... alleine, doch niemanden mitgebracht.
Meine Sachen ausziehen, meinen Mantel, meinen Schal, den Silberschmuck ablegen. Ein Blick in meine Spiegel an den Schranktüren - in meiner Vorstellung saß da eine heiße Blondine einsam an der Bar und hat auf einen Liebhaber gewartet, der sie am Ende versetzt hat ... in Wirklichkeit saß da nur eine potthäßliche Transe, ein Männerschreck. Zurück ins Bad, Make-up entfernen, das schwarze Zeug aus meinen Augen wischen, ein extra großes Stück Antidepressiva von der Tablette abschneiden (ich wollte eigentlich von dem Zeug runterkommen) und mich in mein Bett legen. Lange liege ich nicht wach.
Sonntag, noch später Vormittag, eine Dusche nehmen und mich halbwegs ansehlich straßenfertig machen. Zu Fuß zu der Ecke mit dem Sonntagscafé, zwei Stück Kuchen für mich kaufen ... und Brötchen für Frühstück. Zurück in meiner Wohnung setze ich den arabischen Kaffee auf ... ein klares Bild kann ich in der ausgetrunken Tasse im Kaffeesatz nicht erkennen, nur eine Vielzahl Dämonen und Chaos. Die nächsten zwei Stunden sitze ich an meinen Laptop an der Minibar. Mein Ex-Freund (nach der letzten, kurzen Liaison mit dem Biker, eigentlich mein "Ex-Ex-Freund", in Zählrichtung) hat mir eine Nachricht geschrieben - ich hatte ihn vor ein paar Tagen wieder kontaktiert. Von allen Arschlöchern ist er vielleicht der Einzige, der wenigstens etwas, ein kleines bißchen, für mich empfunden hat. Er kommt vielleicht den späten Nachmittag wieder vorbei. "Don't expect too much", ich bin nicht ganz so in der Stimmung.
Später den Nachmittag, kurz vor halb Sechs, die zwei Stück Kuchen sind schon längst weg, zusammen mit einem Kännchen schwarzen Ceylon, dann eine weitere Nachricht von ihm ... er deutet an, doch nicht vorbeikommen zu wollen. Vielleicht das nächste Wochenende, vielleicht bin ich dann in besserer Stimmung ... oder vielleicht doch noch heute? Dann aber nur ganz kurz? Ein kurzer Nachrichtenaustausch, ich brauche mehr Zeit mit ihm, will über vergangene Dinge reden (also speziell unsere letzte, fatale Begegnung) und außerdem habe ich da unten gerade so eine (Pilz-)Infektion, die ich nicht in den Griff bekomme. Spätestens jetzt verschiebt er definitiv unser Treffen auf das kommende Wochenende ... irgend etwas mache ich falsch.