Sonnabend Mittag, meine Shakshuka ist mir mißlungen, zu wenig Chili, zu wenig arabische Gewürze, zu früh vom Herd genommen ...
[09.06.19 / 15:24] ✎ Sonnabend Mittag, meine Shakshuka ist mir mißlungen, zu wenig Chili, zu wenig arabische Gewürze, zu früh vom Herd genommen ... aber die Rührei-Tomaten-Paprika-Mischung schmeckt immer noch. Den ganzen Nachmittag vertrödele ich damit, ein Statusbildchen von meinen lackierten Fingernägeln und dem Festivalbändchen am Handgelenk für die sozialen Netzwerke auf meinem Smartphone zu machen. Erst den Abend widme ich mich meinem nächsten Kochrezept ... Pilzpfanne mit Kurkumareis? Oder Spanische Paella mit gelben Reis und Meeresfrüchten? Alles was ich in der Kaufhalle finden konnte, ist eine Packung Tigergarnelen, gekocht und geschält.
Eine Paprikaschote (könnten auch Tomaten sein) waschen und in Würfel schneiden, parallel ein Topf mit Wasser und Reis aufsetzen, mit gelbem Kurkuma-Pulver. Knoblauchzehe zerkleinern, Olivenöl in einer Pfanne mit Chilipulver, Knoblauch andünsten, Garnelen anbraten. Die Paprikawürfel mit dazu, Salz, Pfeffer, Gewürzmischung (in meinem Fall arabisch). Den fertig gekochten, gelben Reis mit in die Pfanne und alles, unter rühren, knusprig goldgelb anbraten. Ich werfe noch ein paar kleingeschnittene Tofuwürfel mit hinein, aber damit die knusprig braun werden, hätten die wohl schon früher mit in die Pfanne gemußt. (Beim Thai-Imbiß muß ich mich immer zwischen Tigergarnelen oder Tofu entscheiden, kann ich nicht beides haben? Interessanterweise ist die Paprikaschote eine gezüchtete "Tigerpaprika".) Nach ein paar Minuten alles von der Pfanne auf den Teller servieren.
20:30 Uhr den Abend, der Einlaß für heute auf das Festivalgelände ist erst ab 22 Uhr, die Konzerte fangen erst nach Mitternacht an. Zeit genug, um mich ausgehfertig zu machen (und parallel der Abwasch). Die gleiche Prozedur, wie den Abend zuvor - einzige Variation: das besondere Kleid des Abends. Tag Zwei meiner Modekollektion: das britisch-viktorianisch und spanisch angehauchte schwarze Spitzenkleid, kombiniert mit meinen viktorianischen Stiefeletten (würde ich auch das berüchtigte "Picknick" zu Pfingsten in Leipzig besuchen, wäre das die richtige Kombination - kein Fantasy- oder Cosplay-Kram ... na OK, ich sehe doch irgendwie aus wie "Missy" aus "Doctor Who"). Das Kleid ist doppellagig, mit Unterkleid und Spitzenbesatz über der Brust (und den Rücken), am Bund eng und nach unten hin, bis zu den Waden, in Falten "fluffig" auseinandergehend, mit Spitzenapplikation - halblange Ärmel. In Kombination mit meinen Stiefeletten, die ich in Wien anhatte, sieht es wirklich bezaubernd aus ... leider fehlt mir hier die Nylon-Strumpfhose und ich trage wieder die Baumwoll-Leggings. Mein Silberschmuck (die Kette, die Ohrhänger, der Ring), meine Lederjacke und ich bin bereit für die Nacht - zurück zu meinem Auto.
Das Festivalgelände in Connewitz erreiche ich kurz nach 22 Uhr, ein paar Besucher sind schon da. Die kleine Halle mit der Tanzfläche ist für den heutigen Abend aufwendig in Szene gesetzt, vor der Bühne wurde mit neongelben Klebeband ein perspektivisches Gitternetz auf den Boden geklebt - ich kann gar nicht die Streifen betreten - ich muß in dem Gitternetz einen Fuß nach dem anderen sorgfältig in jedes freie Feld setzen, laufe nur entlang der Linien ... aus Spaß? Oder doch meine "autistische Wesensart". Meine Lederjacke in der Garderobe abgeben (mein Kleid wirkt für sich allein), ein Getränk an der Bar, der DJ legt die ersten Minimal-Sachen auf - und ich bin wieder zurück auf der Tanzfläche: "Glowing in the dark again..." (Einer meiner Lieblingstitel.)
Ich bin nicht allein auf der Tanzfläche, es sind schon genug Gäste da, damit es nicht so einsam aussieht. Die zwei Stunden, bis die beiden Konzertauftritte anfangen, will ich zum Tanzen benutzen.
Ich laufe zwischen den beiden Hallen auf dem Innenhof umher, eine angenehme Anzahl an Gästen, nicht zu voll, nicht zu leer. In der großen Halle mit den Verkaufsständen und der zweiten Tanzfläche (die ich wegen der Akustik meide), durchsuche ich die Plattenkisten eines Labels ... vieles davon kenne ich gar nicht, alles neue Künstler aus dem Synth / Wave Bereich der letzten fünf bis zehn Jahre.
Wieder zurück an der kleinen Halle (Getränkestop an der Bar, Toilette usw.), ich lese eine Zeitschrift aus dem Regal mit den ganzen Flyern und Veranstaltungstips ... eine Zeitschrift für angehende Azubis, soll ich nochmal bei Null anfangen? (Tatsächlich sagt mir fast kein Ausbildungsberuf zu, die mit "IT" und "Technik" überblättere ich ganz schnell, nur das mit "Medien" könnte mich interessieren.) Ich blättere die ganze Zeitschrift durch, ein Besucher fragt mich, ob das die Halle für die Konzerte ist: "Ja, aber erst nach Mitternacht ... ist es schon soweit?" Tatsächlich fängt kurz darauf der erste Solokünstler an seinem Synthesizer-Tisch auf der Bühne an zu spielen, ich schiebe die Zeitschrift wieder zurück in das Gitter der Auslage.
Der erste Solo-Musiker, ich mag seinen Stil - "Disco Noir". Zusammen mit anderen ein oder zwei Musikern, bildet er eine Band aus Berlin, deren Alben in meinem Autoradio hoch und runter laufen. Hier muß er den Gesang selbst übernehmen ... mit einem Vocoder. Ich tanze auf meinem Stammplatz schräg rechts von der Bühne, im mittleren Teil (in unmittelbarer Nähe zu den Barhockern an der Wand, auf denen ich mich sonst immer hinsetze, wenn keine Konzerte sind und nur der DJ auflegt).
Bevor der zweite Solokünstler auf der Bühne seinen Auftritt hat (der aus den Niederlanden, den habe ich in Berlin letztes Jahr live gesehen), gehe ich nochmal zu dem Plattenstand in der anderen, großen Halle. Ein Plattenspieler habe ich zwar nicht, aber ich kenne da jemanden aus der Familie, der einen besitzt und auf dem ich das Vinyl auflegen könnte. Ich krame aus der Plattenkiste die zwei Scheiben mit den Alben der beiden "Mädels" aus Frankreich, die ich vor drei Wochen live in Dresden gesehen habe. Ich bin so konzentriert mit dem Durchsuchen der vier Kisten, daß ich fast die Konzertpause zwischen den beiden Auftritten in der anderen Halle vergesse. Mit einem neuen Beutel und den zwei gekauften Schallplatten laufe ich anschließend schnell zu meinem geparkten Auto um die Ecke, lege meinen Einkauf in den Kofferraum und bin zum ersten Titel des zweiten Auftrittes für diese Nacht wieder zurück in der Konzerthalle.
Ich bin wieder am Tanzen, vor mir im Publikum knutschen ein paar Lesben ... "Voll eklig!" Ich wechsele ein paar Schritte zur Seite und rufe in meinen Gedanken wieder dieses hübsche Bild zurück, wie ich damals in Berlin in einem Club gelandet bin ... kahle Betonwände, Strobolicht, EBM, nur hoch attraktive Männer, schweißgebadet mit nacktem Oberkörper oder einem engen, sexy Unterhemd (na gut ... in meiner Erinnerung verschiebt sich das alles etwas). Der Musiker jetzt, läßt seine elektronische Musik mit den harten Beats auch in einem Strobo-Inferno untergehen (auf den Visuals auf der Beamer-Leinwand im Hintergrund laufen übrigens ein paar Szenen aus "Metropolis"). Leider keine Zugabe ... das DJ-Team fängt nach dem Auftritt mit den ersten Titeln für die Nacht an, ich krame mein Smartphone aus meiner Handtasche - 2:15 Uhr, noch mindestens eine Stunde tanzen, die gesamte Szenerie auf mich wirken lassen, die entspannte - und doch aufgeheizte, knisternde Spannung einfangen.
Ein kurzer Blick auf die Tanzfläche in der anderen, großen Halle, ich laufe an dem Merchandise-Stand der Veranstalter vorbei. Hatte ich mich vor ein paar Tagen noch darüber "echauffiert", daß in dem Satz auf dem Flyer "No homophobia, no bi-, inter-, queerphobia!" das "trans-" fehlt (oder nicht mehr in die Zeile gepaßt hat), bemerke ich erfreut, daß noch eine zweite, korrigierte Version dieses Textauszugs existiert (aufgedruckt auf einem schwarzen Beutel). Kurz zu einem Titel auf der anderen Tanzfläche tanzen (beschissene Akustik) und wieder zurück in die andere, kleine Halle ... weitertanzen - zu dem DJ-Team (das genau die Musik auflegt, die ich gerne höre).
Eine Stunde später, ich sitze auf einem Tisch (oder so etwas in der Art) am Rande der Tanzfläche - die eine Operationsnaht macht sich bemerkbar: "au... au... au...", ich schleppe mich mit jedem Schritt nach draußen. Zeit, zu gehen. Mit dem Auto zurück in meine Wohnung, neue Vlieskompressen auflegen und alles mit Iod-Salbe eincremen.