morgana81 - gothic transgender
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Beine rasieren, Duschen, Make-up auftragen, die Zwei-Farben-Lidschatten-Palette, schwarzer Mascara und Kajal, das orientalische Parfüm hinten auf den Nacken und die zwei Flecken Patchouli hinter den Ohren.

[16.09.25 / 13:23] Beine rasieren, Duschen, Make-up auftragen, die Zwei-Farben-Lidschatten-Palette, schwarzer Mascara und Kajal, das orientalische Parfüm hinten auf den Nacken und die zwei Flecken Patchouli hinter den Ohren. Die Netzstrumpfhose mit dem Blumenrankenmuster, das schwarze One-Shoulder-Kleid, die Perlenkette, der marokkanische Armreif, der andere silberne Armreif und der Ring mit dem grünen Stein. Die absatzlosen 22-Loch-Schnürstiefel und die Punker-Lederkutte. Meine kleine, schwarze Handtasche – auf dem Weg zu den S- und U-Bahn-Stationen den beginnenden Abend in Berlin sehe ich viele junge Frauen, die genau so herum laufen. Wieder meine zwei Stationen auf die Südseite vom Spreekanal, zu dem Club für das schwarze Festival. Der Weg ist schnell zu laufen, ich bin pünktlich um zwanzig Uhr für den Einlass da. Festival-Armbändchen vorzeigen, natürlich ganz in Schwarz. So viele sind noch nicht da, wird es diesen Abend auch so voll, wie den letzten Abend?

Die erste Band spielt wieder draußen auf dem Paradise-Floor, ich habe schon meine erste Flasche Wasser geholt. Die Band, die den Abend beginnt, sie ist uralt, aus der Frühzeit der Achtziger, ich habe sie zuerst vom Namen nicht erkannt … da war doch was? Sie spielen ihre Songs, die beiden Herren, den weiblichen Gesangspart muss eine viel jüngere Gastsängerin übernehmen. Und dann werden die ersten Noten ihrer alten Songs gespielt, jetzt kommt alles zurück, klar, kenne ich die. Ich bin immer noch (fast) textsicher, ich habe ihre Songs auf meinem alten Radiosender hoch und runter gespielt! Ob das jemals funktioniert hat, ob die jemals Tantiemen dafür bekommen haben? Meine vorproduzierte Radiosendung lief auf einem US-amerikanischen Streamingsender, für den ich monatlich ein paar Dollar für das Ausstrahlungsrechte-Management abdrücken musste, der Streamingsender ist dann insolvent gegangen oder wurde verkauft. Ich glaube nicht, dass die beiden deutschen Herren dafür jemals Geld bekommen haben, oder auch nur von der Existenz meines Übersee-Piratensenders erfahren haben. Ich hatte in der Spitze bis zu dreihundert Stunden Musikhörer … im Monat.

Die nächste Band, ich wechsele auf den Main-Floor … satanisch angehauchter EBM? Ritual-Black-EBM? Weihrauchschwaden in der Luft? Ich stehe bequem hinten in der Menge und betrachte die Szenerie. Gefällt mir. Und dass ich gleich neben mir an der Wand einen Haken für meine Lederjacke finde und einen schmalen Bar-Tresen für meine Tasche und meine Flasche … ich richte mich perfekt ein in meinem kleinen Wohnzimmer.

Die dritte Band später den Abend, wieder draußen auf dem Paradise-Floor, ich habe zu viel Zeit draußen verbracht, irgendjemand hat mich angesprochen und gefragt, ob ich in einer Band spiele, weil er glaubt, mich zu erkennen. Ich verneine das kurz, er geht wieder weg … er wird nicht wirklich mich meinen, ich habe zwar ein paar Songs von mir ins Internet hochgeladen, wo ich auf den Synthesizern und Drum-Computer mein „Pow-Wow“ trommele – aber das ist weit davon entfernt, irgendwie bekannt zu sein. Realistisch gesehen, mich kennt keine Sau … er muss mich verwechselt haben. Noch in Gedanken betrete ich den aus Holzwänden gezimmerten zweiten Floor draußen im Garten, weit komme ich nicht, schon am Eingang staut sich alles, die Hütte ist voll.

Bevor ich im Eingangsbereich zerquetscht werde, nur mit einem bescheidenen Blick aus den hintersten Reihen auf die Sängerin vorne auf der Bühne, versuche ich es, wieder draußen, über die Kunststoffglasfenster, aber das ist doof, hier höre ich ja nichts. Eine Flasche Wasser an der Bar … wenig später versuche ich es erneut im Eingangsbereich des Floors, jetzt mit einem halben Meter weiter und nicht mehr ganz so eng voller Menschen.

Die vierte und letzte Band, auch nur wieder eine Solokünstlerin an ihren Synthesizern. Dieses Mal stehe ich weit vorne auf einer der seitlichen Holzpodeste des Main-Floor und habe den besten Blick des gesamten Festivals auf die Bühne. Ihre Songs … ist das ihr Pronomen? Ihre Musik ist richtig gut, es gibt nur wenige, die so gut mit Synthesizern umgehen können – und ihre Stimme, operettenhaft? Auf jeden Fall trainiert. Ich spiele schon mit dem Gedanken, später am Merchandise-Stand nach einem Album von ihr zu suchen, aber so kleine Underground-Künstler haben nie das Geld, etwas in hoher Stückzahl pressen zu lassen. Ein Song kommt mir bekannt vor, den habe ich schon im Internet gehört, eines meiner YouTube-Abonnements kuratiert Playlisten der kleinen Künstler dieser noch viel kleineren Szene.

Mitternacht, alle wechseln wieder rüber von dem Main-Floor auf den Paradise-Floor draußen im Garten, der letzte Programmpunkt, keine Bands, Drag Shows! Darauf freu ich mich schon, seit ich den Flyer dieses Festivals Pfingsten bei dem anderen Festival eingesteckt habe. Die Drag Queen führt durch das viel zu kurze Programm und animiert die Gäste, auf die Frage, wer denn noch nicht auf einer Drag Show war, melden sich ganz vereinzelt, ganz wenige … vielleicht fünf. Auch dieses Mal, die Hütte ist voll, aber es besteht noch genug Platz für einen schmalen Gang durch das Publikum, durch den die Drag Queens mit viel Kontakt ihre Shows von der Bühne abseits performen können. Drei Drag Queens in aufwendigen, „gruftigen“ Kostümen – und ein Drag King! Wow … Und was für ein Kostüm! Und Make-up … so pechschwarz, so düster, so magisch. Die Posen des Drag Kings … mache ich das manchmal auch? Ich bin verwirrt und zugleich verzaubert.

Die Show ist wirklich viel zu kurz, ich hätte gerne mehr davon gesehen. Bis nach ein Uhr die Nacht sitze ich noch oben auf der Dachterrasse schräg über der Bar. Noch zwei Stunden bis drei Uhr nachts … mein Plan, bis vier Uhr im Hotel, schlafen bis zehn, Frühstück gegen elf, Check-out um zwölf. Diese zwei Stunden will ich tanzen, ich bin nicht müde.

Ich wechsele von der einen Tanzfläche auf die andere und wieder zurück auf die eine. Drinnen der Main-Floor, zu schnelle, harte Beats, draußen der Paradise-Floor, Achtziger-EBM, weniger schnell, gleich hart, das ist nicht der Club mit den Betonwänden von vor über zehn Jahren auf der anderen Seite der Spree. Tanze ich? Ich sitze auf einer Bank, es wird immer voller, ich kann hier nicht mehr sitzen. „Are you O.K., Madame?“ Ich fühle mich etwas beengt. Nach draußen Luft holen, wieder auf den Main-Floor, die dunklen Gemächer, die rot angeleuchteten Mauerwände, der ganze Nebel. Die Musik passt, ich kann mich fallen lassen, mich ganz hingeben. Ich habe den kleinen Haken an der Wand für meine Jacke wiederentdeckt, auch meine Tasche und meine Flasche Wasser stehen wieder auf dem schmalen Holzbrett. Ich tanze wie ich nur kann in meinem schwarzen One-Shoulder-Dress.

Irgendwann, es wird kühler, es ist nicht mehr so voll, Punk-Songs werden angespielt, ich ziehe meine Lederjacke über, das Tempo ist nicht mehr so schnell. Eine Toilette muss ich noch suchen, bevor ich gehe … drinnen wie draußen die Toiletten, es gibt keine Klobrille in den Kabinen. Unmengen an Klopapier, bevor ich mich irgendwo hinsetze.

Drei Uhr nachts, noch einmal der Blick runter von oben auf der Dachterrasse auf den gartenartig angelegten Innenhof mit den interessanten, schwarz gekleideten Gästen, dieser zweite Abend hat mir noch viel mehr gefallen, als der erstere … ich ziehe es in Erwägung, nächstes Jahr wiederzukommen. Alle Festivals, von denen ich Flyer habe, die sind immer irgendwo weiter weg in Deutschland, meine Gegend ist Leipzig und Berlin. Über die zwei Stationen mit U- und S-Bahn zurück zum Hotel … ab drei Uhr nachts hängen die merkwürdigen Gestalten in den U-Bahnhöfen ab.

Ich bin schon wieder vor dem Wecker wach, wenigstens 9:30 Uhr, nicht zehn Uhr. Nach Abschminken im Hotelbadezimmer und ins Bett fallen gegen vier Uhr, wieder nur fünfeinhalb Stunden Schlaf. Opulentes Frühstück. Danach duschen, zusammenpacken, Check-out noch vor um zwölf Uhr. Zweiten Kaffee in der Espresso-Bar im Ostbahnhof, bis mein Zug um kurz vor dreizehn Uhr fährt, vergeht noch eine Stunde. Der Regionalexpress wird voll … einsteigen im Ostbahnhof sichert die letzten freien Plätze oben im Doppelstockwagon.

Solitär, Solitär, Solitär … Im Internet surfen, ein wenig Musiktheorie. Mein neuer Song, er steht noch ganz am Anfang, die ersten Takte habe ich vor einem Wochenende schon angespielt: eine Mischung aus Detroit-Techno und Acid-House, 4/4 straight to the floor, ich will die TR-909-Sounds verwenden, nur Base Drum und Claps, mit Accent, ein einzelnes Open Hi-Hat ganz hinten, den Trick macht der Rimshot: auf der „1“ und mit einen Delay-Effekt im 3/4. Die Textpassagen singe ich bei 130 BPM, der analoge Synthesizer spielt ein Arpeggio die Tonleiter aufwärts … acht Noten? Ich gehe auf Pentatonik und die EBM-spezifische, „ägyptische“ Tonleiter. Eine Idee für die Bass-Sequenz fehlt mir noch, welche Akkorde ich nehme, steht auch noch nicht fest. Der Song lebt von den Texten, die ich singe, die steigern sich hinein … da ist alles drin, von den kühlen, dunklen Hotelzimmern von ihm verlassen zu werden.

Nächster Halt Magdeburg, der Zug endet hier. Weiter geht es, noch dreißig Minuten bis sechzehn Uhr den Sonntag, mit der schaukelnden Regionalbahn. Zurück in mein Heimatkaff. (Ende Teil 3/3)

[16.09.25 / 13:22] Den Wecker auf meinem Smartphone hätte ich nicht gebraucht, draußen auf dem Bahnhofsvorplatz dreht eine Kehrmaschine vor meinem angekippten Hotelfenster ihre Runden. 8:30 Uhr, stehe ich jetzt schon auf? Noch etwas liegen bleiben, fünf Stunden Schlaf. Das Frühstück begehe ich genauso, wie ich es geplant habe: wenn es bis elf Uhr angeboten wird, ich um zehn Uhr da hin gehe – und mich erst danach, zurück im Hotelzimmer meiner Morgenroutine widme, dann kann ich so weit meine knappe Schlafenszeit das Festival-Wochenende optimieren, wenn ich einfach nach dem späten Aufwachen aus dem Bett falle, ein T-Shirt überziehe und die Jeans, und zum Frühstück schlurfe … besser als die andere Idee, um sechs Uhr aus der Disko fallen und das Frühstück noch vor dem Schlafen legen mitnehmen.

Es ist gebucht, es ist im Preis drin: zwei Brötchen, Croissant, Marmelade, Nuss-Nougat-Creme, Obstsalat, Bircher-Müsli, ein Frühstücksei, ein Apfel oder eine Birne, ein Glas Orangensaft, eine Tasse Kaffee … den aus dem Automaten. Genüsslich verspeise ich mein hartgekochtes Frühstücksei und lebe mein deutsches Klischee. Das ist Berlin, ich werde hier immer gefragt: „English or German?“

Den Sonnabend habe ich mir etwas vorgenommen: wenn ich schon in Berlin bin, ich will mal so eine richtige Touristen-Tour machen. Unten an der Rezeption, die haben da so ein Stapel Papierkarten in A3, ein Touristenplan, eine Straßenkarte der inneren Bezirke in Berlin und eine Karte mit den U- und S-Bahnen, mehr brauche ich nicht. Alles ist darauf eingezeichnet. Meine Route für den Tag: das Brandenburger Tor, das Holocaust-Mahnmal, der Reichstag, die Gedenkstätte der Berliner Mauer – alles Touristen-Hot-Spots – und bis auf das Tor, habe ich die alle noch gar nicht gesehen … nur im Fernsehen.

Punker-Girl geht aus, schwarze Jeans und Nietengürtel, schwarzes T-Shirt, schwarze Lederjacke, schwarze Sonnenbrille, meine kleine Handtasche und die Hi-Top-Sneakers – mit schwarzen Schnürsenkeln. Erste Haltestelle: über den Alexanderplatz mit der U- oder S-Bahn zum Brandenburger Tor … fährt hier überhaupt eine Bahn? Unregelmäßig … This is Berlin. Touris wie Einheimische bleiben entspannt. Ausstieg oben am Brandenburger Tor, das letzte Mal vor zig Jahren gab es hier noch Händler mit DDR-Devotionalien.

Touristen knipsen das Brandenburger Tor, ich knipse die Quadriga oben drauf … interessanter Fernsehbeitrag auf arte: das ist die Retourkutsche. Weiter auf die andere Seite des Tors, eine doofe, aufgebaute Bühne versperrt mir den Blick durch das Tor auf den Fernsehturm und den Ostteil der Stadt. Irgend so eine Demo mit Gaza oder so, sie wird gerade aufgebaut, die ersten Menschen finden sich ein, blaue Friedensfahnen, prominente Redner, nicht meine Partei. Ich gehe daran vorbei und versuche den größtmöglichen Abstand. Die Polizei hat alles im Griff, weit angelegte Felder von Absperrgittern trennen die Passagen von Touristenströmen und Demoteilnehmern. Ich finde meinen Weg hin zu dem in der Nähe gelegenen Holocaust-Mahnmal und dem Steinfeld.

Ich wandere durch die stummen Stelen, je tiefer ich in das symmetrisch angelegte Feld eintauche, desto mehr ergibt sich mir die Atmosphäre. Jeder Stein steht für die tausenden, ermordeten Juden. Das Feld an sich ist gar nicht so mahnend … viel bedrückender wird es unten in der Ausstellung.

Der Eingang ist oben, nur ein größerer Kubus, daneben die Treppe nach unten, nur wenige werden hineingelassen, unten soll es nicht zu voll werden, aber so viele sind um die Mittagszeit gar nicht da. Einlasskontrolle, Metalldetektoren, ein lautes Piepsen, ich lifte mein T-Shirt … Nietengürtel. Weiter hinein in die ersten Räume.

Die großen Tafeln mit der Geschichte der Judenverfolgung von 1933 bis 1945 überfliege ich … alles schon einmal irgendwo gehört oder gesehen, in der Schule behandelt, meine Großonkels hatten alle eine fesche Uniform. Interessanter und bedrückender wird es einen Raum weiter: hier sind Textpassagen hell erleuchtet in den Boden eingelassen (und ich habe immer noch die Sonnenbrille auf). Tagebuchaufzeichnungen, Briefe der Menschen, die das alles durchlebt haben … nur nicht überlebt. Emotionale Gedankenfetzen, Echos der Toten, mit den Bildern an der Wand in den anderen Räumen haben ein paar von ihnen ein Gesicht. Ich erinnere mich an die beiden, deren Porträtfotos ich in den Schredder gegeben habe. Sie bleiben in meiner Erinnerung. Ich lese die Texte, sie gehen mir nah, auch ich schreibe Tagebuch und habe meine Ängste mit dem neu aufkommenden Faschismus … ich bin als unsichtbare trans Frau die erste, die es dann erwischt.

Wieder draußen, oben auf der sonnigen Oberfläche … nicht ganz so sonnig, Wolken ziehen auf, gut so, Sonnencreme habe ich zwar dabei, aber nicht aufgetragen. Zu Fuß am Brandenburger Tor vorbei, die paar hundert Meter zum großen Reichstagsgebäude – ich will es fotografieren, ich will mal dagewesen sein, ich kenne es nur aus dem Fernsehen, die Nachrichten auf den Öffentlich-Rechtlichen. Große schwarz-rot-goldene Flaggen wehen im Wind, eine Europa-Flagge ist auch noch da. Nur eine Regenbogenflagge nicht … aber auf dem Weg, die Suche nach der nächsten U-Bahn-Station … die ist in Regenbogenfarben angemalt! Yeah … Irgendwo musste sich ja so etwas verstecken.

Eine Bahn fährt hier nicht, ich gehe wieder zurück zum S-Bahnhof am Brandenburger Tor, ich zähle mindestens drei Demos oder Kundgebungen und werde von den Polizisten durch die Absperrgitter geleitet. Mit der S-Bahn über einen Umstieg zur Haltestelle Nordbahnhof, zur Gedenkstätte der Berliner Mauer.

Tage vorher, ich habe im Internet geguckt, wo ich alles hin will. Es gibt noch Mauerabschnitte, die stehengeblieben sind, das an der Gedenkstätte beim Nordbahnhof ist der am größten erhaltene. Meine Musikszene, die Wave-, Goth- und EBM-Szene, sie ist so anachronistisch tief in den Achtzigern stehengeblieben, solche Punkte wie Kalter Krieg, Berliner Mauer und West-Berlin sind omnipräsent, die ganzen Songs von damals handeln nur davon. Ich will ein Mauer-Selfie. Ich fahre da nur hin, um Fotos zu machen, die ich so in Szene setzen werde, als wäre die Zeit und die Mauer noch stehengeblieben. Ich verfremde sowieso meine ganzen Fotos auf alt, die Film-Farbpalette, die dezente Körnung. Ich lebe das Gefühl der Underground-Szene der Achtziger. Meine Ausrede: ich fand Punks schon damals cool, als Kindergartenkind 1985.

Ausstieg am Nordbahnhof, ich hätte den anderen Ausgang wählen sollen, dann wäre ich gleich dagewesen, so irre ich auf der gegenüberliegenden Seite umher und muss mich noch mit meinem Papierfaltplan und den Straßenschildern orientieren. Dunkle Wolken ziehen auf … wird es regnen? Die ersten Tropfen treffen meine Haut … ich habe keinen Schirm dabei, nichts.

Selfie an der Berliner Mauer / September 2025 / Alter 43

Den Straßenzug mit den letzten Mauerabschnitten finde ich bald. Düsteres Wetter, ideal für düstere Selfies. Die hohe Mauer wirkt gleich noch viel deprimierender. Ich will Fotos von der Westseite machen, ich will so tun, als wäre ich in West-Berlin. Bröckelnder Mauerputz, durchscheinender Stahlbeton. Die Graffiti sind auf der Innenseite, der frei begehbaren Ostseite der Mauer. Auch hier mache ich ein paar Selfies.

Selfie an der Berliner Mauer / September 2025 / Alter 43

Es beginnt doch etwas stärker zu regnen, ich flüchte in das eine Café oder Bistro neben dem Museum. Gefühlt sechzehn Uhr den Sonnabend Nachmittag, Zeit für eine Tasse Kaffee aus dem Pappbecher und ein kleines Stück Pflaumen-Streusel-Kuchen, den größten Teil des kurzen Regenschauers habe geschützt überstanden. Eine kleine Pause.

Wieder zurück an der Mauer, das Gelände der Gedenkstätte erstreckt sich auf mehrere Abschnitte. Ein Teil ist nicht begehbar, es ist angelehnt an den städtischen Friedhof daneben, ein Sarkophag für die vielen, die auf der Flucht über die Grenze hier irgendwo erschossen worden. Auch in meiner Familie kursieren Geschichten von Jugendfreunden, die rübermachen wollten und dann ohne Spur verschwanden. Der eingezäunte Sarkophag mit dem Wachturm und dem Kiesbett wirkt noch viel mehr bedrohlicher und deprimierender. Das Feld daneben mit den dokumentierten Überresten der Grenzanlage, ich laufe es die ganze Strecke von hinten bis zur Mauer ab und stelle mir vor, wie unmöglich das zu überwinden ist. Wie ich es schon den ganzen Tag tue, jedes Mal wenn ich die Pflastersteine in den Wegen und Straßen sehe, die den alten Grenzverlauf der geteilten Stadt abbilden, ich springe in den Westteil, ich laufe nicht, ich gehe nicht, ich mache rüber.

Zurück über die S-Bahn-Station Nordbahnhof – die auch eine kleine interessante Ausstellung enthält – den späten Nachmittag zu meinem Hotel in der Osthälfte der Stadt. Am Alexanderplatz steige ich für einen kurzen Halt aus, irgendwo noch etwas essen, einen Falafelteller. Den kurzen Abstecher in ein Kaufhaus, das mit den Designer-Outlets, hätte ich mir sparen können, das frisst nur Zeit. Zeit, die ich den Abend im Hotelzimmer brauchen werde, um mich wieder ausgehfertig für die Nacht zumachen. (Ende Teil 2/3)

[16.09.25 / 13:21] Endlich wieder ein kleines, gruftiges Festival in Berlin? So etwas gab es da schon seit über zehn Jahren nicht mehr, seitdem das „Drop Dead“ weg ist. Das neue, kleine Festival ist ziemlich nah dran … einige Personen aus dem Umfeld der vergangenen Jahre tauchen hier wieder auf … ich auch.

Den Freitag habe ich schon Urlaub genommen, ganz entspannt, nichts Donnerstag nach der Arbeit machen lassen, alles in den Freitag Vormittag schieben, Tasche packen, Beine rasieren, meine Kleiderauswahl überdenken – ich will das schwarze One-Shoulder-Kleid den Abend und die Nacht anziehen, mit den absatzlosen 22-Loch-Schnürstiefeln. Trage ich etwas darunter, ein Unterhemd, ein BH? Passt alles nicht, nur das Kleid pur … BHs werden überbewertet. Schmuck ganz klar: der marokkanische Armreif, alles an Silber und meine Perlenhalskette, die Idee stand schon seit ein paar Tagen, die Perlenkette würde richtig gut zu meinem kurzen, schwarzen Abendkleid passen. Ich zögere noch … ist das wirklich angemessen für eine Grufti-Party? Ja. Die Perlenkette muss mit. Schwarze Punker-Lederjacke, für alle Fälle noch den schwarzen Kapuzen-Hoodie und die Regenjacke in Tarnfarben. Einen Schirm nehme ich nicht mit, könnte stürmisch das Septemberwochenende in Berlin werden. Die kleine olivgrüne Sporttasche geht gerade noch so zu … sie ist allein zur Hälfte gefüllt nur mit dem Paar Stiefel – und die dicke Waschtasche muss auch noch drauf.

Ich stehe den Freitag später den Vormittag auf, Vorschlafen, Beine rasieren ist Routine. Frühstück wie gewohnt, Ticket für das Festival ist auf dem Smartphone – ich versuche es mal ohne Papier. Mittagessen, den „Bahn-Dress“ anziehen, schwarze Jeans und „Gothic-Pogo-Fan-Merchandise-T-Shirt“, ich werde wieder zum Bahnhof um die Ecke gefahren. Pünktlich vierzehn Uhr stehe ich am Gleis und warte auf meinen Regionalzug. Punkerkutte, Sonnenbrille – für dieses Wochenende die kleine, schwarze Handtasche von Coccinelle (ich habe zwei).

Viele Menschen, aber es ist Freitag. Umsteigen in Magdeburg, hier bekomme ich noch einen Sitzplatz. Weiter nach Berlin, ich bin die Strecke vor zwei Wochen schon in dem Doppelstockwagon oben gefahren, noch mehr Menschen, ich muss meine Tasche vom Nebensitz räumen.

Ausstiegsstation für mich: der Berliner Ostbahnhof, unweit den Hotels und der Festival-Location von vor mehr als zehn Jahren, ich war hier überall schon. Wie praktisch, mein Hotel ist das „Intercity“ gleich am Bahnhof, ich müsste nicht einmal bei Regen nach draußen gehen.

Einchecken, mein Zimmer in der ersten Etage, Straßenseite … schade, ich bin doch Eisenbahnfreund, ich hätte mich doch auf einen Blick auf die Gleise gefreut. Das Fenster ist stark gedämpft und war vielleicht schon länger nicht offen, Temperaturen jenseits von Sommer. Schnell ins Bad, Beine weiter rasieren, Einlass bei dem Festival, zwei Stationen mit der S- und der U-Bahn weiter, rüber auf die andere Spreeseite, ist gegen neunzehn oder zwanzig Uhr. Ich vertrödele die Zeit mit dem Auspacken und alles in den Schrank hängen … bloß nichts auf das Bett legen, alle Kleidungsstücke davon isolieren, meine Sporttasche hoch oben auf dem offenen Kleiderbügel zwischen den beiden Schränken hängen … die Verwandtschaft hat in den letzten Wochen unangenehme Erfahrungen gemacht, mit kleinen, schwarzen Krabbeltieren in Polster von Bussitzen und Hotels, östliches Ausland, so wie heimisches Inland. Nur ein paar einfache Regeln: Um Himmels willen, leg nichts auf’s Bett! Häng oder leg alles hoch!

Ins Bad verschwinden, Make-up vorbereiten, noch liege ich gut in der Zeit. Ich habe endlich die Lidschattenpalette mit eingepackt, die gefühlt schon seit zehn Jahren bei mir zu Hause ungeöffnet im Badschrank lag. Ich entferne die Plastefolie … so viele Farben, so viele Rot- und Rosa-Töne. Ich brauche eigentlich nur zwei Farben: das dunkelste Grau-Schwarz und das hellste Besch-Glitzernde. Ich habe mir den späten Abend noch YouTube-Tutorials angesehen: eigentlich ist es ganz einfach, den dunklen Lidschatten kreisend in die äußere Hälfte des Augenlides und der Falte eintupfen, den hellen Lidschatten auf die innere Hälfte des Augenlides, bis zum „Tränenpunkt“ an der Nase, die andere dunkle Farbe – mit dem freien Zeigefinger eine Linie bilden, zwischen Ende des Lids und dem oberen Ende der Augenbraue, nichts darunter auftragen. Als Finish alles noch mit dem anderen Pinsel mit Schwung nach außen verblenden. Geht doch, ich schaue mich in dem hellen Badezimmerspiegel an. Schwarzen Mascara auf die Wimpern aufbürsten, schwarzen Kajal oben und unten auf das Augenlid nachziehen, Brille aufsetzen … kurze Korrekturen … alles wieder mit dem kleinen Pinsel rauchig verblenden, zu schade, das die Sonne noch nicht ganz untergegangen ist und ich die letzten Meter in der dunkelsten Dämmerung noch meine Sonnenbrille aufsetze. Mein Kleid anziehen, meine Stiefel anziehen, die Schnürsenkel durch die zweiundzwanzig Löcher fädeln, die schwarze Punkerkutte anziehen, meine Handtasche über den langen Schultergurt umschwingen, Hotelkarte greifen, ich bin ausgehbereit.

Nur eine Station bis zur Warschauer Straße, dann mit der U-Bahn weiter über die Brücke, zum Bahnhof Schlesisches Tor … ist das noch Kreuzberg? Viele Menschen, viele „Party-People“, ich bin niemals allein. Ich laufe die Richtung, die ich denke, die richtig ist. Blick auf die Offline-Karte auf meinem Smartphone: ja, ich bin wirklich richtig. Nur noch ein paar hundert Meter … ich ziehe eine riesige Wolke an Patchouli hinter mir her.

Den Club erreiche ich wenig später, ein Seitenkanal zur Spree ist meine Wegmarkierung. Es stehen schon ein paar schwarz gekleidete Leute am Eingang, mit Gittern abgesperrt, falls später noch mehr wartende Festivalgäste dazukommen. Mein Ticket auf dem Smartphone vorzeigen, kurz mit der Taschenlampe in meine kleine Handtasche leuchten lassen, bis auf die Schminkrolle und meinem Brillenetui ist da nichts drin, EC-Karte und Smartphone in den schnellen Reißverschluss-Seitentaschen, die kleine Tasche ist wirklich sehr praktisch. Ich werde hineingeleitet in den Club.

Hier war ich noch nie, der ist neu. Ich betrete die dunklen Gänge, erforsche, wo mich meine Schritte hinführen. Musik von irgendwo, ist das die dunkle Tanzfläche? Weiter durch die verwinkelten Gänge … eine Unisex-Toilette. Wieder zurück, die Wege einprägen, die offene Tür nach draußen zu dem Innenhof finden … bewaldet, begrünt, beleuchtet, atmosphärisch … ach, wie schön! Ein Teich, eine kleine Brücke! Wie im Wunderland, ich bin entzückt. Irgendwo dahinten, alles wirkt, wie improvisiert zusammengezimmert, ein Anbau, die zweite, große Tanzfläche, wo später den Abend, nur noch wenige Minuten, die erste Band auf der Bühne stehen wird. Ich erforsche den Rundgang weiter, über einen Glasanbau, vielleicht war das früher mal ein Gewächshaus, finde ich mich wieder am Eingang des Innenhofes wieder, gleich neben der Draußen-Bar. Eine Flasche Wasser bestellen, wie angekündigt, keine Barzahlung, nur Karte. Die Dachterrasse über mir entdecke ich auch, die werde ich später die Nacht noch besuchen.

Die erste Band, geplant um zwanzig Uhr, auf der Bühne draußen, genannt der „Paradise Floor“. Die Berliner Band habe ich schon zwei oder dreimal gesehen, er nimmt sich mit der Bühnenshow zurück, sie spielt weiter am Synthesizer, die Musik ist eigentlich gar nicht so schlecht. Es ist voller geworden, die Leute begrüßen sich im Publikum und draußen, das Festival beginnt.

Die zweite Band, drinnen auf dem „Main Floor“, ich hatte es nicht gleich erkannt, ob da eine Bühne steht oder nicht, es war nur ein kleiner, unscheinbarer Kasten aufgebaut … die Musik kommt vom Band. Ich stehe hinten auf einer Empore, aus Holz gebastelt. Rauchschwaden füllen den Raum, Räucherstäbchen? Nebel aus der Nebelmaschine strömt überall hervor, die Musik beginnt finster und schleppend. Gefällt mir, könnte etwas werden. Synthesizerklänge, das ganze Festival ist elektronisch, der Sänger, die Sängerin? Keine Ahnung, ist nicht wichtig. Der Raum ist voll, Unmengen Menschen wollen die Performance sehen – und dann brechen die Beats los! Harscher Elektronikklang … zu heftig für mich? Die Leute tanzen und stampfen, von all den Schwingungen falle ich schon runter von dem überfüllten Holzpodest. Es fing gut an, aber ich glaube, ich muss doch einmal kurz nach draußen gehen, meine kleine Flasche Wasser ist alle, zurück zu der ruhigen Bar.

Die dritte Band, darauf habe ich mich gefreut, geplant so gegen zweiundzwanzig Uhr (ich habe die Time-Table fotografiert), draußen auf dem anderen Floor, die vielen Menschen sind noch drinnen, hier draußen habe ich wieder viel Platz für mich, der Floor hier hat sogar große Kunststofffenster mit Blick nach draußen, in den entzückenden Garten.

Die beiden an ihren Synthesizer, sie bauen alles auf, kommen wenig später wieder in ihrem Bühnenoutfit zurück. Sie fangen an zu spielen … viele neue Stücke? Ich hatte sie mehr Punk-lastig in Erinnerung, weniger poppig. Gegen Ende des Auftritts verkündet der Sänger, zum Entsetzen aller im Publikum, das sich die Band wohl auflösen wird. Ohh … Homoerotische Anspielungen, sind sie ernsthaft gemeint, oder doch nur amüsierend? Ich bin mir nicht sicher …

Die dritte Band, wieder drinnen, eigentlich nur einer, er spielt schon, als ich den kleinen Raum, verspätet nach den Abschiedszugaben der anderen beiden, betrete. Ist er es? Auf dem Flyer und den YouTube-Videos sah er noch anders aus. Malaka … Er hat seine Haare gefärbt. Auch diese Musik wird elektronisch sehr schnell und um einiges härter, als ich es erwartet habe, ich hätte mehr als ein YouTube-Video ansehen sollen.

Ich fühle mich etwas entkräftet … werde ich müde? Es ist doch noch gar nicht Mitternacht? Oder doch schon? Ich hatte doch extra Urlaub genommen und bin nicht schon um sieben Uhr früh für die Arbeit aufgewacht, ich muss doch noch ein paar Stunden durchhalten, bis die DJs hier auflegen, die ich alle schon im Publikum entdeckt habe. Draußen wieder auf der Paradies-Tanzfläche, die letzte Band für diesen ersten Festival-Abend, auch wieder ein Solokünstler – und er beginnt seine Songs sperrig langsam … Durchhalten, Honey!

Weit nach Mitternacht, ich wechsele zwischen den beiden Tanzflächen hin und her, die vierte Flasche Wasser in meiner Hand. Hoch oben auf der Dachterrasse war es noch ganz angenehm, hier sitzen nicht so viele. Unten auf den beiden Tanzflächen halte ich es nur bis zwei Uhr nachts aus, viel getanzt habe ich nicht, ich bin zu müde, ich muss gehen. Ich habe es doch nicht geschafft, bis zur erhofften Italo-Disco-Stunde der alten beiden DJs gegen drei Uhr durchzuhalten. Vielleicht morgen. Ich laufe wieder über die Kreuzberger Straßen meinen Weg zurück zu der U-Bahn-Station … gefürchtet vor betrunkenen, anpöbelnden Leuten und kriminelle Jugendgangs, die mich abziehen? So viele Party-People hier, so viele feiernde Menschen, so viele hell erleuchtete Straßenlaternen, dichter Verkehr an laut aufheulenden, aufgemotzten Poser-Autos … dunkle, verlassene, gefährliche Straßen sehen anders aus. Dann die S-Bahn-Station an der Warschauer Straße auf der anderen Spree-Seite, ich weiß, dass da hinten die großen Clubs sind, dichtes Gedränge an jungen Menschen, der ganze Straßenzug ist eine einzige Disko.

Mein Weg durch die Hallen im Ostbahnhof, hier bin ich wieder fast alleine, aber es ist so hell erleuchtet. Der Eingang zum Hotel ist gleich neben der automatischen Schiebetür nach draußen. Zurück zum Fahrstuhl in der Lobby, eine Etage, mein Zimmer – Fenster großflächig aufsperren und kühl durchlüften, währenddessen ins Bad verschwinden und mit den Abschminktüchern mein ganzes Augen-Make-up wieder entfernen. Das Pulver vom Lidschatten hält doch nicht so ganz, da muss ich mir noch Tricks aneignen. Drei Uhr nachts, Fenster wieder angekippt lassen, Vorhänge zu und mit Ohrstöpsel ins Bett fallen … noch sieben Stunden bis zum geplanten Frühstück um zehn Uhr. (Ende Teil 1/3)

[15.09.25 / 19:34] Das letzte Wochenende vor meinem Urlaub, noch eine Motorradtour in den Harz … mein Trauma aufarbeiten. Ich habe an alles gedacht, alles in die kleine Kampftasche auf dem Soziussitz eingepackt: die Unterhose zum Wechseln, die Feuchtigkeitstücher zum Hände reinigen und eine halbvolle Rolle Klopapier! Und dann habe ich das Ganze doch nicht gebraucht …

Eine kleine Tour durch den Ostharz, bei Thale hoch, Mittagessen in Friedrichsbrunn, meine „Stammgaststätte“, rüber ins Selketal – wunderschöne, kurvige Fahrspuren ohne Mittellinie und nur ich ganz alleine – und wieder raus bei Ballenstedt, Kaffee und Kuchen in dem Café, das früher mal ein fürstlicher Pferdestall war – und Enten am Schlossteich angucken. Zurück die Strecke über Magdeburg – und vor mir eine andere Motorradfahrerin (glaube ich zumindest), die jede Kurve noch langsamer fährt, als ich (das ist sehr selten). Ich kann wieder fahren.

[31.08.25 / 21:06] Der Demozug erreicht seinen Endpunkt, der Platz an der Kreuzung vor dem Rathaus in Lichtenberg, glaube ich zumindest, es steht auf einem Schild, Ortskenntnis habe ich in diesem Teil von Berlin nicht mehr. Es sind wieder weniger Demoteilnehmer geworden, in Berlin ist noch das andere, genauso queere Fetischtreffen und eine weit größere Techno-Demo mit LKWs, DJs und laut wummernden Bässen, davon weiß ich aber nichts, das hatte ich erst für den nächsten Tag gedacht. Einige Demoteilnehmer verabschieden sich schon, einige Teilnehmer bleiben. Die charmante Moderatorin plant etwas: Wie wäre es, wenn sich alle einmal um sich herum blicken und die anderen Demoteilnehmer fragen, warum sie hier sind, was sie dazu bewegt hat, hierher zu kommen? Gespräche beginnen, lautes Murmeln, ich stehe inmitten des ganzen und wickele das Abreißplasteband von dem Deckel meiner kleinen Wasserflasche zu einer Spirale, bis meine Finger schon rot und wund sind. Wo ist mein Awareness-Team? Die beiden in ihren lilafarbenen Westen sind auch in Gespräche mit anderen Demoteilnehmern vertieft. Nur ich stehe einzeln und isoliert in der Mitte des ganzen auf diesem kleinen Platz. Mit mir spricht keiner. Ich bin autistisch. Das schlimmste, was mir passieren kann. Ich fühle mich unwohl und schäme mich für meine Andersartigkeit, die ich nicht ändern kann. Ich suche die Sicherheit der Entfernung und laufe aus dem Zentrum hinaus, noch hinter die Reihen der bewachenden Polizisten. Erst als die weiteren Tanz- und Sprech-Performances losgehen, traue ich mich wieder in die Menschengruppe hinein.

So viel länger dauert es nicht, ich sehe die große Uhr der Kreuzung vor mir. Die drei Drag-Performances sind schön, die bunten Kostüme, das aufwendige Make-up. Nur das Ambiente dieser Straßenkreuzung mit den Wohnblöcken vor mir … letztes Jahr im Park, hier irgendwo in Treptow, hätte das besser gepasst … oder wieder zurück in Mitte von Berlin.

Der Pride geht zu Ende und wird abmoderiert. Es besteht die Möglichkeit, im Schutz der Polizisten die paar hundert Meter bis zum Bahnhof der Frankfurter Allee eskortiert zu werden. So lange warte ich nicht, ich kann auch alleine gehen, ich glaube, dass ich das Passing dazu habe, um nicht von transphoben Gewalttätern erkannt zu werden. Noch ist die Sonne hier in Berlin nicht untergegangen, noch hat der Sonnabend Abend noch nicht angefangen.

Am S-Bahnhof irre ich herum, die S-Bahn fährt hier im Kreis, ich kenne nur die Namen der größeren Bahnhöfe mit Anschluss zum Regionalverkehr. Die S-Bahn, in der ich sitze, fährt nur zwei Stationen und dreht dann wieder um, baustellenbedingt, soviel zu dem Ring. Dann eben wieder in die andere Richtung und über den Bahnhof Ostkreuz.

So verwirrend, wie der Bahnhof am Ostkreuz ist, ich war hier schon einmal … letztes Jahr? Dieselbe Kette, vielleicht dieselbe Filiale, ein kleiner Pappbecher süßer Haferbrei wird mein spätes Mittagessen für heute, außer einem Fast-Food-Imbiss habe ich hier nichts gefunden. Ein belegtes Brötchen bei dem teuren Bahnhofsbäcker gleich daneben, bis ich bis kurz vor zwanzig Uhr über mehrere Treppen auf und ab endlich den Gleis mit dem einfahrenden Regionalexpress gefunden habe. Vorteil, dass ich hier am Ostkreuz schon in den Zug Richtung Magdeburg zusteige, die ganzen weiteren Passagiere, bis der Zug voll ist, steigen erst ab Mitte ein. Noch habe ich freie Sitzplatzwahl … dass ich nach zwei Flaschen Wasser eigentlich eine Zugtoilette suchen sollte, unterdrücke ich vorerst.

Solitär auf meinem Smartphone, Musikhören auf meinem Smartphone – ich hätte die Kopfhörer vorher aufladen sollen, es reicht nur für einen Titel und ein paar Minuten abgeschirmter Stille. Ich esse mein belegtes Brötchen aus der Papiertüte. Spätestens ab Genthin und Burg steigen nicht mehr so viele mit dazu und ich kann mit meinem ganzen Gepäck, Handtasche und Umhängebeutel, die Zugtoilette suchen. Ekelhaft, jemand hat die kleine Fläche für die zweite Klopapierrolle als Müllfach genutzt und ich denke, das ist sauberes Papier … viel, viel Seife.

Zurück am Platz, die Ansage des Zugbegleiters vorhin: „Es gibt kein Recht auf einen reservierten Sitzplatz, ist der weg, wenn du auf das Klo musst, dann ist der weg.“ Glück für mich, ich habe so lange ausgehalten, das Pärchen, das hinter mir zusteigt, findet mich nur wieder sitzend in dem vollen Wagon vor. Weiter den dunklen Abend hinein, nach Magdeburg.

Endstation Magdeburger Hauptbahnhof irgendwann kurz vor zweiundzwanzig Uhr. Der MITROPA-Wagen auf dem Nachbargleis fällt mir ins Auge, ein schönes, spontanes Fotomotiv. Weiter hinaus zu der großen Anzeigetafel in der Empfangshalle, wie erwartet, mein Zug in das Heimatkaff zurück fährt erst in anderthalb Stunden … ab später Stunde ist der Takt nur zweistündig. Ich mache das, was ich immer mache in dieser Situation und gehe erst einmal rüber zu der Bar, ein paar Schritte abseits des Bahnhofsvorplatzes, noch hinter dem angrenzenden und dunkel verschlossenen Einkaufszentrum, die andere Straße da, gleich neben dem großen Hotel.

Mein Platz auf der terrassenförmig angeordneten Außenfläche, ein lauer Spätsommerabend, mein Strickjäckchen über meine schwarze, orientalische Tunika reicht. „Habt ihr noch diesen Ipanema?“ Die Mocktails auf der Getränkekarte haben sich nicht verändert. Ich muss nicht auf die Zeit achten, ich trinke das Glas mit den Eiswürfeln ziemlich schnell herunter. Mein Blick auf die Straße neben mir, die vereinzelt fahrenden Autos, die Innenstadtarchitektur ist ähnlich, postsozialistische Stalinbauten und große Alleen gibt es hier auch, aber der Verkehr, vereinzelte, einsame Auto-Poser? Magdeburg ist keine Großstadt. Tiefste Provinz.

Wieder zurück am Hauptbahnhof, selbst die Lichter an dem angrenzenden Kinopalast sind ausgegangen. Ich habe das Gefühl, ich habe den Tag noch nicht so viel gegessen und hole mir an dem jetzt vierundzwanzig Stunden offenen Bahnhofsbäcker das zweite belegte Brötchen, nach Salat und Mozzarella, jetzt eines mit Auberginen. Auf den Zug wartend und mein Brötchen aus der Papiertüte mampfend, draußen vor dem großen Bahnhofseingang.

„Hey du, bist du aus Deutschland?“

Ich drehe mich um.

„Ich meine, wegen deinen Augen“, er deutet mit seinen Fingern auf seine.

Meine stark geschminkten Augen sind ihm wahrscheinlich aufgefallen, so eine mit so viel Kajal sieht man hier nicht so oft. Ich komme den beiden näher, sie sind zu zweit, er steht mit seinem Kumpel vor dem Eingang mit der Glastür, den Rücken hin zur hell erleuchteten Bahnhofshalle mit der Anzeigetafel.

„Scheiß Araber“, ein paar andere Gestalten passieren wortlos die Glastür und gehen einfach vorbei.

Ich mustere die beiden: „Und wo kommt ihr her?“

„Indien.“

Ich ziehe meinen kleinen Ganesha-Anhänger an meiner Silberkette unter der Tunika hervor, bestimmt haben sie zuerst meinen Anhänger und nicht meine Augen gemeint: „Ich kenne da ein paar indische Studenten auf der Arbeit, denen ist der auch gleich aufgefallen.“

„Tatsächlich …“, er scheint überrascht, „Und du, bist du … straight? Ich meine nur, wegen meinen Freund hier, er würde gerne mit dir gehen.“

Ich erfasse die Situation und wo sie mich hinführt.

„Vielleicht … können wir etwas trinken gehen, oder zu uns nach Hause, nur sechs Minuten von hier?“

„Nein, ich warte auf meinen Zug, den da an der Tafel, in dreißig Minuten.“

„Darf ich?“, er kommt mir näher.

Ich bleibe still, ich kenne die Situation schon, er greift mit seiner Hand unter meine Tunika und mir in meinen Schritt: „Da ist nichts“, erwidere ich, nicht das erste Mal für mich, das passiert oft … als trans Frau.

„Ich hatte gehofft, da wäre noch etwas“, auch ein zweiter Versuch von ihm ertastet nichts.

„Hier sind überall Kameras“, ich deute auf die eine gleich neben uns, oberhalb dem Eingang mit der Glastür.

„Wir müssen jetzt los“, bevor die beiden in Richtung der Bahngleise verschwinden, umarmt mich der eine stille noch und versucht einen Knutschfleck auf meinem Hals, der andere, der das Gespräch versucht hat, umarmt mich auch … vorher der ertastende Griff an meine linke Brust.

Ich bin wieder allein und betrete auch die hell erleuchtete Bahnhofsvorhalle, den Mülleimer suchend für meine Papiertüte von meinem aufgegessenen Brötchen. Ich werfe das Papierknäuel hinein und gehe auch in Richtung meines Bahngleises. Wenig später, die Treppen oben, fährt auch mein Regionalzug in Richtung meines Heimatkaffs ein. Ich analysiere in Gedanken die Situation von eben …

Ich werfe meinen Körper nicht mehr weg. Noch vor ein paar Jahren, ich wäre mit den beiden mitgegangen, wohlwissend, dass die einfach nur den schnellen Fick mit mir gesucht haben, die beiden, aus Indien … ich bin eine: „Hijara.“

Die sind nichts wert. Die beiden Männer, ich habe es gespürt, ich bin nicht die wunderschöne Frau, die angebetet wird, ich bin etwas anderes, vielleicht noch nicht einmal menschlich … ein Ding, eine Sache, Besitz. Wie wäre es ausgegangen, ich hätte mit beiden den schnellen Sex gehabt, wäre irgendwo in einem mit der S-Bahn sechs Minuten entfernten Vorort den Morgen aus einer Wohnung geworfen worden, zwei Punkte auf meiner Bodycount-Liste mehr, im kalten Morgengrauen den Weg zum Bahnhof zurück suchend. Ich hätte die beiden nie wieder gesehen … ich werde sie auch so nie wieder sehen. Ich will nicht mehr benutzt und weggeworfen werden. Mein Körper und meine Psyche sind mir jetzt wichtig. Zurück auf dem Weg zu meinem Gleis in dem Bahnhofstunnel, ich erkenne auf den zweiten Blick einen mir entgegenkommenden Arbeitskollegen – auch ein Ausländer – eine vollkommen andere Situation, ein Handwinken mit viel Respekt, ich bin eine weibliche Softwareingenieurin, keine Prostituierte (auch wenn in Sexarbeit viel Arbeit steckt – die Männer erkennen den Wert dieser Frauen nicht).

Die Dunkelheit der Mitternacht rauscht an meinem Fenster vorbei, vor mir auf dem aufgeklappten, kleinen Tischtableau das Knäuel Make-up-Entfernungstücher, Sonnencreme und schwarzen Kajal aus meinem Gesicht wischen. Mein Heimatkaff erreiche ich gegen Mitternacht. Die paar hundert Meter zurück zu meinem Wohnhaus. Fenster in meiner oberen Etage öffnen … es dauert noch eine halbe Stunde, bis ich mich schlafenlegen kann. Ich gehe die Situation vor meinem hell erleuchteten Badezimmerspiegel noch einmal durch, greife mir selbst in den Schritt … Was hast du da ertasten können? Nichts. Die Nähte meiner Leggings.

Ich ziehe mich vor dem Spiegel weiter aus, angezogen bin ich unscheinbar, mit Brille sogar gar nicht so hübsch und weiblich. Ein Kleidungsstück nach dem anderen fällt, die Tunika, das Spaghettiträgertop, der schwarze BH, die Leggings, mein schwarzer Baumwollslip. Nackt und ohne Brille, mit vollem, blonden Haar – meine kleinen Brüste, meine Vulva, mein gar nicht so untypisch, zierlicher und weiblicher Körper – nackt bin ich eine überaus hübsche Frau! Nichts deutet auf irgendetwas anderes hin! Mein versteckender Kleidungsstil, mein unsicheres und ängstliches Auftreten … meine leise Stimme, ist es das, was mein „Passing“ mindert? Ich will so bleiben, ich will daran nichts ändern, ich will … dass man mich erst respektvoll ausziehen muss, bevor ich meine wahre und innere, weibliche Schönheit zeige! Andere Menschen brauchen Kleider, um selbstbewusster zu werden? Ich werde erst selbstbewusst, wenn ich nackt bin. (Ende Teil 2/2)

[31.08.25 / 21:05] Der INTA-Pride Berlin 2025 – ich stelle den Wecker Sonnabend Vormittag auf 7:30 Uhr … eine halbe Stunde habe ich noch abgerungen, von meinen ursprünglich geplanten 7:00 Uhr. Beginn der Demo in Berlin, am Bahnhof Alexanderplatz unterhalb des Fernsehturms, ist auf 14:00 Uhr gesetzt, ich nehme den Regionalzug von 10:03 Uhr von meinem Heimatkaff in der tiefsten ostdeutschen Provinz (mit einer Stunde Puffer, falls der Zug ausfällt). Letztes Wochenende habe ich über drei Stunden gebraucht, bis ich es vom Aufstehen bis zur fertigen Abreise ins Auto geschafft habe. Werde ich es dieses Mal pünktlicher schaffen?

Alles vorbereiten, alles griffbereit. Den Freitag Abend nach der Arbeit, ewig langes Herumsuchen und Ausprobieren vor meinem Kleiderschrank … nehme ich das grüne Kleid? Oder doch lieber das schwarze, orientalisch angehauchte? Wie alle Demos jetzt, ist auch der Pride politisch polarisiert und teilweise eine Pro-Palästina-Demo. Alles ist Pro-Palästina, Pro-Links, Pro-Irgendwas-mit-Minderheiten. Stört mich nicht so sehr, ich will mein fertiges Outfit unbedingt mit meinem orientalischen Silberschmuck kombinieren – ein Schlauchschal zum Vermummen muss unbedingt auch noch mit in die kleine Handtasche.

Mein geplantes Gepäck vergrößert sich um einen schwarzen Umhängebeutel. Vorhergesagtes Wetter: Regen, Sonnenschein, Nebel den Morgen, Gewitter den Nachmittag, strahlend blauer Himmel dazwischen, Temperaturen gegen dreiundzwanzig Grad, plus minus fünf. Packe ich die Regenjacke mit ein? Mein schwarzes Strickjäckchen sowieso … passt die Regenjacke in Camouflage überhaupt zu meinen eleganten Kleidern? Und welche Stiefel? Kampfstiefel? Schnürstiefel? Mehr Fetisch, weil das internationale Fetischtreffen ist das Wochenende auch in Berlin? Ich nehme das orientalische Kleid und die Hi-Top-Sneakers, sommerlich schick. Das Fetischtreffen lasse ich sein, das passt zeitlich nicht – nur die Demo, vielleicht später Einkaufen.

Im Bad stapelt sich alles, was ich mitnehmen will, alles, was ich den Sonnabend kurz nach dem Frühstück brauche: Parfüm, Kajal, Pinsel, Augenbrauenbürste – für den Morgen: orientalisches Duschbad, französische Haarwäsche – zum Gebrauch und Mitnehmen: Zahnbürste, Zahnpasta zum potentiellen Übernachten – für später, den Zug zurück: Abschminktücher. Noch etwas vergessen? Zwei Pack kleine Taschentücher, das kleine Portmonee, ein Haargummi, ein Stift für die Bahnkarte und die kleinen Kopfhörer zum Musikhören im Zug. Mein Strohhut, einen Schirm habe ich nicht mehr, den kaufe ich neu vor Ort.

Den Abend vor Mitternacht, Beine rasieren, Augenbrauen trimmen, fein Nachschneiden, noch einen Film in der Mediathek schauen, vor 1:30 Uhr bin ich im Bett und schlafe präzise sechs Stunden bis ich noch vor dem Wecker auf dem Smartphone wach werde.

Aufstehen in der geplanten Uhrzeit, alles ist durchgetaktet. Entspannt frühstücken auf der Terrasse im Garten … dunkle Wolken, wenn das so bleibt, könnte es angenehm werden. Die letzten Meter zum Bahnhof zu meiner geplanten Abfahrtszeit werde ich gefahren. Der Zug ist voll, mein „Quer durchs Land“ Ticket am Automaten.

Umsteigen in Magdeburg in den Regionalexpress nach Berlin … verwirrende Anzeigetafeln, innerhalb weniger Sekunden wechseln sich die beiden benachbarten Gleise und die Fahrtrichtungen, ich laufe den ganzen Bahnsteig von vorne nach hinten, durch die dichtesten Menschenmassen, nur um danach festzustellen, ich hätte einfach nur stehenbleiben können, wo ich vorher stand. Ich will möglichst weit entfernt sitzen, vor den ganzen Menschen.

Der Doppelstockzug wird spätestens ab Potsdam immer voller. Es geht hinein nach Berlin. Der Himmel ist blau aufgeklart, die Sonnenblende an meinem Sitzplatz oben schirmt nicht die Wärme ab. Immer mehr vorbeirauschende Hochhäuser … alles ab drei Stockwerke ist für mich hoch.

Die Berliner Bahnhöfe, ich kenne die Reihenfolge, die Museumsinsel, der Fernsehturm ganz hinten, gleich bin ich da, am Alex.

Aussteigen, routiniert, als würde ich hier schon immer wohnen, laufe ich im Bahnhof durch die Touristenmassen, auf der Suche nach einer Drogerie oder einen Mini-Markt, zwei Flaschen Wasser und einen Regenschirm kaufen, beides ist kein Problem und landet mit in meiner schwarzen Umhängetasche.

Draußen vor dem Fernsehturm gleich daneben, der kleine, rote Transporter steht schon auf dem Platz. „Ist das der gleiche, rote Transporter, wie letztes Jahr?“ Die Orga-Truppe hat nur diesen einen roten Transporter, ich frage die beiden, ich war letztes Jahr schon da. Sie bauen noch die ganzen Plakate und Regenbogen- und Transgender-Fahnen an. Noch sind noch nicht so viele Demoteilnehmer gekommen, auf diesen überfüllten Platz, ich gehe erst einmal einen Kaffee trinken, in der Kaffeehauskette gleich neben mir und schaue mir von dort aus den weiteren Aufbau an. Unzählige Polizeifahrzeuge, die großen „Wannen“, mehr Berliner Polizisten in ihren blau-schwarzen, martialischen Uniformen, als Demo-Organisatoren. Auflagen werden durchgenommen, im Internet schien das so, als würde das eine ganz radikale und gewaltbereite Pro-Palästina-Demo.

Ein paar trans Frauen gesellen sich mit dazu, unter den Bäumen suchen immer mehr optisch erscheinende, nonbinäre Menschen den Schatten vor der Sonne. Ich bringe meine Kaffeetasse und den Teller zurück zum Tresen und trete auch aus dem Schatten der Kaffeehausfiliale hinaus auf den vollen Platz. Die kleine Gruppe an Demoteilnehmern sondert sich etwas ab, von den vielen Berlin-Besuchern ringsherum. Letztes Jahr waren doch mehr gekommen …

Die Demo beginnt mit ein paar gesprochenen Vorträgen, eine der Organisatoren trägt die Liste mit Auflagen vor und es wirkt bizarr, als wären die paar harmlos erscheinenden, groß gewachsenen trans Frauen und die zierlich erscheinenden Nonbinären, brutale Hamas-Kämpfer und bereit, gleich alles und jeden auf der Stelle zu lynchen, für ihren Kampf gegen Unterdrückung. Die vorgetragenen Texte betonen viel mehr, wie sehr die Gesellschaft Angst vor trans und alles ähnliche hat und genau diese kleine Gruppe, aus Gründen wie auch immer, unterdrückt, unsichtbar macht, verschwinden lässt, oder gleich vernichtet. Macht irgendwie Sinn für mich, wenn wir im gemeinsamen Kampf gegen Unterdrückung Allianzen bilden … nur das mit dem „Trans-Genozid“ habe ich nicht ganz kapiert.

Regenbogen- und Transfähnchen schwenken, wenn hier eine gefährlich ist, dann bin das allerhöchstens ich, mit meiner militärischen Ausbildung und Schnellfeuergewehr-Erfahrung (von vor fünfundzwanzig Jahren).

Die kleine Gruppe von hundert, vielleicht zweihundert, vielleicht später sogar dreihundert Demoteilnehmern setzt sich in Bewegung. Die Route geht vom Alexanderplatz aus Richtung Osten von Berlin. Ich laufe erst vor dem kleinen Transporter, in zweiter Reihe vor dem Front-Transparent: INTA – trans, inter, nonbinär und agender, wir sind nicht unsichtbar.

Der (oder die) DJ in dem Transporter mit den Lautsprecherboxen oben drauf, legt wirklich richtig gute House- und Techno-Musik auf, ich tanze meinen schlendernden Gang … nur immer wieder unterbrochen durch Seek-and-Protect Phasen, wenn der kleine Demozug die vielen Kreuzungen überquert. Berlin ist nicht Magdeburg, so etwas wie dieses „Geisterstadt-Szenario“ können die in Berlin hier nicht absperren, auf den Gegenfahrbahnen ist weiterhin dichter Großstadt-Autoverkehr. Mein suchender Blick geht immer hunderte Meter voraus auf die Gehwege und Passanten, ich achte auf Streamer – neuste Mode der Faschos. Die Lage bleibt ruhig, ich kann nichts entdecken, ich wechsele wieder in meinen entspannten, ich-bin-nur-ein-einfaches-trans-Mädchen Tanz-Modus.

Die Menschen um mich herum, ob die alle aus Berlin kommen, oder von weiter weg? Ein paar trans Frauen, einzigartig und jede für sich, so hübsch wie sie ist. Sind trans Männer dabei, bleiben sie für mich unerkannt. Menschen, deren Pronomen ich nicht nennen kann, und Allies. Die Demo bleibt ab und zu stehen, kurze Vorträge, es bleibt politisch. Den Weg auf halber Strecke wird eine größere Pause eingelegt, die Ansage der überaus hübschen und elegant in einem hellen Hosenanzug gekleideten trans Moderatorin kündigt eine zwanzig minütige, organisatorische Pause an, die Straße bleibt weiterhin blockiert. Zum Glück gibt es Sitzplätze an der Hausfassade neben einem Späti oder ähnliches gleich neben mir. Die Stalinbauten und die beiden markanten Kinos und Eiscafés aus sozialistischen Zeiten, haben wir schon passiert. Mein Blick schweift über die Demoteilnehmer … und da ist sie! Sie ist wieder da, wenn auch nur für einen kurzen Moment.

In Gedanken gehe ich meine Phantasie durch, was, wenn ich sie ansprechen würde? „Du, ich habe ein Foto von dir, auf meiner Festplatte, schon seit fünfzehn Jahren. Ich konnte es nicht löschen, das Foto von dir, das ist so schön, ich bewundere es immer wieder.“ Nicht so häufig, es ist ja nicht so, dass ich ihr einen Altar gebaut hätte, ich schaue das Foto vielleicht ein oder zweimal im Jahr an. Es ist wirklich ein schönes Foto, wie sie da im Abendschein an der Reling des Queerboots verträumt in die Ferne schaut. Ich weiß nicht, ob es dasselbe Jahr war, in dem ich auch Passagierin auf dem Berliner Queerboot auf der Spree war. Irgendwie musste ich im Internet nach Fotos gesucht haben und bin auf dieses mit ihr gestoßen. Sie hat sich fast gar nicht verändert, sie ist nur fünfzehn Jahre älter geworden … und letztes Jahr war sie hier auch mit dabei. Aber vielleicht täusche ich mich nur und sie sind doch nicht dieselben Personen … aber dieser verträumte Blick und wie sie einzeln für sich durch die Menge schreitet, schwarz gekleidet, schwarze Haare. Neben dem Transporter werden weiter ein paar Vorträge gehalten, vielleicht auch eine Tanz- oder Kunstperformance. Die Ansage, dass es gleich weitergeht, holt mich aus meiner phantasievollen Gedankenwelt zurück. Es geht weiter. (Ende Teil 1/2)

[27.08.25 / 21:38] Laserbehandlung #2 (Haarentfernung #33) – Meine täglich aufgetragene Vampir-Creme, die mit dem milden Lichtschutzfaktor von 25, hilft hier nicht, mein Gesicht ist vom letzten Wochenende zu stark gebräunt. Die drei Stunden auf dem CSD den Sonnabend Nachmittag waren zu viel, ich hätte es wissen müssen … ich hatte auch die stärkere Sonnencreme mit in der Tasche.

Tage später den Mittwoch, die Behandlerin dreht die Einstellung am Gerät auf die leichteste Stufe und fegt routiniert mit dem Laser über Kinn, Wangen und die Oberlippe. „Ist es auszuhalten?“ Ich zucke nicht einmal vor Schmerz zusammen. Kleine Stiche, der Geruch von verbrannten Haaren, hoffentlich wirkt es doch auf meiner für die Behandlung grenzwertig leicht rötlich-braun schimmernden Gesichtshaut.

[24.08.25 / 23:06] Das komplette Leder-Outfit, das wollte ich schon immer mal machen! Der CSD in Magdeburg 2025, die Tage vorher verfolge ich die Wetterberichte … nach den heißen Tagen könnte es eine Abkühlung geben. Die letzten Jahre auf den verschiedenen CSDs (also nur Leipzig oder Magdeburg) war es immer wieder zu sommerlich warm für einen Auftritt ganz komplett in schwarzem Leder, dieses Mal wird es funktionieren!

Der Sonnabend das vorletzte Wochenende im August, der Termin steht schon länger fest in meinem Kalender, für mein geplantes Outfit brauche ich absatzlose Schnürstiefel … vielleicht die Docs, mit weißen Schnürsenkeln? Zu kurz, zu aggressiv – draußen beim Frühstück auf der überdachten Holzterrasse fühlt es sich schon wie Herbst an – ich nehme die hohen 22-Loch-Schnürstiefel ohne Absatz (die Nacht vorher eingefettet), zusammen mit dem schwarzen Ledermini, der schwarzen Baumwollleggings und meiner schwarzen Lederjacke, eine ausgezeichnete Wahl. Noch sehe ich aus wie immer, auf jeder Grufti-Party – ich brauche noch meine schwarzen Lederhandschuhe! Dieses Accessoire lässt mein Erscheinungsbild final in das Abstrakte kippen, so wie ich, läuft hier niemand herum.

Der Sonnabend Vormittag, ausschlafen, aufstehen, wann ich will, die Demo in Magdeburg fängt frühestens dreizehn Uhr an und ich nehme das Auto. Stiefel glänzend polieren, Beine vom Vorabend nachrasieren, duschen, draußen frühstücken, zurück ins Bad, Parfüm, schwarze Unterwäsche und Make-up. Dezenter, schwarzer Kajal-Strich, sieht sowieso keiner – zu meinem schwarzen Leder-Outfit kombiniere ich die dunkle Sonnenbrille, halb Achtziger-Jahre-Pilot, halb Cat-Eye. Ich bin zu spät, als ich mich ins Auto setze, ist es schon 11:40 Uhr, das „Politische Gespräch“ vor der Demo habe ich auch diese Jahr verpasst. Ich starte den Motor und öffne über die Fernbedienung das Garagentor.

Den Weg hinein in die Magdeburger Innenstadt, ich parke mein Auto in dem Parkhaus, wo ich immer parke, das unter dem Einkaufszentrum in der Innenstadt nahe dem Alten Markt. Noch in der Tiefgarage ziehe ich die Schnürsenkel meiner Stiefel nach. Den Weg nach oben über den Fahrstuhl betrete ich schon in meiner kompletten Lederkluft: die schwarzen Stiefel, der schwarze Lederrock, die bis oben geschlossene, schwarze Lederjacke, die getönte Sonnenbrille, meine Finger in meinen schwarzen Lederhandschuhen ertasten vorsichtig den Knopf in die obere Etage, zum nächsten Ausgang des Einkaufscenters auf die Straße. Jeden Muskel in meinem Gesicht bewusst entspannen, keine Mimik, keine Freude, nur diese Art von unnahbarer Eleganz … K. L.

Oben, über die mehrspurige Straße und den Gleisen, rüber zum Alten Markt, wie wird die Polizei ihr angekündigtes Sicherheitskonzept umgesetzt haben? Auch dieses Jahr hat sich wieder eine rechte Gegendemo angekündigt. Der Marktplatz vor dem Rathaus ist überraschend offen gestaltet, ich kann einfach so hinüberschlendern. Viele Demo-Teilnehmer sind schon gekommen, aber weniger als die letzten Jahre. Auf der Bühne die üblichen Drag-Queens, die durch das Programm leiten. Ich schaue mir die Stände an, laufe meine Runde, beobachte die anderen Teilnehmer. Ich entdecke sie auch dieses Jahr: die drei Leder-Schwulen, die mir als Inspiration dienten. Rüber zu dem Stand der Puppys, ich orientiere mich an der schwarz-blau-weiß-roten Leather-Pride-Flagge.

„Letztes Jahr waren hier aber mehr Stände“, ich vermisse das Bälle-Bad.

„Ja, kann schon sein …“

„Möchtest du einen Aufkleber?“

Ich bekomme einen grünen Pfoten-Sticker auf meine Lederjacke von einer zweiten Person von diesem Stand. „Mal sehen, wie lange das bei diesem Wetter auf meinem Leder hält“, der Himmel verdunkelt sich, jeden Moment könnte aus diesen grau-blauen Wolken wieder ein Schauer entstehen. Schwieriges Wetter, Sonnenbrille, Sonnencreme und Regenschirm.

Weiter zu der Aufstellfläche von den Demo-Trucks, nicht alle Parteien, eigentlich nur eine. Ein, zwei größere Firmen, gleich zwei größere CSD-Trucks und ein kleiner Laster mit obligatorischen Antifa-Flaggen – irgendwo hier sollte dieses Jahr doch auch ein queerfeministischer Block mitlaufen? Ist es dieses Fahrzeug? Meine erste Wahl. „Women Pride“ steht auch ganz hinten drauf.

Nach dreizehn Uhr, der Zug setzt sich in Bewegung, gefühlt zweitausend Menschen verteilen sich hinter die verschiedenen Fahrzeuge – es sind weniger Menschen, als das letzte Jahr. Die beiden großen CSD-Trucks nehmen die Wagenkolonne in die Mitte, es wirkt fast wie eine Wagenburg. Ungewöhnlich, mein linksradikal angehauchter Block ist dieses Mal das „vorletzte“ Fahrzeug.

Ein paar ganz vereinzelte Antifa-Flaggen – es dominiert die Regenbogenfahne. Der Block in dem ich mich befinde – von hinten lärmt der große Truck, von vorne dreht der DJ den Pegel seiner Anlage auf seinem Truck voll auf – der kleine Laster ein paar Meter vor mir hat zwar auch eine Anlage, aber die ist kaum zu hören. Innerhalb dieses Blocks wirkt es wie in einem Schweigemarsch, zu laut, um sich zu unterhalten, zu chaotisch, um zu irgendeiner von dieser Musik zu tanzen. Der Wind und der Regen zerfetzt meinen Schirm, der war aber auch schon vorher kaputt, hält immer nur ein Jahr. Die letzten Meter bis zur ersten Kundgebung auf dem Domplatz spanne ich ihn wieder auf, um mich vor der Sonne zu schützen. Ich kenne das, wenn ich mit meiner anderen Lederkluft, die Lederkombi zum Motorradfahren irgendwo in der Sonne stehe, sollte das angekündigte Wetter nicht einen bestimmten Temperaturbereich überschreiten …

Am Domplatz, für einen Moment die Lederjacke öffnen, die Handschuhe ausziehen und eine Flasche Wasser aus meiner ebenso schwarzen Lederhandtasche ziehen. Auch hier gibt es eine Kundgebung vor dem Landtag, aber davon bekomme ich nichts mit, ich sitze lieber im Schatten auf einer Bank. Letztes Jahr waren hier viel mehr auf dem Platz.

Die Puppys sammeln sich, die sind auch immer weit hinten im Demozug. Ich werde mit einem Handwinken begrüßt, die kleine Gruppe trans Frauen ist auch mit dabei! Ich winke zurück, ohne Worte, der Demozug hat sich schon in Bewegung gesetzt und Musikanlagen schallen wieder über die Straßen und machen eine Gesprächsgelegenheit unmöglich. Von irgendwo drückt mir jemand eine kleine Regenbogenfahne in die Hand, ich freue mich wie ein kleines Kind, jetzt habe ich endlich auch etwas zum Winken. Die nächsten Meter habe ich vor, hinter oder neben mir immer eine trans Frau mit dabei. Vielleicht könnte ich sie später nach der Demo ansprechen, ob eine von denen nächstes Wochenende auch mit nach Berlin fährt.

Der Demozug kreuzt die Route des letzten Jahres, irgendwo hier wurde er mal aufgehalten, ein Trupp Jung-Faschos hatte es bis heran geschafft. Wo sind sie dieses Jahr? Es ist nichts von ihnen zu sehen oder zu spüren, es sollen mehrere hundert von ihnen hier irgendwo sein? Das neue Sicherheitskonzept der Polizei – die Uniformierten sind überall, Polizeifahrzeuge bis zum hintersten Horizont, bis in die hintersten, noch kaum mehr zu erkennenden Straßenkreuzungen. Die müssen das hier wirklich ganz großflächig abgesperrt haben, um die beiden verfeindeten Lager voneinander zu trennen. Ich fange an, die Polizisten als meine Freunde zu betrachten. Es ist nicht mehr so unbeschwert, wie noch vor der großen Pandemie, aber verglichen mit dem Winter-Pride und der Demo letztes Jahr … ich fühle mich sicherer.

„Alerta, alerta, antifascista!“ Ein kleiner Trupp Vermummter schirmt mit ihren Bannern eine kleine Stelle, ziemlich am Ende der Demoroute, von der Straße ab. Ist da was? Sind da doch ein paar von denen? Neugierig verlasse ich die Demo ein paar Schritte seitwärts und stelle mich hinter den Demonstrierenden mit ihren Bannern. Blick nach rechts und links, die tragen alle Sonnenbrille und Hygienemasken – ich vermumme mich auch, ich habe aber nur meine kleine Regenbogenfahne, die ich mir vor mein Gesicht halte. Bloß nicht zu erkennen sein – der Typ, der da hinten von den uniformierten Polizisten eingekreist wird, er könnte eine Kamera an einem Stativ halten. Ich drehe mich wieder weg und laufe der Demo hinterher. Der letzte CSD-Truck hat mich schon passiert, bis zu dem kleinen Laster und meiner trans Gruppe schaffe ich es nicht mehr! Ich bin wieder allein. Den großen Truck erreiche ich noch und die letzten zehn Meter kann ich wenigstens noch endlich tanzen.

Der CSD hat den Alten Markt wieder erreicht, noch eine Runde über den Platz, lange hatte ich nicht vor, zu bleiben. Die auftretenden Bands sind „beschissen“, glaube ich zumindest, ein Programm wurde nicht veröffentlicht. Eine große Regenbogenfahne wird vor der Bühne aufgerollt, ein schönes Fotomotiv, auch ich krame mein Smartphone aus meiner Tasche. Die Demo ist vorbei, mein „Leather Woman“ Auftritt ist beendet, die schwarzen Lederhandschuhe landen in meiner schwarzen Handtasche und meine Lederjacke reiße ich auf – jetzt wieder als obligatorische Punkerkutte, Aufnäher, Buttons und Nieten glänzen am inneren Revers.

Weiter vom Alten Markt runter, zu der Einkaufsstraße zwischen den Warenhäusern, Mittagessen. Bestimmt schon sechzehn Uhr den Sonnabend Nachmittag, ein Burgerladen gleich gegenüber, eine Filiale dieser Kette, die ich auch von Leipzig kenne. Ich setze mich, geschützt vom Wind, in den Innenbereich der Gastronomie. Wie immer: veganer Patty-Burger, Süßkartoffelpommes und ein großes Glas Zitronenlimonade mit Eiswürfeln und Minze.

Weiter in die Drogerie gegenüber dem Einkaufszentrum, ich bin auf der Suche nach dieser exotischen Seife, die in meinem Bad zu Ende gegangen ist. „Marrakesh Promise“ – ich suche im Regal für Handseife und Naturkosmetik. Der Hersteller hat jetzt andere Duft-Nuancen im Programm. Mir fällt ein weiteres Produkt auf, es verspricht den Duft und das Gefühl von Hammam-Seife – das landet in meinem Einkaufskorb!

Wieder draußen, ich habe parallel an zwei Kassen gewartet, die sind da irgendwie nicht klargekommen mit dem Sonnabend-Nachmittag-Ansturm von Einkaufenden – dem Kassenzettel nach, ist es schon kurz vor halb sechs, ich wollte schon längst wieder zurück nach Hause fahren. Da ist noch dieser eine Asia-Laden dort drüben, in der Nähe vom Alten Markt, der ist so groß, die haben alles. Finde ich in den Tiefkühltruhen endlich das Eis, von dem ich in Tokio süchtig wurde? Sie haben viele Eissorten in der Truhe, in dem Laden verbringe ich gefühlt eine halbe Ewigkeit, starrend und staunend über dem großen Glasdeckel. Matcha-Eis mit roter Bohnenpaste, grünes Matcha-Eis ohne Paste, Kartons mit mehreren Stück Eis am Stiel und einem Zettel mit dem freundlichen Hinweis, nicht die Packung zu öffnen und nur ein einzelnes Eis herauszuholen. Mein Waffel-Eis, das ich suche, finde ich hier nicht.

Wieder draußen, die paar Meter zurück zu der Einbiegung zum Alten Markt. Schon wieder ein paar Vermummte und ihre großen Banner. Gibt es hier was? Doch ein paar Faschos? Doch Randale und Ausschreitung? „Laaangweilig.“ Ich stehe erst seitlich der Polizisten, beobachte die Szene. Tippele dann schnell hinter die Banner und schau den Demonstrierenden über die Schulter. Nichts zu sehen … Warum steht ihr hier, da ist doch nichts? Ich schaue noch einmal um die Ecke, neben den Polizisten und drehe mich dann um und laufe an dem ganzen vorbei, wieder zurück Richtung Einkaufszentrum und der Tiefgarage. Nichts los dieses Jahr, keine Faschos, die müssen schon die Polizisten anpöbeln, damit endlich „Action“ ist. Was ich nicht weiß, ich bin einem „Rechten Streamer“ ins Bild gelaufen, der am Rande des CSD, bis hin vor die Bühne, sein Unwesen getrieben hat.

Zurück zu meinem Auto in der Tiefgarage. Drei Läden noch, ein Kleid anprobieren, leider nicht meine Größe, ein anderer Laden, die Jacken mit dem Teddy-Fell abstreifen, ein dritter Laden, nichts, was mir ins Auge springt. Auch dieser Tag ist freundlich für mein Urlaubs-Budget … nach der Anzahlung für die nächste Reise bin ich schon wieder fünf Tage vor der Gehaltszahlung im Dispo. Die nächsten Wochen und Monate könnten schwierig werden, die Firma hat Kurzarbeit angekündigt. Vor mir liegt noch der Trip nach Berlin, ein weiteres Wochenende mit einem Festival in Berlin und meine Urlaubsreise, auf eine der Inseln von Griechenland (und es nicht Mykonos).

Mit dem Auto zurück zu meiner Wohnung in dem Provinzkaff, Kajal aus den Augen wischen, vor dem Computer sitzen, im Internet nach so einer Jacke mit Teddy-Fell gucken (in Tarnfarben) … aber eigentlich habe ich schon meinen französisch schwarz-grauen Kuschelmantel für den Herbst und Winter.

[21.07.25 / 00:25] Es hätte so ein schöner Tag werden können … Sonnabend früh Vormittag aufstehen, entspannt frühstücken, Motorrad aus der Garage holen und gegen elf Uhr nach Wernigerode fahren, ein Eis essen, Pizza essen, Kuchen essen, auf dem Marktplatz sein, einen Kaffee trinken, Oldtimertreffen beobachten, alte AWOs bewundern und dann … nach einer kurzen Pause an meiner Tankstelle, den Motorradparkplatz daneben, die Toilettenhäuschen, der schattig überdachte Stand mit den Touristenbussen, noch gemächlich eine Flasche Wasser trinken. Es ist heiß, bestimmt 30 Grad, so weit der Plan, bis siebzehn Uhr warten, dann sind die Touristen-PKWs weg und ich kann für mich alleine die Straßen nach Schierke hochschrauben … 400, 500, 600 Meter über Normalnull – und wieder abwärts ins Tal Richtung Elbingerode. Spätestens hier, fängt es unten im Bauch, ganz unten im Darm, an zu drücken und zu schmerzen. Ich sollte schnellstmöglich eine Toilette suchen.

Nach Wernigerode rein, ich verfahre mich, irre auf den engen, einspurigen Kopfsteinpflastergassen umher, finde den Weg ins Zentrum, der Kreisel mit dem großen Parkplatz und der Toilette auf der Gegenspur. Weiterfahren, wieder raus Richtung Benzingerode … irgendwo hier, noch vor dem Ortsausgangsschild von Wernigerode, war doch mal eine Tankstelle? Die, wo ich 2007 das Fahrschulmoped flach gelegt habe, die 125er. Ich passiere das Ortsausgangsschild, vielleicht die nächste Ortschaft weiter. Verdammt! Bis zur nächsten Tankstelle nach Halberstadt schaffe ich das nicht mehr. Blinker setzen, den nächsten Feldweg suchen, die Schmerzen in meinem Enddarm kommen in immer stärker werdenden, blubbernden Wellen. Ich finde einen Feldweg, steige ab, laufe zu einer mir günstig erscheinenden Stelle mitten auf dem Ackerweg, mit einem hohen Gebüsch und einem kleinen Bewässerungsgraben dahinter. Der Griff zu dem Knopf an meiner Motorradkombi – es ist zu spät! Explosionsartig verteilt sich alles um mein Gesäß und das Bein. „Ach, Scheiße!“ Warum ich? Warum schon wieder? Doch nicht die Motorradhose. „Das ist doch kacke!“ Ich verzweifele.

Ich schäle die Motorradhose nach unten, hinten den Reißverschluss der Kombi öffnen. Die zweite Welle geht wenigstens noch in das Gras am Wegrand … nicht hinein treten. Es stinkt, eine gelbe, bröcklige Brühe. „Da esse ich nie wieder!“ War es das Restaurant in Wernigerode? Der Kuchen? Der Kaffee, das Eis, die Limo? Die gelbe Farbe lässt mehr auf den Kartoffelsalat in der Kantine vom Freitag schließen, oder diese merkwürdigen „Mango-Schnittchen“, die die chinesische Kollegin für alle mitgebracht hat, die Packung mit den chinesischen Zeichen drauf. Den Morgen war ich noch froh, dass der Kantinen-Spinat vom Donnerstag raus ist.

Ich ziehe meine Motorradhose weiter aus, löse die Schnürsenkel von meinen Motorradsneaker und stelle das Paar etwas abseits daneben. Alles was jetzt passiert, mache ich in grünen Socken und nur meine Motorradjacke darüber. Die schwarze Unterhose ist nicht mehr zu retten, ich pfeffere das übel riechende Teil in den kleinen Graben vor mir. Ich habe nur eine Packung Taschentücher in meiner Jacke, die andere Packung ist in der kleinen Tasche im Gepäcknetz auf dem Motorrad. Ich laufe zurück … in Socken, die Motorradhose lasse ich da, den Helm habe ich wahrscheinlich immer noch auf.

Wieder zurück, meine Stelle auf dem Ackerweg, den Helm lege ich neben meine Schuhe, deponiere die zwei Flaschen Wasser darin. Mit den Taschentüchern versuchen, die bekackte Motorradhose sauber zu machen, versuchen, auch mich sauber zu machen. Die Handschuhe habe ich auch abgezogen, die liegen hier irgendwo im Gras.

Ein Taschentuch nach dem anderen wird wütend in das Gebüsch vor mir, den Graben runter, geworfen, es hängt wie Lametta zwischen Ästen und Zweigen. Es reicht nicht, die eine Packung ist leer, die zweite Packung Taschentücher wird leer. Was jetzt? In meiner Verzweiflung – oder auch leichter Schockzustand – ich muss zurück zu meinem Motorrad am Straßenrand und irgendwie jemanden anhalten und nach Tüchern fragen. Wieder zurück an die Straße, in Socken und schwarzer Motorradjacke – der ganze Unterkörper, meine Vulva, meine Schamhaare, alles ist frei.

Autos fahren vorbei, ein Transporter wird langsamer, hält er an? Ich winke, ich brauche Hilfe. Er fährt wieder schneller an mir vorbei. Ich muss Motorradfahrer anhalten, vielleicht sollte ich mein Halstuch an meinen Gepäckträger binden. Ein kleines Motorrad fährt heran. „Endlich! Du musst mir helfen!“ Ich springe vor meinem Motorrad hervor. Er blickt mich an, mit seinem Helm. Ihh! Die hat sich eingeschissen! Schnell weg! Kupplung springen lassen. Ich muss furchterregend aussehen, nackter Unterleib, braun verschmiert bis zum Knie, unrasierte Schamhaare, eine verrückt aussehende, wild gestikulierende, alte Schachtel … ich habe mehr ihn traumatisiert, als mich.

Der Transporter kommt zurück und biegt vorwärts auf dem Feldweg ein, es sind ein paar Männer drin in dem Miet-Transporter. „Toilettentücher, Papiertücher, irgendwas?“ Der Mann steigt ohne Worte aus, zieht die Seitentür auf und holt eine Rolle Wischpapier heraus … rollt um die zehn Blatt ab und gibt sie mir und steigt wieder ein. „Vielen, vielen Dank!“ Ich bin so glücklich in diesem Moment … immer noch halbnackt, das Schamgefühl ist das Erste, was verschwindet, in extremen Notsituationen.

Ich knie über meine Motorradhose und wische die schon antrocknende, gelbe Scheiße heraus. Das ganze Innenfutter ist verschmiert. Ich muss zwei oder drei Blätter übrig lassen, die ich mir unten herumwickeln kann, wenn ich die bekackte und engsitzende Motorradhose wieder anziehen will, ich habe noch fünfzig Kilometer vor mir. Der Strauch vor mir, den schattigen Bewässerungsgraben runter, wird immer weiter zugeworfen mit Papiertüchern.

„Meine Unterhose liegt schon irgendwo dahinten unten, das ist Baumwolle.“ Hinter mir auf dem Feldweg fahren schon die ganze Zeit ein paar Autos hin und her, ich bin denen nicht entgangen. Wenn ihr vielleicht noch ein paar Tücher habt? Eine Flasche Wasser ist schon leer, mit der zweiten Flasche versuche ich immer wieder, meine Hände sauber zu machen. Die Menschen, die hier irgendwie zelten, oder den Abend feiern wollen, oder dahinten einen Garten haben, versorgen mich mit ein paar Dingen. Eine Packung Taschentücher, das nächste Auto, ich versuche schon meine Motorradhose wieder anzuziehen, ein Blatt vorn herum, zwei Blätter hinten, der Wind versucht es wegzuwehen. „Hier, das könnte dir vielleicht helfen.“ Ein Mann bringt mir eine schwarze Unterhose und eine Jogginghose. „Die Hose ist zu viel, das passt nicht drunter“, meine Lederkombi sitzt eng, „Aber vielen, lieben Dank für die Unterhose, die nehme ich, das ist sehr nett.“ Nochmal ausziehen und die neue Unterhose drunter … schwarz ist sie auch noch. So nette Menschen, die mir einfach helfen. Sollte ich irgendwann mal in eine Situation kommen, in der ich anderen in einer Notlage Hilfe anbieten kann – einfach machen.

Die Kacke, der Haufen Scheiße, der stinkende Durchfall – kaum mehr zu sehen, ein Schwarm grün-goldgelb schimmernder Fliegen hat ihn schon für sich entdeckt … der Lauf der Natur. Alle meine Sachen zusammensuchen, nichts vergessen, meine Schuhe, mein Helm, meine Handschuhe – das letzte Auto den Feldweg, sie hatten feuchte Reinigungstücher mit dabei, das letzte bisschen Wasser aus meiner Flasche und die hohen Grashalme zum Abtrocknen, sind einfach nicht das Richtige. Meine verschmierten Hände stinken weit weniger, als ich und meine Motorradkombi, als ich wieder zum Straßenrand, an der Einfahrt des Feldweges, zu meinem Motorrad gehe, die kleine olivgrüne Tasche unter dem Gepäcknetz auf dem Soziussitz verstaue, meinen Helm aufsetze, das Bein auf die Sitzbank überschwinge und mein Motorrad starte. Später Nachmittag, schon fast Abend, die Sonne neigt sich dem Horizont, vor mir liegen noch diese fünfzig Kilometer Straße bis nach Hause, durch die goldenen Felder und die ebenso goldene Sonne neben mir.

„Da musst du jetzt durch!“ Was ein echter Motorradfahrer ist, auch mit der bekackten Kombi, die fehlenden Kilometer abreißen. Ich weiß nicht, warum die Autos hinter mir, mich alle überholen, das ist eine Agrar-Gegend, staubende Mähdrescher rechts und links, der Geruch von Schwein und Dünger auf jedem Feld … meine Geruchswolke, die ich hinter mir her schleppe, dürfte gar nicht auffallen. Die nächsten Ortschaften, wenn ich mal an einer Ampel stehe … das Gulli da neben mir, das mache ich für meine stark nach Fäkalien riechende Geruchswolke verantwortlich.

Mein Zuhause erreiche ich noch vor Sonnenuntergang. Das Motorrad ohne Umparken in die Garage fahren. Garagentor zu, Hoftor auf, weiter zur Haustür … der Hund begrüßt mich, kommt aber nicht näher, ich weiß, da ist eine starke Geruchswolke um mich herum.

Die Motorradkombi erst einmal auf der Treppe ablegen, zuallererst – eine Dusche nehmen! Endlich nackt lasse ich das Wasser über meinen Körper perlen. Gründlich abseifen mit Duschbad, das ganze bekackte Bein mit den Schmierstreifen, mein ganzes Hinterteil, bis in die tiefste Ritze.

Auch mit frisch gewaschenen Haaren und mit frischer Unterhose, stehe ich danach wieder draußen. Die Motorradhose lasse ich nicht im Haus, die lege ich draußen im Garten auf einen Stuhl. Morgen werde ich sehen, was ich damit mache. Die Lederhose in die Waschmaschine? Im Wollwaschgang? Danach trocknen lassen und richtig, richtig viel einfetten? Der ganze Aufwand, den Freitag Abend vor meiner Ausfahrt, nur vierundzwanzig Stunden zuvor – ich hatte schon meine ganze Kombi mit Lederreiniger und Lederpflege, stundenlang, viel zu verspätet, mitten in der Saison, endlich eingerieben, um in den zweiten Teil der Motorradsaison zu starten. Und jetzt kann ich nur hoffen, das meine müffelnde Motorradhose noch irgendwie zu retten ist. Ich mag die Kombi, die ist schön, die sitzt, angenehmes Ziegenleder, mit vielen praktischen Taschen, Reißverschlüssen und netten Design-Elementen. Hoffentlich kann ich sie retten … meine alten Lederhandschuhe habe ich nach einem Vollwaschgang auch wieder hinbekommen.

Der späte Abend, die Nacht, der Sonntag Morgen. Das Schamgefühl ist wieder da. Wie bin ich nur in so eine Situation geraten, warum war ich da auf dem Feldweg die ganze Zeit halbnackt? Ich hatte nichts! Keine zweite Unterhose, keine mitgenommenen Feuchtigkeitstücher – auch nicht diese eine, extra gepolsterte Unterhose mit „Windel-Funktion“. Es ist nicht das erste Mal, dass das passiert ist … ich habe mir schon so oft vorher in die Hose gemacht. Mehrere Male die Jeans, unzählige Male die Unterhose. Harn- und Stuhlinkontinenz. „Bis zu fünfmal im Jahr in die Hose machen, hat keinen Krankheitswert, das ist vollkommen normal!“ Das Mantra meiner Neurologin. Ich versuche, daran zu glauben, aber es ist nicht leicht mit Multipler Sklerose.

Ich bin den Sonntag Morgen deprimiert, ich will einfach nur sterben, ich versuche noch immer, das zu verarbeiten, was den Tag vorher passiert ist. Mein Arrangement mit der MS: sollte ich irgendwann mal nicht mehr in der Lage sein, selbstständig auf die Toilette und selbstständig, ohne Hilfe, essen zu können – dann ist es Zeit für mich, mich von den Lebenden zu verabschieden. Kein Suizid-Quatsch, ich will richtige Sterbehilfe, mit Begleitung, Rechtliches und allem drum und dran. Von meinen zwei Punkten, die dafür erfüllt sein müssen, ist einer vielleicht schon eingetroffen. Und der zweite Punkt, mit selbstständig nicht mehr essen können – sollte der eintreffen, kann ich auch selbstständig nicht mehr alles andere tun. Sterbehilfe vorziehen? So lange ich dafür noch in der Lage bin? Dann ist es doch dieser „Suizid-Quatsch“.

Den Sonntag, ich rotiere, die Motorradhose aus Leder ist noch vor dem Frühstück in der Waschmaschine im Wollprogramm gelandet, die braun-gelbe Kacke ist weg, aber leicht müffeln tut sie immer noch. Hängt draußen unterm Dach zum Trocknen. Die Familie empfiehlt ein Lederöl, das zwar drei Tage lang bestialisch stinkt, aber Wunder hilft. Was soll das sein? „Mink-Öl?“ Das vom Nerz? Angeblich sollen damit Pferdesattel eingerieben werden.

Weiter alle meine anderen Sachen, ich gehe nach und nach durch, was kontaminiert wurde. Die Schnürsenkel von den Motorradsneaker, mit in die Waschmaschine (der dritte Waschgang, in dem ich auch mein schwarz-goldenes Glitzerkleid mitwasche und danach alle anderen schwarzen Sachen „glitzernd“ wieder herauskommen), die Sneaker selbst, werden mit Desinfektionsspray eingesprüht. Die grünen Socken sind nicht mehr zu retten, die landen in der Restmülltonne, die hatten eh ein Loch. Meine Motorradhandschuhe, im Waschbecken, mit Wasser und Seife, umgestülpt, um auch an alle Stellen heranzukommen, die Lederteile werde ich irgendwann später die Woche mit Fettcreme eincremen, die nehme ich auch für mich selbst, für meine Haut. Die Motorradjacke, ich setze mich wieder auf einen Stuhl in der Küche und beginne wieder, alle Seiten, vorne, hinten, die Ärmel, mit Lederreiniger und Lederpflege einzureiben, es gibt nur ein paar kleine Abstreifspuren, als ich den späten Nachmittag zuvor auf dem Feldweg vor meiner Lederhose kniete und versuchte, mit fast schon bloßen Händen, alles herauszuwischen. Jedes Mal, wenn ich irgendwas davon sauber mache, ich wasche mir immer wieder meine Hände. Später Sonntag Nachmittag, nach einer Tasse guttuenden Hanf-Tee für meinen Darm, mein Motorrad und mein Auto in der Garage umparken … der Geruch nach Scheiße ist immer noch in meiner Nase, aber vielleicht rieche ich den nur für mich.

Fahre ich das nächste Wochenende wieder Motorrad? Fahre ich zu einem Treffen? Wieder da irgendwo das Nord-Harz-Gebiet? Ich will momentan nicht mehr raus und niemanden sehen. Es hat einen Grund, warum ich Kontakte ablehne und Menschen meide … ich will das niemanden antun, mir zu begegnen, sich mit mir auseinandersetzen zu müssen, von mir in meinen Abgrund gezogen zu werden. Ich bin nicht gut, ich bin krank, ich bin das Elend. War schon immer so, wird auch immer so bleiben. Ich versinke den Sonntag nach Mitternacht in meinem Selbstmitleid und habe den Punkt überschritten, an dem mein therapeutisches Schreiben mir hätte noch helfen können. Selbstmord, Selbstmord, Suizid! Hallo, da bist du ja schon wieder … kannst du auch wieder gehen?

Nachtrag Nummer eins den Montag Abend: Meine Motorradhose hängt in der Küche, ich habe sie komplett mit der Fettcreme eingerieben, die ich auch jeden Morgen für mich selbst da unten herum verwende, hoffentlich zieht sie in das schwarze Leder ein …

Nachtrag Nummer zwei den Dienstag: Ich wollte vor Scham in den Boden versinken … nächstes Mal – und das wird wieder passieren – behalte ich ein Taschentuch über, um damit mein „Scham-Dreieck“ zu bedecken, damit die anderen sich nicht vor mir erschrecken (und wegrennen), wenn ich sie um Hilfe bitte (oder sie sich für mich schämen).

Nachtrag Nummer drei den Mittwoch Abend: Ist die Fettcreme wirklich eingezogen, oder nur an der Oberfläche oxidiert? Die Lederhose ist fast wieder so fest, wie nach den Tag auf der Wäscheleine (draußen bei Regen, unter dem Dach). Nach der Arbeit im Schuhladen ein paar Leder-Pflegemittel gekauft: den Schaum, mit dem ich auch die raue Innenseite meiner Lederhandtasche wieder hinbekommen habe, als darin mal eine ganze, halber Liter Flasche Wasser ausgelaufen ist. Später den Abend, die Motorradhose noch einmal einreiben mit dem neuen Spray, von innen und von außen … wirkt fast wie neu.

Nachtrag Nummer vier, Tage später: Weich ist sie auch wieder geworden und schimmert seidenmatt.

[16.07.25 / 23:10] Den Flyer hatte ich Pfingsten schon mit eingesteckt, Anfang Juli ist wieder das kleine Festival in dem Club in Plagwitz. Da ich das Wochenende zuvor schon kurzfristig mit dem Auto nach Leipzig gefahren bin, nehme ich für dieses Wochenende den Zug. Ganz entspannt nach Leipzig fahren, zweieinhalb Stunden nur die Landschaft vorbeiziehen lassen, mit der Straßenbahn und dem Kombiticket ohne Stress zum Club, Tanzen bis morgens – und dann wieder zurück. So weit der Plan, ich rechne alles durch, es reicht, wenn ich Sonnabend frühestens Mittag aufstehe, die Beine rasiere und mein Outfit wähle, Dusche, Make-up, die kleine Handtasche packen, bis siebzehn Uhr am Bahnhof.

Es regnet den ganzen Tag, ich will das schwarze Spitzenkleid anziehen, das ich Pfingsten zum Gotik-Treffen nicht mitgenommen habe, das Ärmellose. Wetter- und Temperaturabhängig kombiniert … die Nylon-Strumpfhose oder die blickdichte, schwarze Yoga-Hose? Die Mitte, ich wähle die schwarze Baumwollleggings. Schuhe … ich wollte die schwarzen Plateaupumps tragen, aber die sind aus Wildleder, das ist doof im Regen, ich wähle die absatzlosen Doc Martens. Den frühen Nachmittag noch schnell eingecremt.

Das Make-up, nach der Dusche mit dem orientalischen Parfüm und dem obligatorischen Sprühstoß schweres, intensives Parfüm (mit noch extra Patchouli), ich sprenkele den schwarzen Kajal auf das Augenlid, den hinteren Strich ziehe ich vom Lidende mit dem frisch angespitzten Stift zurück zum Auge, den Pinsel ziehe ich an der Stelle in die gleiche Richtung. Leicht aufgetragener, schwarzer Mascara, ich muss unbedingt die feuchten Reinigungstücher für den Morgen danach, zurück im Zug, mit in meine Handtasche packen. Die Brille aufsetzen, es sieht ganz gut aus. Mit dem nächsten Handgriff nehme ich wieder die LED-Leiste von meinem großen Badezimmerspiegel und gehe, fast ausgehbereit, in meinen Flur. Die schwarze Handtasche, die ich immer nehme, die von Coccinelle 2015 in Rom … zur Hälfte gefüllt mit dem schwarzen Kapuzenpullover für später die Nacht. Die Lederjacke anziehen und draußen im Treppenhaus die Stiefel schnüren … freundlicherweise werde ich die letzten Meter durch den Regen von der Familie zum Bahnhof chauffiert. Siebzehn Uhr, der Zug nach Magdeburg und dann der nach Leipzig.

Für das Regionalticket brauche ich noch einen Namen auf dem Papier, in Magdeburg vertrödele ich die Umstiegszeit in einem Krims-Krams-Laden, ich suche so einen Stift mit schwarzer Tinte. Gedankenverloren … meinem Freund, ich habe ihm keine Nachricht geschrieben, ich habe kein Hotel gebucht, er wohnt nicht mehr in Leipzig, wo sollten wir uns treffen? All die letzten Jahre, wo ich immer auf dem kleinen Festival war, die Bands spielen bis weit nach Mitternacht, die Disko geht weiter … irgendwann hatte er mir nicht mehr geantwortet und ich wusste, dass er schon längst eingeschlafen sein muss. Kein Treffen mit ihm, ich versuche es gar nicht erst dieses Jahr.

Der andere Typ da, den ich letztes Pfingsten vor ein paar Wochen in dem Zelt auf dem Mittelaltermarkt getroffen habe, ein neues, potenzielles Casual Date? Er hat dieses Wochenende leider keine Zeit – aber er freut sich riesig, dass ich ihn Wochen später endlich mal eine Nachricht geschrieben habe … vielleicht hätte ich mich doch nicht so kurzfristig melden sollen, ein oder zwei Abende vor meiner Abfahrt nach Leipzig. Ich stehe in der Ecke des Magdeburger Hauptbahnhofes und kritzele mit meinem neu gekauften schwarzen Tintenroller meinen Namen auf das kleine Länderticket auf dem Tresen der Information. Weiter zum Regionalexpress nach Leipzig, der Zug bleibt anfangs leer.

Die schlimmste Toilette, die ich jemals in einem Zug benutzt habe … die Klobrille, die ich herunterklappe, ist vollkommen mit irgendeiner Flüssigkeit bespritzt, ich wische es mit Unmengen Klopapier ab, lege noch mehr Klopapier aus – so ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung ist darauf angewiesen, sich auf eine Klobrille hinsetzen zu müssen! In Gedanken versuche ich mir nur schemenhaft vorzustellen, wie die hochgeklappte Klobrille von der anderen Hälfte der Weltbevölkerung so hinterlassen werden konnte. Ich musste unbedingt auf die Toilette, kurz vor Bitterfeld und Delitzsch … zu geizig und zu eilig, um im Leipziger Hauptbahnhof noch einen Euro in die dortigen Sanitäranlagen zu investieren. 19:50 Uhr kommt der Zug an, Punkt 20:00 Uhr ist Einlass in dem Club – und es gibt nur Abendkasse.

Mit der Straßenbahn weiter die Linie nach Plagwitz, an der Gießerstraße aussteigen … es beginnt heftiger zu regnen. meinen Schirm aus meiner Handtasche holen und aufklappen. 2004 war ich hier den Morgen danach, nach der Gothic-Pogo-Party, in die Straßenbahn zurück zum Hauptbahnhof gestiegen, 2004 war ich das erste Mal in diesem Club, eine Band sehen, die es schon lange nicht mehr gibt.

Ich erreiche den Einlass, den dunklen Weg entlang, die besprühten Mauern, die alten Fabrikanlagen. Draußen steht zwar keiner, aber innen drinnen ist es schon gut gefüllt. Mein erster Weg, nach dem Stempel auf dem Handrücken an der Abendkasse, hoch zu den Toiletten im Obergeschoss – ich habe die Idee, meinen Schirm mit ebenso viel Toilettenpapier trocken zu wischen, bevor ich ihn zusammen zu meinen Pullover mit in die Handtasche legen kann. Wieder runter, die zwei Euro Wechselgeld vom Eingang gleich in eine Flasche Mate-Brause umwandeln.

Mir fallen die zwei gegenüberliegenden Bühnen auf, die große Hauptbühne, wie immer, und die zweite, kleine, die vor dem DJ- und Tontechnik-Pult aufgebaut wird. Prima – wenn ich hier stehenbleibe, brauche ich mich einfach nur umzudrehen und stehe schon vor der nächsten Bühne, bereit für den nächsten Auftritt. Ich mag das neue Konzept, ich hatte mich schon gefragt, wie sie fünf Bands den Abend organisatorisch, mit Umbaupausen, verteilen wollen, ohne dass es wieder bis zwei-Uhr-sonstewas geht. Nur wenige Minuten später, die erste Band fängt schon an.

So ein einzelner Typ, klassisch in schwarzer Lederhose und zerschnittenen, schwarzen T-Shirt mit abgetrennten Ärmeln und ultra viel verschmierter Kajal rund um die Augen. Er performt an seinem Synthesizer und Drum-Computer, oder „Spur-Band-Maschine“ ein paar solide Minimal-Synth-, bereit-für-die-Tanzfläche Musikstücke, der Gesang und das verzerrte Mikro gefällt mir. Ich habe den Flyer mit eingesteckt und hier hängen überall Plakate mit der Running-Order für diesen Abend herum … er kommt aus Norditalien?

Die zweite Band – ich muss mich nur umdrehen und stehe schon direkt davor – dafür bin ich extra hier angereist, die Stimme der Band, die jahrelang schon in meinem Autoradio hoch und runter läuft. Disco Noir … jetzt nur noch die Stimme alleine: Chanson Noir. Ich weiß nicht, welches Pronomen ich für sie oder ihn verwenden soll, der Bandname weist klar auf eine weibliche Adressierung, die Gesangstimme und ihr Wesen auch. Bei ihrer Begleitung, die sie für diesen Abend mit ans Keyboard gestellt hat, ist es einfacher. Chanson ist es nicht, die ersten Stücke gehen ins Post-Rock und Post-Punk … die Zugaben wieder elektronisch, tanzlastig.

Ich sollte mal meine Lederjacke ausziehen, es wird warm in dem Club. Draußen kurz Luft holen, der Regen hat nachgelassen, so kalt ist es nicht geworden. Die zweite Tanzfläche oben war anfangs noch nicht aufgebaut (oder besetzt), für die erste Tanzfläche unten bleibt nicht so viel Zeit zum Tanzen, ich muss mich wieder nur einfach umdrehen und beobachte die nächsten Musiker, ihre Instrumente auf der größeren Bühne vorzubereiten … ein paar große Trommeln, ein Saxophon?

Die dritte Band, aus Polen. Die jungen Musiker spielen das erste Mal in Deutschland. Unerwartete Tempowechsel, ein Schlagzeuger, der seine rohen, Punk-lastigen Texte auf polnisch singt, eine bezaubernde, junge Sängerin und Gitarristin in einem noch viel mehr bezaubernden Schwarz-Bunt-Folklore-Dress-Outfit und zwei oder drei weitere junge Musiker am Bass, Gitarre, Saxophon und Keyboard. Ich bin hingerissen, betitelt als New Wave, könnte das schon in den Jazz-Rock oder Rock-Jazz gehen.

Die vierte Band, der Typ da hinter mir – „Ich muss mich nur umdrehen“ – die runde, schwarze Sonnenbrille, das weiße Hemd, die schwarze Hose, ganz klar franko-belgischer, oldschool Synth-Kram, laut Flyer kommt er aus Frankreich. Seine Titel sind extrem tanzbar, die Menge vor mir bewegt sich weit mehr als ich. „Ich mache ein Schritt zurück!“ Bevor sie mir weiter gefährlich nahe auf meinen Stahlkappenlosen Schnürstiefeln herumspringt. So viel Nebel, so viele LED-Lichter, ein eingestreuter Strobo-Effekt?

Während der Umbaupause, irgendwann muss ich mir eine zweite Flasche Mate-Brause holen, irgendwann muss ich auch mal auf die Toilette. Wieder unten, ich habe die Garderobenhaken an den Wänden entdeckt, Platz für meine Lederjacke und meine Handtasche. Ein extremer Bass föhnt durch meine Haare … ich muss mitten in der Welle stehen, von vorne die PA der nächsten Band, hinter mir die kleine Bühne mit ihren Lautsprechern, dahinter sind erst die Tontechniker. Die letzte Band fängt an, zu spielen, eine Punk-Band aus Deutschland.

„Die sind Scheiße?“ Ich weiß nicht, liegt es an meiner extrem ungünstigen Position mitten im Raum, im Wellental und Wellenberg der aufgebauten Klanglandschaft, oder ist es das ewige Duett der beiden Sänger, der eine geht für mich schon ganz schön in die „Screamo“ Richtung. Ich kann damit nicht viel anfangen, klatsche auch nicht nach jedem Song. Das Publikum, da vor der Bühne, die ersten Reihen, denen gefällt das, die gehen mit. Ich will der Band eine Chance geben, jetzt den Club zu verlassen und mal kurz rausgehen, ist irgendwie doof. In den hinteren Reihen wird es weniger voll, ich kann meine Position leicht um ein paar Meter zur Seite verändern, hier ist der Klang etwas besser.

Ich weiß nicht, wie spät es ist, es muss weit nach Mitternacht sein, aber zwei Uhr – wie die Jahre zuvor – ist es noch nicht. Die Bands sind durch, die DJs legen auf. Die untere Tanzfläche, ich spüre, dass ich etwas taumele, ich will nicht umfallen, in das aufgebaute Equipment der DJs hinter mir auf den Podesten, der eben noch als kleine Bühne genutzten Fläche. Ich ziehe mich an dem Geländer die Treppe hoch zum Obergeschoss, in den Räumen neben der Toilette, die Räume mit den vielen Wänden voller Plakate der letzten zwanzig Jahre, der Rückzugsort, der Chill-out-Bereich, ein paar Sitzbänke.

Das Telefon aus meiner Handtasche kramen … eine Nachricht, nicht von ihm, nicht von dem anderen – eine Nachricht von dem Marokkaner, den ich viele Jahre zuvor mal in einem Swinger-Club kennengelernt habe, mit dem ich mich noch ein paarmal mehr getroffen habe. Mein nächstes Casual Date? Er hält weiter Kontakt zu mir, meldet sich über eine Nachricht ein paar Male im Jahr … er könnte demnächst, vielleicht wieder in der Nähe sein. Ich gebe mich dem Chat hin, wir tauschen ein paar Nachrichten aus. Ein Foto von mir? Das geht nicht, hier in dem Club sind doch Fotos verboten, du bekommst zwei Bilder von mir aus Thailand, die noch auf meinem Telefon gespeichert sind, das eine, wo ich mit den beiden Grazien den Abend in der Bangla Road posiere und das andere, wo ich auf dem Boot bin, in meinem Bond-Girl-Badeanzug, irgendwo in der Phang-Nga-Bucht. Er ist hin und weg. Vielleicht sollte ich ihn wirklich mal wieder treffen? Ich spiele mit ihm.

Die Treppen nach unten torkeln, ein paar Titel tanzen, die Treppen nach oben schleppen, auf der Tanzfläche oben ein paar Titel tanzen. Das ist die größere Tanzfläche, kahle Wände, weißes Licht, herunterhängende Laken, ultra viel Nebel, der DJ hat vor sich ein Gitter. Songs werden gespielt, Deathrock, ich betrete die Tanzfläche, Gothic-Rock, zwei Schritte vor, zwei Schritte wieder zurück, düsterer Wave, der Two-Step, Kopf tief gesenkt, die Flasche theatralisch in der Hand, noch mehr Post-Punk und Gothic-Kram, Dinge in der Luft greifen, die nicht da sind. Das komplette Repertoire. New-Wave-Klassiker, die Windmühlen-Arme.

Wieder unten, meine zweite Flasche habe ich schon wieder leer zurückgebracht, mit dem Pfand, den Eintritt, die beiden Limos hat mich der Abend nur zwölf Euro gekostet? Punker-Schuppen eben. Es ist kurz vor vier Uhr morgens, ich weiß, um 4:25 Uhr oder so, fährt der letzte Nachtbus draußen vor der Haltestelle Richtung Hauptbahnhof ab. Ich will noch nicht gehen, der DJ legt jetzt die Sachen auf, die mich Ende der Neunziger in die düstere Gothic-Szene gezogen haben. „I hate Berlin!“ Ich kann den ganzen Text mitsingen.

Draußen an der Straßenbahn- und Bushaltestelle, Vögel zwitschern, tiefdunkelblaue Farbe kommt zwischen den Bäumen, den Häuserdächern und den durch Straßenlaternen angestrahlten Laubblättern hindurch. Es ist schwül-warm, feucht und doch irgendwie kalt genug, meinen Kapuzenpullover aus der Handtasche zu kramen. In Kleid, Hoodie und Lederjacke stehe ich neben der Laterne am Straßenrand und warte auf den Bus … im Lichtkegel, damit mich der Busfahrer auch sieht, komplett in Schwarz. Ein Bus fährt heran, ich halte die Hand auf, der Bus fährt vorbei. „Dienstfahrt“ – nicht einsteigen. Minuten vergehen, an der Kreuzung dahinten fahren ständig Busse herum … stehe ich falsch? Kommt überhaupt ein Bus? Ist es schon kurz vor fünf Uhr den Sonntag Morgen – schaffe ich meinen Zug überhaupt noch? Der Bus kommt mit zehn Minuten Verspätung, „Jetzt aber schnell!“

Busspuren voller Busse, Straßenbahngleise voller Straßenbahnen, alles fährt zum Hauptbahnhof, das Herz von Leipzig. Mein Zug zurück steht schon bereit, es wären noch zehn oder fünfzehn Minuten Zeit gewesen. Ich muss nicht eine Stunde länger warten, hier irgendwo schon frühstücken, eine weitere Stunde in Magdeburg warten, bis dann irgendwann mal den späten Sonntag Vormittag ein Bummelzug in mein Vorstadtkaff fährt. Zeitlich passt es wieder, wie gewohnt, der Fünf-Uhr-Zug zurück. Die Gänge des Regionalexpresses in Doppeltraktion sind hell erleuchtet, die Toilette ist blitzeblank sauber für meine Erstbenutzung. Die Sitzecken mit der Möglichkeit, sich komplett hinzulegen, sind mir zu exponiert, ich bevorzuge wieder die intime Ecke auf den beiden Sitzen am hinteren Ende des Wagon-Abteils, direkt mit der festen Rückwand, ohne eine Sitzreihe dahinter. Hier ist es dunkel und abgeschirmt genug. Auch wenn draußen schon die Sonne aufgegangen sein muss, die tiefdunkelblauen Regenwolken ohne Regen lassen keinen Sonnenstrahl durch. Ich ziehe mir meine Kapuze tief vor die Augen und lege mich mit angezogenen Beinen auf die beiden Sitzplätze … ungünstig, ich trage ein kurzes Kleid. In der Hoffnung, meine Stiefel decken alles ab, versuche ich etwas zu schlafen.

Delitzsch, Bitterfeld … Roßlau – Dessau muss ich verpasst haben. Ich hätte nicht bis zuletzt stark koffeinhaltige Mate-Brause trinken sollen, vielleicht wäre ich etwas mehr eingeschlafen.

Der Magdeburger Hauptbahnhof, ich bin schon ein paar Haltestellen vorher wach. Zu viele merkwürdige Gestalten, die Bahnhofssicherheit umzingelt ein paar Trinker oder Obdachlose, die Bundespolizei ein paar andere ihr verdächtig erscheinenden Wesen der Nacht. Ich laufe daran vorbei … in Schnürstiefel, schwarzer Leggings, kurzes, schwarzes Röckchen, Lederjacke und die Kapuze des schwarzen Baumwollpullovers darunter weit ins Gesicht gezogen, von mir sind nur die langen, blonden Strähnen zu sehen und meine schwarz geschminkten Augen. Zum Bäcker da vorne, ein Schoko-Croissant bestellen, das, was ich hier immer um sieben Uhr Sonntag morgens, die Nacht zurück aus Leipzig, mache.

Draußen am Ausgang verdrücke ich mein Croissant, immer wieder mit dem Finger die Haarsträhnen unter der Kapuze wegschieben.

Wieder zurück in dem Regionalzug in mein Kaff, jetzt kommen die Abschminktücher zum Einsatz, die ich extra mitgenommen habe, diese Minuten vor dem Spiegel zu Hause, kann ich einsparen, bin damit viel schneller im Bett, ich habe die letzten Fahrten mindestens zwei Frauen gesehen, die das auch so machen.

Wieder zu Hause, den Weg vom Bahnhof zurück die zwei verschlafenen Straßenecken, wenigstens regnet es nicht. Routiniert meine Tasche auf die Leopardendecke auf meiner Couch schmeißen, nur das Smartphone und Zahnpasta und Zahnbürste da raus nehmen (ich war doch auf Übernachtung eingestellt), alle Fenster öffnen, ins Bad, und wieder zurück ins Schlafzimmer. Fenster wieder zu und schwere Gardinen davor … hoffentlich lässt das Koffein nach, hoffentlich kann ich einschlafen. Gefühlt 8:30 Uhr, ich blicke nicht auf die Uhr von meinem Smartphone, ich ziehe meine Bettdecke über den Kopf und schlafe ein. Wenigstens drei, vier Stunden bis Sonntag Mittag.

Über zwanzig Jahre solche Partynächte …

[08.07.25 / 23:12] Ein Bikertreffen das erste Juliwochenende, ich habe mein Motorrad den Abend schon wieder zwanzig Kilometer zurück in meine Garage gebracht und bin mit dem Auto wiedergekommen. Ich sitze auf einer der Bänke unter einem großen Partyzelt und schaue mir die Band auf der kleinen Bühne an, die die großen Rocksongs der vergangenen Jahrzehnte covert. Es ist kurz vor Mitternacht und dich trinke vielleicht den fünften Plastebecher Wasser. Eine Frau setzt sich zu mir: „Weißt du, wer ich bin?“ Ich glaube, schon. Es gibt mindestens drei schwarzhaarige Frauen hier in Rocker-Klamotten, die für mich gleich aussehen. Es ist die eine vom letzten Bikertreffen, die mir den Morgen nach dem Zelt das Frühstück serviert hat. Die Motorradclubs besuchen sich gegenseitig den Sommer auf ihren Treffen. Sie arbeitet bei ihrem Club schon seit Anfang an.

„Wir beobachten dich schon seit fünfzehn Jahren, du kommst jedes Jahr zu uns“, nicht ganz, manchmal ist das Wetter nicht so, „Wir haben deine Verwandlung von Anfang an miterlebt.“ Sie erzählt weiter, dass sie eine Bekannte hatte, deren Tochter ist genau so wie ich … sie lebt jetzt auch als Frau.

All die Jahre, als ich 2008 mein Motorrad gekauft habe, 2009 (oder 2010) das erste Mal auf einen ihrer Bikertreffen war, ich denke, ich habe mich optisch nicht verändert, ich war schon immer so, lange, blonde Haare, feminine, zierliche Figur. Immer zwischen den Menschen, aber nie nah und möglichst keine Gespräche. „Ich kann doch mit dir reden, wenn das nicht unangenehm für dich ist.“ Mittlerweile bin ich offener für Menschen, ich habe das letzte Jahr mehr Kontakte zugelassen, bin schon fast in einer Gruppe Motorradfahrer integriert, die sich lose auf den Treffen hier in der Region trifft. Gesichter erkenne ich erst, wenn ich sie Jahr für Jahr immer wieder sehe. Habe ich mich wirklich verändert, ist meine Wandlung über die letzten fünfzehn Jahre sichtbar?

Das autistische, asexuelle Etwas, gefühlt bin ich es immer noch. Die zugängliche Frau, die Motorrad fährt und irgendwie doch selbstbewusst die Anmachsprüche der Männer kontert … (noch längere Pause) … ich bin vielleicht das geworden, was ich immer sein wollte.

[06.07.25 / 19:57] Fahre ich zum CSD nach Leipzig? Es fühlt sich komisch an, ich weiß, das Wochenende naht und ich bin bis jetzt jedes Jahr zum CSD nach Leipzig gefahren. Nur dieses Jahr nicht. Stealth trans, alles vermeiden und leugnen, was auf meine verborgene Vergangenheit hindeuten könnte. Für das letzte Wochenende im Juni ist ein Nachmittag und ein Treffen mit den Arbeitskolleginnen in einer Strandbar an der Elbe geplant, das Wetter ist schön, angenehmer Sonnenschein, kein Regen, ein schöner Sommertag. Ich weiß genau, was ich anziehen werde – das neue, schwarze Kleid mit dem goldenen, aufgedruckten Paisley-Muster, superkurz, fast eine Tunika und weite, ausladende Ärmel, Bohéme-Chic.

Ich stelle mich schon darauf ein, den Sonnabend ganz entspannt zu beginnen, frühestens um elf Uhr den Vormittag aufstehen … so gegen neun, ich wache auf und prüfe das Smartphone neben meinem Bett. Abgesagt. Alles umplanen, das muss jetzt schnell gehen! Dann fahre ich eben doch nach Leipzig! Ich springe aus meinem Bett, hätte ich geplant, nach Leipzig zu fahren, hätte ich den Zug genommen, da wäre noch eine Party nach der Demo, in Connewitz. Beine rasieren, für mein Kleid, den Zug schaffe ich schon lange nicht mehr, ich nehme das Auto. Ein Frühstück draußen auf der Terrasse im Garten, keinen Kaffee, keine Zeit, die Tasche zusammensuchen – ich nehme die schwarze Stoffhandtasche – nur leichtes Gepäck. Kein Übernachtungs-Kit. Der Parfümstoß schweres, orientalisches Parfüm und ich bin draußen in der Garage in meinem Auto. Wenn ich es bis um elf hierhin schaffe, dann fahre ich los.

Auf der Autobahn, ich wollte es langsam angehen, die Geschwindigkeit auf der linken Überholspur wird immer schneller. 120, 130 … 150, 160? Ein Auto bremst, irgendwo da vorne, kurz vor Halle, kurz bevor die Autobahn dreispurig wird. Ich drücke auf die Bremse, ich stehe schon auf der linken Spur, vor mir die Bremslichter des vorausfahrenden Autos. Puh, das war knapp, das hätte auch schief gehen können.

In Leipzig, Blinker rechts auf meine Ausfahrt, ich weiß, wo ich parken kann, wenn in der Innenstadt wieder so viel Verkehr ist, wenn da wieder die Polizei alles wegen der Demo absperrt, wenn da wieder irgendwelche Faschos irgendwelche Gegen-Demos anmelden – ich parke weit abseits in der Gegend, wo ich mal gewohnt habe. Ich biege die Straße bei meinem Lieblings-Bäcker ein, bestimmt habe ich hier auch mal vor Jahren schon mein Auto unter den Bäumen und auf diesen Kopfsteinpflaster geparkt.

Nur fünf Straßenbahnstationen zum Hauptbahnhof, keine Kurzstrecke, ich muss das volle Ticket aus dem Automaten ziehen. Mit dabei neben meinem ultrakurzen Kleid / Tunika habe ich noch meinen Strohhut und die Hi-Top-Sneakers gewählt. Kapuzenpullover bleibt im Auto.

Am Hauptbahnhof vorbei, die nächste Station zum Augustusplatz … werden viele gekommen sein? Die Rechten und ihre Gegen-Demos vom letzten Jahr, das schreckt ab, das macht Angst, ich wollte doch auch nicht mehr kommen. Ich steige aus der Straßenbahn aus und laufe rüber zu dem großen Platz vor der Oper. Es sind doch einige gekommen, nicht so viele wie letztes Jahr, vielleicht gefühlt ein Drittel weniger, aber doch eine starke Demo.

Viele Plakate, viele Fahnen, Regenbogen, bunt, unterschiedlichster Art. Ein paar starke Drag Queens, die „Tier-Liebhaber“, jetzt in militanten Tarn-Uniformen. Die Ordner, die fast schon aussehen, wie in den USA mit ihren taktischen Westen und dem halbautomatischen Schnellfeuergewehr – zum Schutz der queeren Demo – entdecke ich nicht. So schlimm ist das hier noch nicht in Deutschland. Es dauert, ehe sich irgendetwas zwischen den bereitstehenden Demo-Trucks bewegt, eigentlich hätte ich mich gar nicht beeilen müssen, eigentlich hätte ich noch eine Stunde Extra-Zeit gehabt. Noch schnell einen Kaffee? Nein, doch nicht, ich nutze die Zeit zwischen den Arkadengang und den Bäumen am Eingang der Fußgängerzone zum Eincremen meines ganzen Körpers, Arme, Beine, Brust und Gesicht, mit Sonnencreme aus meiner schwarzen Umhängetasche.

Es geht so langsam los, es sind noch viel mehr Leute gekommen. Ich glaube, die meisten Menschen sammeln sich am hintersten Ende, den letzten Wagen, der linke und antifaschistische Block. Der Block mit den schönen Menschen. Techno-Musik wird aufgelegt, immer wieder Rufe, die bekannten Sprechchöre, kraftvoll und voller Wut. Wo sind sie, die Rechten? OK … keiner da, nichts zu sehen, die Polizei hat alles im Griff. Früher auf den linksextremistischen Demos, hätten wir die Polizei angegriffen, aber das ist hier der CSD, da sind das unsere „Freunde“, ohne dass wir denen so hundert Prozent vertrauen …

Ich tanze hinter den Trucks, auf den Kreuzungen ändert sich mein Blick und meine Bewegung, ich blicke in die Straßen rechts und links, nicht alle sind mit Polizeifahrzeugen blockiert, hier und da entdecke ich ein Auto von einer Seitengasse auf die Nebenstraße einbiegen … wenn der jetzt Gas geben würde. Ich befürchte schon lange so ein Attentat auf einen CSD hier irgendwo in Deutschland, es ist nur eine Frage der Zeit, bis so ein verrückter (wieder) kommt. Schnell wechsele ich von meinem militärischen Aufklärungsmodus wieder in den entspannten Tanz-Modus. Ich vermisse die Zeiten, wo das alles noch ein Riesen-Spaß war, einfach nur ein bisschen Party machen und richtig schöne, bunte Menschen entdecken. Irgendwann, die letzten Jahre, wurde es zu politisch und das zieht immer Gegner und Hass an.

Die Demo zieht durch die Innenstadt von Leipzig, sie haben mit zehntausenden Menschen gerechnet, um diese Masse zu bewältigen, muss die Demo in einem größeren Kreis um den Innenstadtkern herumgezogen werden. Die Sonne brennt, mein Tunika-Kleid sah erst zu Hause im Garderobenspiegel zu ungewohnt kurz aus, jetzt bin ich glücklich, nicht noch eine Leggings darunter angezogen zu haben. Die erste Flasche Wasser habe ich schon ausgetrunken, ich wechsele auf die zweite Flasche. Ich komme in ein kurzes Gespräch mit dem Nachbarmann neben mir, mein Blick wandert von dem Aufklären der Nebenstraße zu ihm. Ein kurzer Aufschrei von hinten, ich habe meinen Blick schon gesenkt, ein kleines Mädchen sammelt vor mir die bunten Glitzerstreifen der Demo auf. Ich bleibe stehen, ziehe meinen rechten Fuß langsam zurück. Puh, das war knapp, das hätte auch schief gehen können! Ein zweiter, solcher Moment. Nur wenige Zentimeter, ich hätte ihr auf die kleinen Hände getreten. Ich glaube, ich bin hier auf dieser Demo in einem so hohen Adrenalin-Spiegel, ich bekomme alles mit … und ich bin auch bis oben dicht mit weiblichen Hormonen, mir fällt jedes kleine Kind hier auf und aktiviert meinen Beschützerinstinkt.

Am Marktplatz und Hauptbahnhof vorbei, wieder zurück auf den Augustusplatz zwischen Gewandhaus und der Oper. Nach der Demo ist das Fest mit der Bühne auf dem großen Platz. Ich mache noch eine Runde zwischen den aufgebauten Ständen, bis ich einen entdecke, irgendwo steht immer einer von einer Organisation für trans Menschen. Eine blau-weiß-violette Postkarte, „Trans is beautiful“, ziert von nun an die untere Ecke meines Garderobenspiegels zu Hause im Flur. Lange bleibe ich nicht zwischen den Ständen, die heiße Sonne drückt und ich habe auch nicht so das Interesse an dem Bühnenprogramm. Zurück in die Innenstadt, die Fußgängerzone, den frühen Sonnabend Nachmittag, ein Eis essen.

Weiter zum Marktplatz, weiter zu meiner obligatorischen Runde in dem Kaufhaus. Angenehm klimatisierte Temperaturen, die Summer-Sale-Kleiderständer mit den Augen abstreifen … mein Filter sucht ein schwarzes Polo-Kleid. Für einen kurzen Moment, Anfang des Jahres, sah es so aus, als könnte es wieder modern werden. Leider nicht, es ist kein Trend daraus geworden, ähnliche Safari-Kleider finde ich auch nicht mehr.

Weiter zu Kaffee und Kuchen auf dem kleinen Platz am anderen Ende der Leipziger Fußgängerzone mit der Kirche, die „irgendetwas mit Bach“ zu tun hat. Mein erster Kaffee für diesen Tag. Weiter danach, zurück in die Fußgängerzone hinein, in das italienische Restaurant versteckt in einem schattigen Innenhof, den Menschenmassen entfliehen, eine Pizza bestellen.

Ich wohne nicht mehr in Leipzig, eine Dusche wäre jetzt nett – und dann den Abend zu der Party irgendwo in Connewitz. Von irgendwo höre ich die Kirchenglocken, es muss achtzehn Uhr oder so etwas sein. Die Pizza bezahlen, die Straße wieder rauf zum Hauptbahnhof laufen, die große Uhr an dem imposanten Gebäude zeigt es an, es ist bereits irgendwo zwischen achtzehn und neunzehn Uhr.

Die Bahnhofstoilette, mein zweites Badezimmer – ich verbringe hier immer viel Zeit. Nur ein Euro und ich habe die großen Waschbecken und Spiegel für mich. Mit viel Seife und noch viel mehr Papiertüchern zum Abtupfen, wasche ich mir die ganze Sonnencreme von meinem Körper … Beine, Arme, Brust und Gesicht, nur das Kleid kann ich hier nicht ausziehen, das geht nicht, zumindest trage ich eine etwas längere, schwarze Unterhose, nicht den knappsten und kürzesten Tanga. Es geht ungewöhnlich gut, keinen Stress, ich nehme mir meine Zeit. Wechsel zum Schminkspiegel hinter mir, den schwarzen Kajalstrich an den Augenlidern führen … das hintere Ende geht jetzt mal vom Lidende zurück zum Auge. Ich habe den falschen Pinsel aus meiner Kosmetiktasche gegriffen, der ist eigentlich für den Lidschatten, die rauchig schwarzen Augen wirken jetzt noch viel rauchiger. Mit dem Finger leicht nach unten ziehen, die schwarze Farbe kommt über das untere Augenlid und dem Wimpernkranz. Wieder die Brille aufsetzen und so übel ist das jetzt nicht geworden. Bereit zum Ausgehen nach Connewitz.

Mit der Straßenbahn zurück zum abgestellten Auto und dann mit offenen Verdeck in Richtung Südstadt und weiter zum Kreuz, mein Parkplatz am Werk 2, wo ich wenige Wochen zuvor, Pfingsten schon war. Wo ist der Einlass, die große Halle hinten oder die kleinere Halle vorne? An der Halle hinten stehen Menschen, erst mal mit anstellen, eine Ticket-Kasse – hier ist den Abend eine kontemporäre Tanzvorführung … wäre bestimmt auch interessant gewesen, aber dafür bin ich nicht hier. Zurück zum Eingang der kleineren Halle mit dem Zugang nach unten. Ein aufgestellter Plakatständer weist darauf hin, dass hier heute Abend die queere Party-Nacht läuft. Einlass ist erst zwanzig Uhr.

Die ersten Gäste sammeln sich und warten, dann der Einlass … ich muss Eintritt bezahlen? Im Internet stand, dass das hier heute kostenlos ist – nur das „Speed-Friending“ von zwanzig bis zweiundzwanzig Uhr ist kostenlos, die Party danach nicht, die kostet fünfzehn Euro. Ich bekomme ein Papierbändchen um mein Handgelenk für die Party danach.

Unten im Club-Keller, auf der dunklen Tanzfläche sind einige Stehtische aufgebaut, mit großen Papieren mit Themenvorschlägen für Fragen und Dinge, über die sich die anwesenden Gäste unterhalten könnten. Seitlich sind auch wieder ein paar niedrige Tische mit Sitzgelegenheit und noch viel mehr Themenblätter aufgebaut. Die Organisatorin erklärt das Ganze, setzt euch einfach irgendwo dazu, beginnt ein Gespräch oder hört einfach nur zu. Am Eingang, an dem ersten Bartisch liegen die Aufkleber: deine Pronomen, dein Geschlecht und was du suchst, Flirt, Freundschaft oder einfach nur nichts. Ich kreuze Flirt und Freundschaft an und setze mich in die Hobby-Ecke, über Hobbys erzählen, das kann ich, ich habe interessante Hobbys.

Smalltalk, ungezwungen, den anderen zuhören, Fragen stellen. Meine Hobbys sind Blog-schreiben und Motorradfahren. Und was habt ihr so für Hobbys? Vielleicht ergibt sich ein Flirt, vielleicht lerne ich jemanden kennen, vielleicht entdeckt jemand die kleine dahingekritzelte Zeichnung auf meinem großen, runden Aufkleber auf meiner Handtasche – ich suche eine Dusche (vielleicht auch eine Übernachtungsmöglichkeit). Ich stehe noch an weiteren Ständen, für „Self-Care“ und Smalltalk allgemein … aber es ergibt sich nichts weiteres. Muss es auch nicht. Die zwei Stunden gehen sehr schnell rum. Ich bedanke mich bei der Organisatorin gegen Ende dieser ungewöhnlichen Veranstaltung, ich kann doch auch auf Menschen zugehen und ein Gespräch beginnen … vielleicht habe ich nur nicht so interessante Hobbys.

Wieder draußen, alle müssen raus zum Umbau. Das Absperrgitter wird wieder vor die Eingangstür geräumt, die Wartelinie für den Einlass. Wieder die Menschen mit der Aufschrift „Sicherheit“ auf ihren Westen. Ich habe meinem Freund keine Nachricht geschrieben, er weiß nicht, dass ich in Leipzig bin. Ohne ein Hotelzimmer macht das keinen Sinn, wo sollte ich mit ihm hin? Und hier hat er jetzt Probleme mit der Security. Ein Awareness-Team mit den lila Westen gibt es diesen Abend auch.

Der Einlass öffnet sich wieder, ich gehe mit meinem Papierbändchen durch. Es kommen mehr Leute, aber viele sind es nicht. Die erste DJane legt einen Neunziger-Jahre-Eurodance-Hit nach dem anderen auf. Ich habe da nie zu getanzt. Bei „Barbie Girl“ muss ich dann doch auf die Tanzfläche. Die meiste Zeit sitze ich in der dunkelsten, hintersten Ecke auf einem Barhocker an einen der Stehtische. Der eine Mann, der sich zu mir gesetzt hat, für den ich immer auf seine Tasche aufpasse, wenn er nach draußen eine Zigarette rauchen geht oder an die Bar, ist mindestens auch zwanzig Jahre älter als die anwesenden Gäste, die auf der Tanzfläche herumhüpfen. Er kennt die Songs bestimmt noch von früher, Anfang und Mitte der Neunziger. Ich auch, ich habe mich 1997 mit fünfzehn von der Teenie-Disko in die Erwachsenen-Disko danach geschmuggelt.

Irgendwann nach Mitternacht, die DJane hat gewechselt, die neue legt jetzt 2000 oder 2010er auf, damit kann ich nichts anfangen, da war ich schon tief in der Gothic-Szene. Den einen Mann begegne ich noch am Ausgang, ich bemerke seine grauen Haare, er war tatsächlich wesentlich älter, als die da drinnen. Bleibe ich noch? Wird es besser? Ich bin mit dem Auto hier, ich weiß, dass ich dann nicht so lange bleiben kann, ich will nach drei Uhr den Morgen nicht mehr fahren. Ich sehe, dass sich an der Einlassschlange nicht so viel mehr tut, es kommen zwar noch ein paar, aber voll wird das hier nicht. Zurück zu meinem abgestellten Auto.

Die Nacht die Autobahn zurück nach Hause, ein angemessenes Tempo. Jedes Kilometerschild wird die Zeit zurück geschätzt, noch vierzig Minuten, noch dreißig Minuten … bis nach Magdeburg. Im Autoradio laufen die ganzen Bands vom MP3-Stick, die ich Pfingsten live gesehen habe. Gedanken … das Kleid ist schön, das sollte ich die nächsten Tage noch einmal auf Arbeit tragen. So eine aggressive Gegen-Stimmung war es doch nicht auf dem CSD, verschwindet die queere Bewegung aus dem Fokus? Hier und da Nachrichten aus meiner Blase, die das nicht bestätigen. Weitere Termine in meinem Kalender, noch ein Bikertreffen, noch ein Festival in Leipzig – ich bin die nächsten Wochenenden noch viel mehr unterwegs. Zwei Uhr und nochwas, das Garagentor geht auf, endlich in meiner Wohnung, endlich in mein Bett fallen. Sachen von meiner Couch zusammenräumen, mache ich den Sonntag in ein paar Stunden, nur wieder schnell im Bad den Kajal aus den Augen wischen. Habe ich jemals jemanden kennengelernt, als ich noch stark geschminkt war? Ja, aber da war ich noch viel jünger.

[01.07.25 / 21:35] Laserbehandlung #1 (Haarentfernung #32) – Seit einiger Zeit beobachte ich wieder einige dunkle Schatten am Mundwinkel und der Bereich am unteren Kinn, während ein paar langen Wochenenden dieses Jahr (Ostern, Erster Mai) zeigten sich einzelne, dunkle Haarstoppeln … ich muss wieder einen Termin bei meinem Kosmetikstudio machen! Auf der Internetseite – der Name des Studios hat sich verändert, aber die Adresse und die Inhaberin sind noch gleich, eine Email, ein Telefonanruf … frühestens Anfang Juli ist noch ein erster Beratungstermin wieder frei. Sie haben ihre Ausrüstung modernisiert, zusätzlich zu IPL bieten sie jetzt auch Laser- und Nadelepilation an … ich bin gespannt.

Mein Termin, die Bartstoppeln wachsen lassen, das Wochenende und die ersten Tage der Arbeitswoche – da muss ich jetzt durch. Ich lege mir schon eine Ausrede zurecht: „Jetzt ist es raus, mein Geheimnis, ich bin eine bärtige Drag Queen!“ Aber anscheinend fällt es niemanden auf, ich bekomme sogar Komplimente für mein hübsches Kleid (das vom letzten CSD in Leipzig). Die kratzigen Bartstoppeln sind nur einen Millimeter dick und weitestgehend hellblond.

Die Kosmetikerin schaut sich das alles unter der hellen Lampe an, die zehn oder fünfzehn dunklen Haare kann sie gleich in der ersten Sitzung mitbehandeln, sie schlägt den (kosmetischen) Laser vor, der wirkt punktuell. Die anderen, hellen Haare, vielleicht später bei den nächsten Sitzungen mit der Nadel. Ich liege wieder auf der Liege in dem Behandlungsstudio und bekomme die Laser-Brille auf.

Fast keine Schmerzen. Es fühlt sich an, als würden sie nur ausgezupft. Der Geruch verbrannter Haare. Ist es das? Kein Vergleich zu meinen allerersten Sitzungen von vor über zehn Jahren, als noch großflächig mit viel Druck und brutalen Schmerzen bis auf den Knochen der ganze, verdammte Bart vaporisiert wurde. Am Bezahlterminal wieder draußen, zücke ich meine EC-Karte … so viel Geld für die paar Piekser. Wenn es nicht brutal wehtut, bringt es nichts? Vielleicht sollte ich von meinem Erwartungs-Denken abrücken. Haarentfernung muss nicht schmerzhaft sein.

[24.06.25 / 00:07] Jetzt kommt alles zusammen, das Wetter passt, mein neuer Schlafsack, die neue, schmalere Isomatte, das kleine Biwak-Zelt und die schwarze Motorradtasche vom letzten Jahr – ich fahre Zelten! Mit dem Motorrad!

Das Bikertreffen, wo ich immer bin, jedes Jahr (wenn das Wetter passt). Das Treffen zur Sommersonnenwende, mit dem wunderschönen Blick über die Felder, bei dem die Sonne nie wirklich richtig untergeht und ein leichter Schein von West nach Ost zieht. Sonnabend Morgen, meinen Körper vorbereiten, alle Stellen rasieren, ich könnte meinen Bikerfreund treffen, er hat eine Nachricht von mir bekommen. Eigentlich passt mir das zeitlich nicht, ich will dort die Nacht in meinem Zelt schlafen und nicht bis morgens früh mit seinem Kombi irgendwo in einem hellerlichten Waldweg „entführt“ werden … aber irgendwie wäre es unfair, ihn nicht einzuladen. Er mag die Musik, er fährt Motorrad.

Das Abenteuer beginnt

Sonnabend Mittag, ich suche meine Camping-Ausrüstung zusammen und packe alles in die große, schwarze, wasserdichte Tasche. Mit hinein kommt noch die kleine Waschtasche, die Stoffhandtasche, der schwarze Kapuzenpullover, die Stretch-Jeans und ein schwarzes Top, zum Schlafen. Turnschuhe haben nicht mehr reingepasst, ich nehme die Latschen, mit denen ich schon ganz Thailand abgelaufen bin. Die Rolltasche lässt sich gerade noch so verschließen. Daraufsetzen und die schwarzen Plaste-Clips mit den Gurten einrasten lassen. Die ganze Tasche wiegt jetzt bestimmt mehr als fünf Kilogramm … und mein Leoparden-Kopfkissen? Ohne das kann ich nicht schlafen – ich muss irgendwie noch einen schwarzen Stoffbeutel mit dazu anhängen. Runter zur Garage und die schwere Tasche im „Vier-Punkt-System“ auf der schmalen Rücksitzbank meines Motorrads befestigen. Die zwei mitgelieferten, schwarzen Spanngurte kommen nach vorne an die Tasche und die zwei Befestigungs-Pins für Motorradkoffer, die ich nicht habe. Die anderen beiden Spanngurte – noch die von der nie stattgefundenen Motorradreise nach Italien – wickele ich mehrmals um den Gepäckträger, bis sie genug Zug haben und die Reisetasche vom Heck her stabilisieren … wird schon irgendwie halten, sind nur zwanzig Kilometer bis zum Treffengelände auf dem Sportplatz, irgendwo ein Dorf in Sachsen-Anhalt.

Schnell noch Mittagessen, Motorradkombi anziehen, die Motorradsneaker, schön winddurchlässig bei dem angenehmen Sommerwetter. Vierzehn Uhr will ich da sein – werde ich dann noch einen Zeltplatz finden? Ich habe drei Optionen: tatsächlich zelten, nur mit dem Schlafsack und Isomatte über offenen Sternenhimmel neben meinem Motorrad pennen oder gegen vier Uhr morgens wieder abhauen, da ist es schon hell und ich kann mit meinem dunklen Visier fahren. Durch ein paar Wälder und Wiesen auf der Landstraße dem Treffengelände entgegen … schön langsam, so viel schweres Gepäck hinten drauf bin ich nicht gewohnt (ich war extra noch kurz vorher an der Tanke, noch „Null-Komma-Zwei Atü“ mehr Luft hinten aufpumpen).

Ich fahre auf das Treffengelände ein, mein Motorrad auf dem Weg neben dem Sportplatz abstellen und die Tasche abschnallen, wenige Minuten später auf der kleinen Zeltwiese: alles ist noch frei! Ein paar Camper, eine Handvoll Zelte, ich wähle den Platz in der hintersten Ecke neben einem Wohnmobil. „Hier standen bis heute Morgen noch ein paar, aber die sind abgehauen.“ Schön für mich, die Ecke ist schattig unter einem Baum – und wenn die Morgensonne dann auf mein Zelt fällt? Wird sie nicht, ein anderer Baum wirft von der anderen Seite dann auch einen Schatten auf diese kleine, mit Heu gepolsterte Stelle, in der ruhigsten Ecke der Wiese … „Aber das kann ich jetzt noch nicht wissen.“ (Svendura)

Das Zelt ist gefühlt innerhalb von einer halben oder einer ganzen Stunde aufgebaut, endlich haben die Heringe auch einen Verwendungszweck (Probeaufbau auf dem Dachboden letztes Jahr). Ich visualisiere mein kleines Camp und weiß schon genau, wo ich das Motorrad daneben stellen werde. Wenige Minuten später steht es auch da und eine grüne BW-Leine von der Motorradgabel hinüber zur aufgespannten Luftluke von meinem Zelt trennt einen kleinen Privatbereich ab, auf dem ich mein ganzes Gepäck ablegen kann. Umziehen auf die Jeans und die Latschen. Als T-Shirt trage ich schon die ganze Woche das mit den zwei Wölfen vorne drauf.

Das Bikertreffen, die Motorräder, die von der Ausfahrt zurückkommen, so viele Leute, wie da sind, und so viele Motorräder – weitestgehend nur Chopper und Cruiser – wie jetzt auf dem Weg neben dem Sportplatz stehen, es ist ein reines Bikertreffen. Nicht so viele, wie in den letzten Jahren, aber die paar, die noch mit ihren Gepäckrollen hinten drauf anreisen, als ob sie alle noch zelten. Der Weg mit den Bäumen neben dem Sportplatz erfreut sich größerer Beliebtheit … die paar wenigen Schattenecken auf der Wiese sind schon „belegt“.

Ich werde erkannt, ich komme schon seit 2009 oder 2010 hierher. Eine Frau fragt mich, ihre Kumpels meinen, dass ich ein Mann bin, sie selbst ist überzeugt davon, dass ich eine Frau bin. „Ich bin eine trans Frau, von männlich zu weiblich.“ Offene Ehrlichkeit, die kennen mich hier schon etwas länger. Optisch sehe ich immer noch gleich aus, zierliche Gestalt, lange, blonde Haare – und immer noch dasselbe Motorrad, die VT 750 die irgendwo dahinten mal wegen schwacher Batterie nicht mehr wegkam und von einem VW Transporter Starthilfe bekam, bei der dann endgültig alle Sicherungen durch waren und nur mit einem einfachen Überbrückungsdraht und Anschieben gerettet werden konnte. Biker-Geschichten.

Noch laufe ich alleine durch die Gegend, ein paar bekannte Gesichter … ich merke mir nur die Gesichter, die ich Jahr für Jahr immer wieder sehe. Mein Motorrad ist mein Erkennungszeichen. Ich warte auf die beiden, die ich von den letzten Treffen kenne, auch Honda- und Suzuki-Fahrer. Der Nachmittag geht so dahin, ein Becher Wasser nach dem nächsten, hin und her wechseln zwischen Treffengelände, dem Weg und dem Zeltplatz, Motorräder bewundern. Einen kleinen Becher Kaffee auf meinem Motorrad sitzend trinken.

„Hey, hier sind wir!“ Es muss schon abends sein, oder zumindest ganz, ganz, später Nachmittag, die beiden sind angereist und bauen ihr Zelt auf der Wiese auf. Fast wären wir Nachbarn, aber die Zeltwiese ist klein, hier sind alle Nachbarn. Der eine Typ und sein Kumpel. Der eine Typ, der mich das letzte Mal so angebaggert hat und ganz nah mit mir tanzen konnte … bis ich dann mit einem anderen Rocker in Lederkutte tanz. Ich erzähle ihm von meinem Bikerfreund, wie er das letzte Treffen vor ein paar Wochen seine Ex-Frau mit dabei hatte … vielleicht sind die beiden wieder zusammen und ich bin nicht mehr so im Fokus. Und er hat sich bis jetzt noch nicht wieder gemeldet, meine Nachricht an ihn, gestern. Mein Typ da neben mir sieht jetzt seine große Chance gekommen, er wird die nächsten Stunden um mich herum sein.

Die Biker-Party nimmt Fahrt auf, zwei Bands spielen auf der kleinen Bühne, der Bierstand ist umzingelt von Kerlen in ihren Kutten, hier und da die Ladys. Die Sonne geht unter, mein Typ holt sich ein Plastebecher Bier nach dem anderen. Motorradfahrergespräche mit den Leuten, noch mehr bekannte Gesichter. Vor der Bühne abrocken, der Band zujubeln, obskure Wünsche für Cover-Songs zurufen. Er hat Spaß. Er mustert mich ab und zu, ich blicke weg, gebe die Unnahbare, bekomme aber alles mit. Er versucht immer wieder ein Gespräch mit mir, kann meine Hand anfassen, ich erlaube ihm sogar einen Blick auf meine Fußknöchel und schwärme von dem „Viktorianischen Picknick“ zwei Wochen zuvor. Er geht weiter, will mit mir tanzen … seine Zunge und einen Kuss auf meinen Handrücken. Ich zücke das weiße Papiertaschentuch aus meiner Jeans und wische alles weg. „Jetzt kann ich mir schon wieder die Hände waschen.“ Ich weise ihn immer etwas zurück, aber nie so direkt. Erst viel später den Abend, als mir das alles zu viel wird. In Gedanken: „Wo ist mein Awareness-Team?“ Ich tendiere dazu, doch das Wort „Nein“ mehr und deutlicher zu gebrauchen. Zu gefährlich, die Momente, in denen er es doch schafft, näher mit mir zu tanzen, bin ich nur einen Moment entfernt, mit ihm ins Bett zu gehen. Und er hat überhaupt keine Ahnung, wer oder was ich bin.

Irgendwann nach Mitternacht, im dunkelsten Dixi-Klo, ich habe schon wieder meine Jeans bepinkelt, die ich gerade erst gewaschen habe. Die Stimmung zeigt mir, die Party geht gegen Ende. Die zwei Bands sind durch, eine Stripperin tritt noch vor der Bühne auf und kokettiert ihre beiden „Opfer“ mit den verbundenen Augen mit ein paar „Trans Panic“ Momenten oder erzwungen homoerotischen Szenen. Ich stehe nur wenige Meter als Zuschauerin daneben in erster Reihe und kann das alles schmunzelnd hinnehmen. Nicht so ernst nehmen.

Nach der Strip-Show, ich sehe einen Mann und eine Frau im gar nicht mehr so zahlreichen Publikum – er ist es. Mit seiner Ex-Frau. Ich traue mich erst gar nicht, Hallo zu sagen, lasse die drei – der Typ, der mich den ganzen Abend schon anbaggert, die Frau und ihn, sich begrüßen. Ich sitze viele Meter entfernt auf einer Bank. „Hallo.“ Schön, dass du auch noch gekommen bist, etwas spät, aber na ja. Viel unterhalte ich mich nicht mit ihm, ich weiß nicht, wie ich mich in der Situation verhalten soll … sind die beiden jetzt wirklich wieder zusammen? Weiß sie, wer ich bin?

1:30 Uhr oder später, mein Typ verabschiedet sich in sein Zelt. Ich stehe noch etwas wortlos neben meinem Bikerfreund und seiner Begleitung für die Nacht, sie sind mit dem Auto hier. Ich lasse mehrmals andeuten, dass ich auch müde bin und in mein Zelt gehen will. Irgendwann gehe ich immer mehr Schritte zurück, bis ich dann so weit bin, dass ich mich umdrehen kann, ich lasse die beiden hinter mir. Die müssen jetzt zusammen da alleine Party machen, die Musik geht bestimmt noch bis sieben Uhr früh den Sonntag Morgen … oder hört gar nicht auf. Meinen letzten Plastebecher Wasser in der Hand nehme ich zum Zähneputzen mit.

An meinem Zelt, den Weg hierher angekommen konnte ich mit meinem Smartphone ausleuchten. Mich umziehen, mich ausziehen, Zähneputzen in der Ecke der Wiese daneben. Im Zelt in den Schlafsack kriechen, den Abend vor der Bühne ist es immer kälter geworden, erst das Unterhemd darunter, dann den schwarzen Baumwollpullover. Im Schlafsack liege ich nur mit dem Unterhemd. Wird es reichen? Hält der Daunenschlafsack warm bis fünfzehn Grad Nachttemperatur? Ohropax, von weit hinten dröhnen die Bässe der Rockmusik. Ich schlafe ein … letzter Blick: 2:30 Uhr.

Die Morgendämmerung, das Innere des Zeltes erleuchtet schon in einem leicht bläulichen Ton. Der Reißverschluss geht auf und ich krieche auf die Wiese. Bis zum Dixi-Klo dahinten bleibe ich in meiner schwarzen Unterwäsche, nur den Slip und das Unterhemd. So kalt und frisch ist es nicht. Vorbei an der Bierbude und der Musik, die Sonne ist noch nicht aufgegangen, eine Gruppe feiert immer noch. Zurück in das Zelt, weiter versuchen, einzuschlafen. Der Mumienschlafsack hat eine praktische Tasche, mein Leoparden-Kopfkissen verrutscht nicht. Kuschelig warm bis zu den Ohren hochgezogen, geräumig und ich kann mit angewinkelten Beinen auf der Seite oder auf dem Bauch schlafen. Nur die Luftmatratze und die Isomatte als Doppelpack sind wie immer auf Dauer unbequem. Kurz schlafen, wenden, weiterschlafen … im Nachbarzelt, nur durch eine Hecke getrennt, kämpft ein zeltender Biker mit den Folgen seines Alkoholkonsums.

Morgens im Zelt / Juni 2025 / Alter 43

Im Zelt wird es heller … Gespräche, startende Motoren, der wummernde Bass der Zweizylinder. „Ey, das ist jetzt noch nicht mal halb acht!“ Weiterschlafen kann ich nicht mehr, auch ich mache irgendwann den Reißverschluss auf und schau nach draußen. Einige Zelte und Motorräder sind schon weg. Den Sonntag soll es sehr heiß werden, verständlich, dass die schon so früh abbauen. Auch ich fange an, mein Zelt auseinanderzunehmen, das umgebaute Wohnmobil neben mir braucht Platz, die wollen ihre BMW auf einer Rampe hochfahren. Mein Zelt steht – besser stand – immer noch auf einem Schattenplatz, erst jetzt erkenne ich, dass ich hier noch ein oder zwei Stunden weiter hätte schlafen können. Alle Heringe finden, eine Rolle nach der anderen, Zelt, Isomatte, Luftmatratze, Schlafsack auf den Sitz meines Motorrads lagern, das packe ich erst in die Tasche, wenn ich vom Frühstück zurückkomme.

Einmal habe ich hier schon gefrühstückt, wahrscheinlich das eine Mal, wo ich mein Motorrad nicht mehr starten konnte. Neben der Bierbude und der Bühne steht noch das kleine Sportlerhaus vom Sportplatz, unter der Veranda gibt es ein Frühstücksbuffet, liebevoll angerichtet von dem MC, der dieses Bikertreffen organisiert. Brötchen, Wurstaufschnitt, Gurken, Tomaten, Hering oder anderer Fisch und die kleinen Päckchen Marmelade und etwas Butter. Dazu mehrere, frisch aufgebrühte Kaffeekannen, für nur zehn Bon-Punkte (umgerechnet fünf Euro). Kaffee für mich, ich brauche jetzt Kaffee. Die eine „Old Lady“, die das hier mit organisiert, berichtet, dass sie die zwei Nächte noch viel weniger geschlafen hat (so gut wie gar nicht). So etwas macht viel Arbeit. Und wenn dann immer dieselben Menschen kommen und sich auf dieses kleine, familiäre Bikertreffen das ganze Jahr freuen … Ein Chili-Likör wird mir gereicht, aber ich benetze nur den untersten Boden meines weißen Plaste-Kaffeebechers. Noch Rührei mit Speck, zusammen mit der Bratwurst vom letzten Abend, der eine Tag im Jahr, an dem das verzehrte Schwein alternativlos ist … die Magen- und Darmschwierigkeiten kommen dann erst in zwei Tagen.

Zurück zum Zeltplatz, zurück zu meinem Motorrad. Es stehen fast keine Zelte mehr hier, auch nicht auf dem Weg mit den Bäumen neben dem Sportplatz. Beim Anziehen der Lederkombi und das Einrollen und Verzurren meiner Gepäcktasche merke ich schon, dieser Tag wird richtig heiß, jenseits der dreißig Grad. Motor starten, Helm aufziehen, ultra vorsichtig auf der Wiese wenden, die vereinzelt herumliegenden Bier- und Schnapsflaschen umfahren, den Weg vom Gelände hinaus auf den erst geschotterten, dann asphaltierten Feldweg runter zum Dorf. Noch den letzten Bikern und verbliebenen Treffengäste zuwinken. Die zwanzig Kilometer wieder nach Hause fahren … endlich eine Dusche nehmen.

[11.06.25 / 22:29] Der letzte Tag, Dienstag Morgen. Das Frühstück habe ich nicht mehr geschafft, kurz vor zehn Uhr werde ich in dem großen Bett wach, in einer Stunde ist Check-out. Die großen, schweren Gardinen aufziehen, die Fenster öffnen. Alles anfangen, aufzuräumen, ins Bad verschwinden. Alles was ich verwende, landet nach und nach in den Taschen, das Duschbad, die Haarwäsche, der ganze Make-up-Kram. Unterwäsche gesammelt in weißen Beuteln, meine Kleider von den Bügeln nehmen, falten und in die Sporttasche. Ab und zu ein Blick auf das Smartphone … noch 35 Minuten, ich liege gut in der Zeit. Den Tragekorb aufklappen, alle Stiefeletten darin einsortieren. Fünf Minuten vor um elf Uhr, ich trage meine Sachen aus der Hotelzimmertür heraus, stelle gleich alles daneben ab. Runter zur Rezeption nehme ich schon die erste Tasche, die olivgrüne Sporttasche, mit.

Check-out gegen elf Uhr, alles wie immer. Bevor ich meinen Tragekorb, das Picknickkörbchen und den schwarzen Stoffbeutel über den Fahrstuhl hole, parke ich mein Auto um und stelle es vor dem Hoteleingang. Den Mittag weiter in die Innenstadt.

Der Himmel ist düster dunkelblau-grau. Es ist kalt, den Kapuzenpullover ziehe ich erst aus, als ich mein Auto in dem großen Parkhaus am Hauptbahnhof parke. Ich will noch etwas Einkaufen gehen, ein paar Outdoor-Läden, vielleicht ein Schuhladen – und ein Frühstück. Der Flagship-Store der Leipziger Bäckerkette.

Die Filiale ist nur etwas runter, die erste Straße vom Hauptbahnhof in die Fußgängerzone. Ein süßes Frühstück, Brötchen, Kaffee, Croissant und Marmelade … die zwei kleinen Gläser verbrauche ich nie, eines davon landet immer gleich in meiner Handtasche.

Der erste Outdoor-Laden ist nur ein paar zehn Meter neben dem Bäcker, ich bin auf der Suche nach einem neuen Schlafsack. Mit Daune muss er sein, leicht, kleines Packmaß und kuschelig bequem. Ein Sommerschlafsack – ich will damit auf dem nächsten Bikertreffen zelten. Mein alter Schlafsack, noch aus Grundschulzeiten … ist es überhaupt mein Schlafsack? Die Familie hat ihn schon geteilt, Freunde von Familienmitgliedern hatten denselben, er könnte schon längst vertauscht worden sein. Er ist groß und sperrig, er passt gerade noch so in die schwarze Tasche hinten auf den Gepäckträger. Ich phantasiere, ich bin noch nie mit dem Motorrad zelten gefahren, der Schlafsack ist für Übernachtungen in fremden Wohnungen.

Der Verkäufer hat ein paar Modelle in der Auslage, er zeigt mir drei Sommerschlafsäcke mit Daune. Ich kann sie berühren und ertasten, wie leicht und dünn sie sind. „Und was kosten die so?“ 160 bis 200 und nochwas Euro. So viel wollte ich eigentlich nicht ausgeben. Mit der Hotelrechnung und den ganzen Festivalausgaben überziehe ich mein Konto schon um 1000 Euro … und es ist gerade erst Monatsanfang. Der Verkäufer verkauft mir eine neue Isomatte und eine leichte Plane für unter das Zelt. Eigentlich dachte ich da an so eine, auf A4-Größe zusammenfaltbare Isomatte und ein derbes Zelttuch in Flecktarn. Meine ganze Camping-Erfahrung basiert auf ein einzelnes Bundeswehr-Biwak im September 2000. Wieder draußen aus dem Laden mit meiner neuen Isomatte unter dem Arm. Verdammt. Für das Geld hätte ich doch auch einfach meine alte Isomatte zu Hause auf die schmalere Größe zurechtschneiden können, nur damit sie in die wasserfeste Motorradtasche passt. Zurück zum Hauptbahnhof, alles in den schon fast vollen Kofferraum packen. Irgendwo in der Promenade des Hauptbahnhofs gab es auch mal einen Outdoor-Laden, aber der ist weg, da hatte ich mal die aufblasbare Matte gekauft.

Mittagessen beim Inder, wieder zurück in der Einkaufs- und Restaurantstraße. „Aloo Chana“, Kartoffeln und Kichererbsen. Ich sitze unter dem Schirm im Außenbereich, die kleinen Spatzen sind putzig, sie haben fast keine Scheu mehr vor Menschen. „Das ist mein Essen“, etwas mit der Hand wegwinken.

Weiter hinein in die Fußgänger- und Einkaufszone, der italienische Eisverkaufsstand. Die beiden Schuhläden, an denen ich die letzten Tage und Nächte vorbei gelaufen bin … speziell das eine Modell schwarze Velourleder-Espadrilles im Schaufenster.

Erst den Doc-Martens-Laden, ich tue so, als wäre ich interessiert, etwas zu kaufen – tatsächlich habe ich vor, meine Doc Martens so lange zu tragen, bis sie auseinanderfallen. Das Paar martialische Stiefel mit den monströsen Plateau- und Blockabsatz, haben sie nicht mehr, die wären es gewesen.

Wieder um die Ecke zu dem anderen Schuhladen, so schön die schwarzen Keilabsatz-Peeptoes auch aussehen – in echt anprobiert, verlieren sie ihren Zauber. Nur zwei Größen im Regal, die britischen 6,5 und 7,5 – nicht meine 7. Es sind Schlappschuhe, der massive Keilabsatz bewegt sich von Natur aus nicht mit, damit kann ich keine langen Strecken laufen. Das Geld, die 150 Euro, wird woanders investiert.

In einem großen Kaufhaus versuche ich noch einmal, einen Schlafsack zu finden, so etwas haben die nicht in der Sportabteilung. Irgendwo hier in der Gegend war noch ein anderer Sportartikel-Laden, aber ich finde nur das nächste Outdoor-Geschäft, die beiden Läden sind fast identisch.

Wieder die Auslage mit den Schlafsäcken, von den Expeditionsmodellen jenseits der paar hunderte Euro und die leichten Sommerschlafsäcke, dasselbe Modell, wie in dem anderen Laden, der gleiche Preis. „Ich kann dir zehn Prozent Rabatt darauf geben, wenn du ihn mitnimmst. Ist das Vorführmodell, da haben schon, ich weiß nicht wie viele, drin Probe gelegen.“ Ich liege auch auf so einer aufblasbaren Matte bis oben bis zum Reißverschluss eingehüllt in meinem neuen Schlafsack. Den nehme ich! Zehn Prozent, da kann ich nichts falsch machen, super günstig, ein Schnäppchen. Er fühlt sich wirklich kuschelig warm an – und eingedrückt, in die grotesk winzige Packtasche, passt er sogar in meine Handtasche – das ist ein „Übernachtungskit“. Keine Ahnung, ob ich damit jemals zelten werde, ich schlafe nur auf Fußböden. Viele Jahre zurück auf der Schiffsüberfahrt von Genua nach Palermo, bei der Übernachtung draußen oben auf dem Deck, da hätte ich den gebraucht, ich sollte so etwas mal wieder machen.

Wieder raus aus dem Laden, weitere Einkäufe spare ich mir, keine Klamottenläden, keine neuen Anziehsachen, mein Budget an Bargeld für dieses Wochenende ist aufgebraucht, die letzten fünf oder zehn Euro sind für den Automaten im Parkhaus. In dem indischen Restaurant habe ich es für mich schon durchgerechnet, wenn ich diesen Schlafsack auch wieder die nächsten dreißig Jahre verwende, wenn die Daune hält und ich den nur einmal im Jahr brauche, dann rechnet sich das vielleicht. Meinen neuen Motorradhelm, den ich im April bestellt habe, ich bekomme immer nur vertröstende Emails, wie sich das Lieferdatum immer weiter nach hinten verschiebt. Hoffentlich, Geld ist erst am Monatsende wieder auf dem Konto. Zurück zu meinem Auto in dem Parkhaus, zurück auf die Straßen von Leipzig in Richtung Autobahn. Dienstag Nachmittag fünfzehn Uhr, Beginn der Rush-Hour, bis die Blechkolonne die Autobahnen erreicht, setzt ein Regen ein, der noch die ganzen 150 Kilometer bis nach Magdeburg reichen wird. Trucker auf der Straße. (Ende Teil 6/6)

[11.06.25 / 03:04] Noch irritiert von der letzten Nacht, will ich diese Nacht wieder zum Werk 2 und die Gothic-Pogo-Party? Vielleicht sollte ich die Tage von Freitag bis Sonntag meiden und nur Tickets an der Abendkasse für Donnerstag und Montag holen? Da sollte es nicht so voll sein. Dress des Tages: Punk. Mit Sneakers … Sneakers und Nieten? Geht das? Klar geht das! Das Nietenhalsband hat endlich einen Zweck, der Leopardenmini und die Punkerkutte kommen auf einmal noch viel besser zur Geltung, ein winziges Accessoire verändert alles. Bühne des Tages: wieder das Täubchenthal, Horror Punk und Psychobilly.

Nach dem Hotelfrühstück, in die Leipziger Innenstadt, das Kaffeehaus suchen, für einen zweiten, „richtigen“ Frühstückskaffee. Mittagessen danach, weit komme ich nicht, ich stehe gerade nach dem Bezahlen von meinem Tisch im Außenbereich auf, laufe ein paar Meter und sehe, dass in der nächsten Hausnummer eine neue Pizzeria aufgemacht hat, diese hat auch Tische und Stühle gleich daneben aufgestellt. Pizza mit Artischocken.

Weiter den frühen Nachmittag zu Tee und Kuchen durch die Innenstadt, das obligatorische Eis gab es schon gleich nach dem Straßenbahnausstieg. Vorbei an den Geschäften mit den Auslagen, hier sollte ich den nächsten Tag mal überall reingehen. Den Nachmittag komme ich so dahin, mit Einlass um sechzehn Uhr bin ich schon wieder in Plagwitz.

Die letzten beiden Tage habe ich mein Make-up in den Clubs gemacht, meist unter sehr schwierigen Beleuchtungssituationen, diesen Tag und die Nacht steht mein Augen-Make-up schon seit dem Hotel. Erste Band: Horror Punk aus Deutschland, mit Musikern, denen man vielleicht nicht im Dunkeln auf der Straße begegnen will, aber sind bestimmt ganz nett, ich stehe vorne im Publikum. Die zweite Band aus den USA … aber eigentlich bin ich hier für die dritte Band: Zombina and the Skeletons. Sie haben mal auf dem anderen Festival gespielt, ich mag den britischen Akzent der Sängerin.

Die vierte Band sehe ich mir von oben auf der Empore an … klassischer Psychobilly aus England? Die kannte ich noch gar nicht und sie müssen schon „uralt“ sein, sehen aber gar nicht so aus.

Die fünfte Band, kurz vorher in der Umbaupause versuche ich schon hübsche Bilder vom aufgehendem Mond draußen auf der Veranda zu machen. Sie spielen Horror Punk: Nim Vind. Irgendwo habe ich einen Sampler, wo ein Song von denen drauf ist. Auch dieses Konzert geht ohne große Zugabe zu Ende, an der Box auf der Bühne prangt eine große Uhr und setzt den Zeitplan … fehlt nur noch, dass der Strom abgeschaltet wird.

0:15 Uhr draußen an der Straßenbahnhaltestelle, der Bus nach Connewitz fährt in die andere Richtung, ich nehme die 3 zum Hauptbahnhof mit der anschließenden 11, sie liefern sich ein Rennen, die 11 wartet dann auf den Bus kurz vor dem Ziel für die umsteigenden Fahrgäste.

Im Werk 2 angekommen, mein liebstes „Gothic Pogo Festival“, es ist tatsächlich gar nicht so voll. Ich betrete die kleine Halle unten, die einzige, die diesen Abend offen ist und beginne zu tanzen, Tasche habe ich an der Garderobe abgegeben, ich werde ihm eine Nachricht schicken, ich schicke ihm immer eine Nachricht, wann ich zurück im Werk 2 bin. Auf einmal spüre ich, wie ich auf der Tanzfläche von hinten umarmt werde. Ich bin nicht erschrocken, oder verängstigt, oder irritiert, ich spüre sofort, dass er es ist. Tiefe Umarmung, ich wollte dir doch gerade schreiben, ich bin nur vor wenigen Minuten angekommen. Wir tanzen etwas, schauen uns an, ich sehe wie zwei Mitarbeiter des Sicherheitspersonals ihn mitnehmen und von mir weg führen. Was ist passiert? Ich folge den beiden und ihm nach draußen.

Er rechtfertigt sich, hat nichts gemacht, die beiden mit ihren Westen und der Aufschrift „Sicherheit“ agieren äußerst professionell und lassen das Ganze nicht eskalieren, die Situation bleibt ruhig. Er muss die Veranstaltung verlassen, ich kann bleiben. Aber ich gehe doch mit dir! Ich laufe schnell zurück, meine Tasche holen, die ich gerade erst abgegeben habe. „Das ist vielleicht ein Wochenende! Ich war mal gerade drei Songs tanzen!“

Wieder zurück am Ausgang wechsele ich noch ein paar Worte mit der Security, ich glaube zu verstehen, was passiert ist, er ist schon länger hier und seine kommunikative Art, sein Wunsch, mit allen sofort befreundet zu sein, funktioniert hier nicht so wirklich im reservierten und kühlen Deutschland. Später erklärt er mir seine Sicht: er passt optisch nicht in die Gothic-Szene, irgendjemand ist auf ihn aufmerksam geworden – und als er dann mich von hinten auf der Tanzfläche überrascht hat, ist irgendjemand endgültig alarmiert zu dem Awareness- oder Security-Team gegangen und die haben ihn dann rausgeschmissen.

Wohin jetzt? Kurz nach ein Uhr nachts, draußen an der Haltestelle treffen wir auf ein paar Leute, die wollen es noch in der Moritzbastei versuchen, da auf die Abschlussparty reinzukommen.

Mein arabischer Freund freut sich, neue Freunde, spontan führt er eine Stadtbesichtigung von der Haltestelle an der Oper rüber zur Moritzbastei. Vor dieser steht eine endlos lange Schlange an Menschen vor dem Einlass. Das könnte so noch mindestens zwei Stunden gehen, bis sich da irgendwann mal was tut. Auch für uns und hier, kein Reinkommen. Es ist dieses Wochenende einfach überall zu voll. Wir versuchen es im Dark Flower.

Der kleine Club, nur unweit der Moritzbastei, den Marktplatz gleich links. Hier geht es von der Menschenmenge … vielleicht liegt es an dem eigenwilligen Set: Tanzfläche eins, Mittelalter, Tanzfläche zwei, Cyber, Aggrotech, Hardtekk … 140 BPM Minimum. Eine neue Erfahrung für mich, ich habe mich noch nie zwischen Cyber Goths auf einer Tanzfläche befunden. Aber so lange bleiben wir nicht, spätestens um drei Uhr nach Mitternacht möchte ich wieder zurück ins Hotel.

Mein Freund organisiert ein Taxi, ich ziehe schon meinen schwarzen Baumwollhoodie aus meiner großen Handtasche und bereite mich auf einen langen Weg zum Hauptbahnhof vor. Vor dem Club stehen zwei Taxis, eigentlich bestellt, aber mein Freund winkt mich schon herbei. „We take this one.“ Während der Fahrt, die beiden unterhalten sich in ihrem derbsten Arabisch, Smartphones werden gezeigt mit Videos von Familienmitgliedern, der Taxifahrer fährt schon Schlangenlinien und verpasst unser Fahrtziel um einige hundert Meter … ich glaube, das konnte ich übersetzen: „Ey was machst du? Wo fährst du hin?“ Es stellt sich heraus, ihre beiden Onkels sind beste Freunde, so läuft das in Syrien.

Wir steigen bei meinem Hotel aus. Wieder oben in meinem Hotelzimmer – wirst du diese Nacht mit mir schlafen? Ich will ein Kind von dir. Meine kurze Minute im Bad, seine Minute, er hat noch ein Bier im Kühlschrank. Danach liegen wir wieder auf dem Bett, ich probiere etwas aus, ich kenne einige Stellen an meinem Körper auf die ich bei der Masturbation Druck ausübe … könnte das auch bei ihm funktionieren? Die Stelle unten am Schaft des Schwellkörpers, wo eigentlich bei mit hätte die Vagina beginnen sollen. Ihm scheint es zu gefallen.

Er dreht mich, hat noch ein Kondom. Ich liege auf meinem Bauch und er kommt von hinten, er umschlingt meinen Körper … diese Stellung ist intensiv nah, aber nicht ganz so tief. Er kommt in mir, zieht ihn raus, zieht das Kondom ab. Bleib so liegen, ich mache dich sauber. Ich muss mich um nichts kümmern, kann ganz entspannen. Später wechseln wir die Seiten und er liegt auf dem Bauch, ich habe schon lange keinen Penis mehr … und hätte ich einen, ich hätte das nie gemacht.

Auch diesen Morgen, es ist zwischen vier und fünf Uhr, ich sehe ihn wieder, sich anziehen, er schließt die Tür, ich bleibe auf meinem Bett liegen. Ein Abschiedskuss, bis wir uns wiedersehen. Es ist schon Dienstag, Pfingsten ist vorbei, das Frühstück bis zehn Uhr spare ich mir, ich will wenigstens bis dahin noch ein paar Stunden schlafen. (Ende Teil 5/6)

[11.06.25 / 01:55] Der Sonntag, Dress des Tages: das Spitzenkleid und die kleine Clutch, Tasche in Tasche. Bühne des Tages: das Stadtbad, da war ich noch nie. Ich lasse mir den frühen Nachmittag Zeit, Beine rasieren, duschen, meine Sachen zum Anziehen wählen, mich ausgehfertig machen. Als Silberschmuck habe ich zusätzlich zu meinem Jeden-Tag-Schmuck noch den marokkanischen Armreif und ein kleines Kreuz als Anhänger mitgenommen, beides passte zum „Trad Goth“ Outfit, für die Glam-Variante wähle ich wieder den Ganesha-Anhänger an der Silberkette und dem Armreif mit Glitzersteinen.

Zuerst Frühstück. In der Innenstadt, die Leipziger Bäckerkette. Eigentlich ist das Wochenende das zeitgleich stattfindende Leipziger Stadtfest und ich sollte die Innenstadt wirklich meiden, zu viele Menschen, aber die große Filiale der Bäckerkette ist nun mal dort und ich wüsste nicht, wo ich um fünfzehn Uhr noch ein Frühstück bestellen kann. Ein Brötchen, ein Croissant, ein Café Crema. Die dunkelste Ecke in dem verglasten Innenhof war noch frei. Der versteckt liegende Innenhof des italienischen Restaurants wenig später, ist voller schwarz gekleideter Gothics.

Einlass im Stadtbad ist um 16:30 Uhr, eigentlich nur ein oder zwei Stationen hinter dem Hauptbahnhof, aber ich steige doch eine Station zu spät aus, ich hätte es wissen müssen, als ich hier noch gewohnt habe, bin die 16 immer von Eutritzsch bis zum Zentrum an dem markanten Gebäude vorbeigefahren, es ist eine große Schwimmhalle, gefühlt ein Jahrhundert alt. Mit der Straßenbahn wieder eine Station in die Gegenrichtung, dann weiter zu Fuß, musste ja jetzt auch gerade in diesem Moment, anfangen zu regnen … Beschissenstes Wetter seit 2007 …

Das historische Hallenbad ist wirklich beeindruckend, die erste Band fängt an, zu spielen, dieser Abend wird düster und Wave. Die Schwimmhalle mit den massiven Säulen im Historismus, sie wirkt wie eine Kathedrale! Der Hall! Ich bin fasziniert.

Die zweite Band, dafür bin ich hier: Jakuzi aus der Türkei! Wie haben die das nur bis hierher geschafft? Für mich ein Geheimtipp, die kennt doch niemand, die spielen doch bestimmt auf der winzigsten Bühne. Die große Kathedrale ist voll. Ich stehe ganz vorne in zweiter Reihe, es ist den Jungs anzumerken, dass sie sich nicht so wohl dabei fühlen. In der Türkei kennt sie doch jeder, aber hier in Deutschland? Und sie singen nur auf Türkisch? Ich als Fan habe natürlich schon ein Album von ihnen, ich bin wahrscheinlich die Einzigste, die Teile der Texte mitsingt … die Titel, wie sie auf das Booklet gedruckt sind. Sie spielen auch einige ihrer eigenwilligen „Schunkelsongs“, die Dramatik und Melancholie liegt wahrscheinlich in den Texten … wird es das Publikum verkraften? Einige aus den ersten Reihen drehen sich schon um, ich blicke nur kurz hinter mir … der Saal ist immer noch voll.

Nach dem Auftritt, zum Merchandise-Stand, ihr neustes Album ist leider nur auf Vinyl, ich habe zwar einen Plattenspieler, aber keinen Einkaufsbeutel für die Scheibe. Das ich von dem anderen Album eine CD habe, wirkt etwas merkwürdig, sie war vielleicht nicht „offiziell“.

Zwischen den Bands die Umbaupause, Sitzplätze gibt es hier nicht, allerhöchstens in den historischen Waschräumen. Das Publikum sitzt in den seitlichen Arkadengängen auf der Auslegware, so auch ich, mit einem Taschentuch darunter. Menschen stolpern über ausgestreckte Beine und Stiefel.

Die dritte Band, düsteres Zeug, sperrig, nicht so eingänglich für mich. Die vierte Band, sie ist so eine Solokünstlerin, eine schwarze Frau! Das ist in der Szene selten. Und sie ist so eine, wo ich einen Song kenne, den ich richtig gut finde und nie weiß, von wem der ist. Das ist ihr Song, den sie als letztes zur Zugabe spielt. Ein elektronischer Song aus dem Ende der Achtziger, die markanten Synthesizer- und Drum-Computer-Sounds.

Während ihres Auftritts, ihre Musik – mir kommt die Idee für einen neuen Song, die Texte fließen mir in den Kopf: „Loving a Ghost“. Endlich habe ich ein Thema, über das ich singen kann, das ich in meiner Musik verarbeiten kann. Synthesizer-Tracks kommen aus einer Jam-Session vor zwei Jahren, den Text vervollständige ich in der Umbaupause danach, wieder sitzend in den seitlichen Arkaden. Ich tippe den kurzen Mehrzeiler in meine Smartphone-Notizen.

Der Headliner des Abends: Linea Aspera. Eines der Alben, das in meinem Autoradio rund läuft. Das Set geht lang, die Halle ist voll. Manchmal geht es zu lang, es wirkt, als würden die beiden einige ihrer Songs bewusst wiederholen und dabei nur leicht variieren. Etwas ermüdend für mich, aber ich versuche durchzuhalten. Nur leider wird es gegen Ende des Konzertes politisch, ich bin deprimiert, dass meine an sich zutiefst unpolitische Gothic-Szene dazu bewegt wird, eine Seite zu wählen, der Kampf in Nah-Ost ist nicht mein Kampf, jede Phrase von: „Ich bin besser als du, wir sind (moralisch) besser als ihr“, hat immer ein Hauch von Faschismus.

An der Straßenbahnhaltestelle, es ist spürbar kälter geworden, gut, dass ich das Spitzenkleid mit meiner Lederjacke kombiniere.

Meine Freude ist nur kurz, als ich wieder um ein Uhr nachts das Werk 2 und das „Gothic Pogo Festival“ erreiche … schon wieder Einlassstopp vor dem Clubkeller mit den Konzerten. Überall Menschen. Der Innenhof ist voll, die andere große Halle ist voll, keine Chance, zu tanzen, keine Chance, an die Bar zu gehen, die Traube an Menschen steht in mehreren Schichten.

Als die kleine Halle etwas leerer wird, die Konzerte sind durch, kann auch ich rein, aber sie wird gleich wieder richtig voll, dabei ist das doch der elektronische Synth-Wave-Abend, der geht die ganze Nacht bis zum Morgengrauen. Ich fühle mich beengt und unwohl, auch am Rande sitzen und die Augen schließen und mich auf die Musik konzentrieren, wirkt nicht. Manchmal werde ich angerempelt, manchmal streifen Menschen an mir vorbei. Ich öffne meine Augen und sehe, dass es nicht besser wird.

„Abbruch!“ 2:30 Uhr, ich springe auf, laufe so schnell wie möglich zur Garderobe, meine Tasche und meine Lederjacke abholen, um dann noch schneller aus dem Clubkeller hinaus zum Ausgang des Geländes zu flüchten. Vor der Einlasskontrolle steht schon die nächste Schlange, vielleicht ist diese Angst vor Menschenmassen nur eingebildet und nicht echt, aber andere Menschen haben auch eine panische Angst vor Spinnen, was für mich vollkommen unlogisch und irrational ist, die kleinen achtbeinigen Krabbeltiere sind doch so niedlich. Zurück zum Hotel, wenigstens schaffe ich das Frühstück in ein paar Stunden. Die Taxifahrer verdienen gutes Geld mit mir, das Hotel fernab. (Ende Teil 4/6)

[11.06.25 / 00:54] Ekelhaft, Sonne, direkt widerlich. Ich bin schon ein paar Minuten vor um zehn Uhr aufgewacht und öffne die Fenster. Für das Frühstück unten in der ersten Etage, wechsele ich das Wochenende in meine schwarze Jeans und das schwarze Top mit dem Netzausschnitt. Dusche und Beine rasieren, das alles passiert erst viel später den Mittag. Das Frühstück besteht aus zwei Brötchen, ein wenig Joghurt und Fruchtsalat und einer Thermokanne Filterkaffee, für Trucker reicht das.

Sonnabend, Bühne des Tages, das Täubchenthal mit den Goth- und Deathrock-Bands, daher mein Trad-Goth-Outfit, doch zuerst runter zum Heidnischen Dorf, dem Mittelaltermarkt des Gotik-Festivals.

Es hat sich verändert, es ist größer geworden, der Einlass ist viel mehr professionell organisiert, mit Absperrgitter, Security, Taschenkontrollen und langen Warteschlangen. Endlich auf dem Gelände, unzählige Buden und noch unzählig viel mehr Menschen. Es ist voll.

Dunkle Regenwolken. Als es anfängt, stärker regnen zu wollen, stelle ich mich mehr in dem Zelt unter, in dem ich eigentlich schon stand, ich bin auf der Suche nach Räucherstäbchen, die Verkäuferin hier hat einige im Angebot. „Du weißt schon, dass die krebserregend sind?“ Die sind doch nicht für drinnen, der Typ da neben mir, der in dem Zelt auch gerade Schutz vor dem Regen sucht, beginnt ein Gespräch mit mir. Ich erzähle erst, was für Räucherstäbchen ich suche: „Die Auroshika Nag-Champa“, das ich da mal 2008 in dem Ashram war, lass ich weg, er führt das Gespräch gleich weiter und ist viel mehr an mir interessiert. „Ich bin so direkt, ich stehe auf trans Frauen.“ Verdutzt blicke ich ihn an, wenigstens weißt du es schon vorher. „Wollen mir Nummern tauschen?“ Herrje! Ich werde nach meiner Nummer gefragt! Tollpatschig taumele ich umher, bevor ich endlich mein Smartphone aus meiner Handtasche gekramt habe. Du kommst in meine Männer-Liste, vielleicht sehen wir uns mal wieder. Er wohnt in Leipzig, eine weitere Übernachtungsmöglichkeit ist immer gut.

Vom Mittelaltermarkt zurück in die Südstadt, in einem Imbiss ein Falafelteller mit Pommes und Halloumi bestellen. Draußen regnet es … beschissenstes Wetter seit dem WGT 2007.

Danach mit der Straßenbahn raus nach Plagwitz zu der Veranstaltungsbühne dort. Ich glaube zu wissen, wo das ist und steige zielgerichtet aus der Straßenbahn aus. „Immer verlaufe ich mich hier!“ Das Smartphone mit dem Navi aus der Tasche holen, im Umkreis von einem Kilometer sind eine Handvoll von Clubs, in denen ich alle schon einmal war, ein paar der Clubs existieren schon gar nicht mehr.

Das große Täubchenthal erreiche ich. Ich dachte immer, das wäre so ein Nobel-Schuppen, als ich den jetzt zum ersten Mal betrete, sehe ich, dass es auch nur einer der vielen abgewrackten Clubs hier in der Gegend ist. Aber die kleine Dachterrasse, oder auch „Veranda“, die gefällt mir.

Drinnen sind links und rechts neben der Bühne und dem Publikumssaal Emporen aufgebaut und geben einen Blick von oben herab auf die Bühne. Falls ich es in die erste Reihe ans Geländer schaffe, kann ich endlich auch mal etwas von den Bands sehen.

Die erste Band, etwas aus dem Umfeld der Deathrock-Szene in Kalifornien … ich bin mehr an dem Kaffeestand draußen interessiert. Die zweite Band, ein paar Deathrock-Youngster aus Kalifornien … ich habe die Liegestühle draußen entdeckt und liege halb apathisch mit meiner großen Sonnenbrille darin. Die dritte Band, klar habe ich das Album, aber ich fand die immer ein bisschen peinlich und musste immer verheimlichen, dass ich ein ganz großer Fan bin, auch diese Band ist aus dem Dunstnebel von Kalifornien, ich stehe oben auf der Empore.

Die vierte Band des Abends, deswegen bin ich hier: als altes Eva O Groupie stehe ich natürlich schon unten vor der Bühne. Ich habe sie schon gesehen, als Teil von Christian Death (1334) und mit ihrem Solo-Projekt. Die Gitarre, die sie da auf der Bühne hat, ich bin mir ziemlich sicher, die war vor neunzehn Jahren noch weiß, jetzt ist sie vergilbt.

Ihre Performance, ihr Konzert, ihr Auftritt, ihre tiefe Stimme, Gänsehaut-Feeling! Ich schau sie die ganze Zeit mit weit aufgerissenen Augen an. Der Schmerz, der in ihrer Stimme liegt, sie teilt ihn mit dem Publikum. Ein paar Klassiker, die unbedingt gespielt werden mussten, doch keine Zugaben, zu knapp sind die vorgegebenen Zeitfenster.

Die fünfte und die Headliner-Band des Abends: Fangs on Fur. Sie sollten schon letztes (oder vorletztes) Jahr in Berlin spielen – abgesagt – zu Schade, auch diese Band will ich schon seit zehn oder fünfzehn Jahren endlich mal wieder live sehen. Jetzt ist dieser Zeitpunkt gekommen. Oben auf der Veranda habe ich sie unten schon gesehen, ein Interview geben. Ich stehe weit vorne an der Bühne, nicht die erste Reihe, die ist für Pogo, die dahinter. Textsicher singe ich die Songs mit: „Picknick in L.A.!“ (Es heißt eigentlich „Panic“).

Nach dem Konzert, zum Merchandise-Stand, es gibt ein neues Album, aber leider nur Vinyl, limitiert, fast schon weg. „Will there be a new repress?“ Möglich … Wo ist das Geld hin, dass ich mal per Crowdfunding für ein neues Album und eine Europatour „2020“ gespendet habe? Auch die T-Shirts gibt es leider nur noch in „M“.

Zurück zur Straßenbahnhaltestelle, im Dunkeln im Nirgendwo. Wäre nicht der Festival-Fahrplan, hier könnte man um diese Zeit unmöglich wegkommen, ich fahre hier auch sonst nur mit dem Auto her. Die Straßenbahn braucht auch wieder eine halbe oder eine dreiviertel Stunde mit Anschluss zum Werk 2. „Einlassstopp!“, den Weg auf das Gelände freue ich mich noch auf meine „VIP und Gästeliste“ Warteschlange, weiter als bis zum Eingang des Clubkellers danach komme ich nicht. Egal welche Bands da den Abend gespielt haben, davon bekomme ich nichts mit, wohl irgendetwas „Mexikanisches“.

Rüber zu der großen Halle mit dem Main-Dancefloor. Ich prüfe die Nachrichten auf meinem Telefon, lasse ihn wissen, dass ich wieder im Werk 2 bin. Er antwortet dieses Mal, er ist auch in der Gegend. „Dark corner!“ Ich sehe ihn an mir vorbeilaufen, er hat mich nicht bemerkt, ich sitze auch wirklich in der dunkelsten Ecke am Rande der Tanzfläche an einem Stehtisch mit Barhocker. Er prüft seine Nachrichten und kommt auch gleich wieder zurück. Tiefe Umarmungen, warum warst du die letzte Nacht nicht da? Etwas tanzen, eng an eng, zieh mich bitte nicht aus, das ist ein öffentlicher Club.

Draußen die Leute, er stellt sich immer jemanden vor, er hat eine entdeckt, die ihn fasziniert: eine Drag Queen aus München. Sie ist nur kurz hier, sie zieht weiter zu der anderen Party des Abends, eine queere Party … auch dort sind so viele Menschen, dass man ohne Gästeliste oder Vorab-Tickets nicht hineinkommt.

Lass uns wieder zum Hotel fahren. Die Straßenbahn, das Taxi, die Tankstelle, er nimmt noch zwei Flaschen Bier mit. Eines trinkt er, eines packt er oben im Zimmer in den leeren Kühlschrank der Minibar.

Routinierte Abläufe, ich entferne meine Schminke im Bad, er raucht draußen vor den großen Fenstern eine Zigarette. Wir sind beide wieder nackt in dem großen Doppelbett. „What would you like to do tonight?“ Bitte nimm mich, gehe tief, diese Position, die ich so mag, die, wo ich einfach nur auf dem Rücken liege und meine Beine an deine Schulter lege. Er stößt tief zu. Eines meiner Beine ist schon unten, der andere Fuß weit über seiner Schulter. Beim Vorspiel, die Toilettenpapierblätter sind auch für ihn. Wenn er liegt und ich kokett über ihn rutsche und ihn mit meinen Schamlippen einrolle … ich bin so feucht, ich fordere ein, was ich verlange.

Fünf Uhr morgens, du gehst schon wieder? Wo gehst du hin? Warum schläfst du nicht bei mir? Ich verzweifle auf meiner Hälfte des Doppelbettes, sehe immer nur seinen Rücken und wie er die Hotelzimmertür schließt. Ich mache sie wenig später wieder auf, um das „Bitte nicht stören“ Schild anzuhängen. Frühstück bis elf Uhr fällt aus, ich schlafe bis dahin. (Ende Teil 3/6)

[10.06.25 / 23:32] Freitag, traditionell der Tag mit dem „Viktorianischen Picknick“ im Clara-Zetkin-Park. Mein Outfit ist wieder das, wie im letzten Jahr … und das Jahr davor … und das davor … und das … Wie letztes Jahr, meine schwarze Dirndl-Schürze ist das „It-Piece“. Es könnte regnen, ich nehme meinen Regenschirm mit, aber als Jäckchen habe ich nur meinen schwarzen Strick-Cardigan mit dabei. Das Hotelzimmer verlasse ich nicht ohne einen großen Parfümstoß Orientalisches und einer umfangreichen Wolke an Patchouli. Die müssen sich in der Straßenbahn schon woanders hinsetzen. Von der Haltestelle am Baumarkt nur die paar Stationen zu dem Bäcker in Eutritzsch, den mit dem schönen Kuchen. Ein „Coffee-To-Go“ landet auch gleich mit in meinem Thermobecher in meinem Picknickkörbchen. Es ist gerade erst Mittag, aber wenn ich früher in dem Park bin, sind vielleicht noch nicht so viele Menschen da. Mit mir steigt schon wieder der erste Schwung an aufwendig gekleideten Damen und Herren in Schwarz aus der Straßenbahn, hinein in das Grüne. Schon zurück am Baumarktparkplatz kam ich mir irgendwie weltfremd vor, in meinem historisch angehauchten Dress aus der Jahrhundertwende. Dark Cottage Core.

Ich laufe meine Runde um den Parkteich, die beliebte Fotoecke mit dem Blick rüber zu dem sich aufbauenden, schwarzen Picknick. Mehr Menschen kommen dazu. Ich suche meinen Platz am Teich, beobachte die mehr und mehr vorbei flanierenden Menschen. Ein paar auf der anderen Seite des Teiches sehen so echt historisch aus, als könnten sie einem Gemälde aus dem Impressionismus entsprungen sein … so eines hängt bei mir zu Hause über den Fernseher und war auch meine Inspiration.

Ich warte meine Zeit ab, der Blick geht immer hoch zu den Wolken, mal düster dunkelblau, dann wieder Fetzen an Sonnenlicht … Regenschirm und Sonnencreme griffbereit. Ich hoffe, die Blätter über mir halten ein paar Tropfen ab. Irgendwann kurz vor fünfzehn Uhr, ich beginne meine Vorbereitungen und packe das blau karierte Geschirrtuch aus meinem Picknickkörbchen neben mir, darin befindet sich der Kuchen, zwei Stück je Rhabarber und Mandarinenschmand und die mitgebrachte Kuchengabel. Genüsslich nehme ich ein Happen nach dem anderen auf meine kleine Kuchengabel. Den Thermobecher Kaffee aufschrauben.

Weiter den Nachmittag, quer über die großen Wiesen dieses Parks … es sind viele Menschen gekommen. Das „Viktorianische Picknick“ muss schon größer sein, als das eigentlich zeitgleich stattfindende Gotik-Festival. Es beginnt zu regnen, mein Schirm liegt immer griffbereit in meinem Korb. Die Hunde sehen schon viel zu sehr „wolfig“ aus, die lustig gemeinten Anspielungen auf Rotkäppchen erhalte ich mehr als einmal. Ist es die Schürze? Ist es die Perlenkette? Oder ist es die Bauerntracht? Ich bin keine von den schwarzen Prinzessinnen und höheren Adligen in ihren riesengroßen Reifröcken.

Zurück mit der Straßenbahn zum Hotel, den Korb abstellen, die Dirndl-Schürze abnehmen, sie sitzt eng, der vegetarische Burger im Innenstadtkern von Leipzig den späten Nachmittag zuvor, hat gerade noch so hineingepasst. Eine Dusche nehmen, den Cardigan gegen die Lederjacke tauschen, anschließend wieder zurück in die Innenstadt von Leipzig, zur Moritzbastei.

Ich habe mir für jeden Tag des Gotik-Festivals einen Plan gemacht, die Vorlage der Office-Tabelle ist dieselbe, wie ich sie bis 2013 erstellt habe. Jeder Tag drei bis vier Veranstaltungsorte. Das dazwischen Umherreisen, von einer Ecke der Stadt in die andere, ist mir zu stressig, ich mache genauso weiter, wie ich vor über zehn Jahren aufgehört habe: nur ein Veranstaltungsort pro Tag, an dem genau die Bands spielen, die ich unbedingt sehen muss! Alle Bands kann ich nicht sehen, dafür spielt zu vieles gleichzeitig, das ist das Prinzip dieses Festivals. Und den Freitag ist es eben die Moritzbastei und Aux Animaux.

Einlass gegen neunzehn Uhr, so voll ist es noch nicht, ich komme locker hinein. Die erste Band gefällt mir, sie kommen aus Griechenland. Auf einer anderen Bühne in der Stadt würde jetzt auch eine andere Synth-Band aus Griechenland spielen, die ich eigentlich auf meiner Liste als sehenswert markiert habe. Zu Schade, dass ich in dem Konzertkeller dieser Festung wieder meinen Stehplatz ganz hinten am Notausgang eingenommen habe.

Zwischen den Umbaupausen, Getränk holen, die Flasche Wasser. Rechtzeitig von den Bars und den Toiletten wieder vor der Bühne sein … nicht, dass da zu viele Menschen sind und ich nicht wieder hineinkomme. Die anderen beiden Bands, eine Solokünstlerin die sehr, fast schon kitschigen Synth-Pop spielt, ich bin total entzückt, dann eine Band, sie geht schon fast mehr in den Punk, oder Glam, und dann der eigentliche Headliner.

Laut Plan kurz nach dreiundzwanzig Uhr, da ist sie, die kleine Sängerin, sie springt auf der Bühne mit ihren fluffig weiß-blonden Haaren. Sie muss tatsächlich kleiner sein, als sie in ihren Musikvideos wirkt, wieder so eine, nicht größer als ihre Bass-Gitarre. Sie wechselt zwischen Bass und Theremin hin und her. Ein Album brauche ich nicht vom Merchandise-Stand – das habe ich schon längst.

Mitternacht, die Moritzbastei verlassen, rüber zur Straßenbahnhaltestelle und mit der 11 im Fünfzehn-Minuten-Takt nach Connewitz. Als ich am Werk 2 zum „Gothic Pogo Festival“ ankomme, muss ich erst meine Einlassschlange suchen … wo ist mein Weg links davon vorbei, ich gehörte doch einmal „zum Inventar“? VIP und Gästeliste, weniger Menschen als die mit dem anderen Pöbel.

Irgendwie wusste ich, dass ich die beiden Festivals nicht zeitgleich schaffen werde, wenigstens die Headliner, die erst nach ein Uhr spielen. So auch diesen Freitag: Ghost Dance aus UK. Die Band mit der Sängerin von Skeletal Family. Ich bin schon Fan, da habe ich noch selbst aufgenommene Kassetten in mein Autoradio geschoben … so zwischen 2002 und 2004.

Nach der Band, noch ein wenig tanzen? Die andere große Halle mit der großen Tanzfläche ist offen. Ich vermisse den Verkaufsstand mit den CDs und Schallplatten auf dem kleinen Markt in der Vorhalle (auch die nächsten Abende wird er nicht da sein). Im Kopf rechnen, wenn das Frühstück den Sonnabend bis Montag bis um elf Uhr geht, dann könnte ich, wenn ich 2:30 Uhr die Disko hier verlasse, doch genügend Schlaf finden? Warum habe ich das getan, warum musste ich unbedingt Frühstück dazu buchen. Keine Nachricht von meinem Freund auf meinem Smartphone, auch wenn ich es vermisse, ihn neben mir liegen zu sehen, ich kann wenigstens alleine viel besser schlafen. Ich bin müde, ich brauche etwas Schlaf. Mit der Straßenbahn erst zurück zum Hauptbahnhof und dann in ein Taxi zurück zum Hotel. Drei Uhr und ich kann die schweren Vorhänge auf und wieder zuschieben. (Ende Teil 2/6)

[10.06.25 / 22:24] Fünf Outfits für das lange Wochenende: das schwarze Top mit dem Netzausschnitt und die schwarze Jeans, Nietengürtel, „Casual Goth“, das lange, schwarze, viktorianische Kleid und die Netzstrumpfhose mit Rosenblüten, „Victorian Goth“, der schwarze Ledermini, die schwarze Baumwoll-Yogahose, das Netztop und das ärmellose Schwarze, die Lederjacke mit den Buttons und Nieten, „Trad Goth“, das neue, schwarze Kleid mit Spitze und langen Ärmeln, die einfarbige, schwarze Nylon-Strumpfhose, „Glam Goth“, das schwarz-grüne, kurze Kleid mit Leopardenprint und Leggings und wieder die Lederjacke, den schwarzen Baumwollhoodie darunter, „Punk Goth“ – und alle Schuhe, der Reihe nach: die Pikes, die viktorianischen Stiefeletten, die Doc Martens, die Military-Schnürstiefel mit dem hohen Absatz und ganz zum Schluss, den letzten Tag, die Hi-Top Sneaker, mit schwarzen Schnürsenkeln. Ich schiebe meine Kleiderauswahl auf der Roll-Garderobenstange durch die Wohnung. Alle meine Stiefeletten kommen wieder zusammen in die Tragekiste. Pfingsten, ich habe zwei Tickets, das kleine „Gothic Pogo Festival“ und das große „Wave-Gotik-Treffen“. Hotel wie immer, die letzte Truckerabsteige im Norden von Leipzig, nahe der Autobahn … sündhaft teuer gebucht, das halbe Jahres-Urlaubs-Budget.

Donnerstag Morgen, früh zur Arbeit fahren, zehn Minuten zu spät kommen. Alles an Klamotten zusammensuchen, den Abend zuvor, hat schon Stunden gedauert, alles ins Auto zu manövrieren, braucht auch wieder Geduld. Die Arbeit verlasse ich wenige Stunden später schon um präzise fünfzehn Uhr, mein erstes Outfit trage ich bereits, ich will, wenn ich in Leipzig bin, keine Zeit verlieren, nur schnell unter die Dusche und fertig. Auf der Autobahn an der Raststätte kurz anhalten, die ersten anderen Gothics sichten. Viel Verkehr, viele LKWs.

Das Hotel, das ich immer buche, gegen siebzehn Uhr fahre ich auf den Innenhof, mein Auto parken. Einchecken, Zimmer sichten – Standard mit großem Doppelbett, zweimal runter zum Auto, alles hochschleppen, die Tragekiste, die olivgrüne Sporttasche, den schwarzen Stoffbeutel und mein Picknickkörbchen. Den Wetterbericht schon Tage zuvor verfolgt … wird es regnen? Es könnte eines der nassesten Pfingst-Festival-Wochenenden werden – und kalt noch dazu. Meine fünf Outfits habe ich auf Temperatur und Wetter schon am Computer in meiner Office-Tabelle selektiert. Alles ist perfekt geplant, wo ich wann und wie am Wochenende sein will. Und mein Langzeitliebhaber? Keine Zeit für ihn. Ich muss noch den Abend oder späten Nachmittag in die Leipziger Innenstadt, zum Hauptbahnhof, mich in der ersten Schlange anstellen, den Zettel mit der Rechnungsnummer in ein Festivalticket tauschen – die Post hat meine Adresse „nicht gefunden“ und das Ticket einfach wieder zurückgeschickt – und dann rüber zum anderen Container, Ticket in Bändchen um das Handgelenk umwandeln. Dusche, Make-up im Hotel, der Plan steht weiterhin. Den Weg ablaufen, Leipziger Kopfsteinpflaster, die Straßenbahnhaltestelle am Baumarkt irgendwo am Nordrand von Leipzig.

Bahnhof, noch schnell in die Drogerie, Abschminktücher und Deoroller sind alle. Zum Geldautomaten, Bargeld abheben, 200 Euro, das muss reichen für das Wochenende. Aus dem Hauptbahnhof raus, über die Fußgängerampel über die große Ringstraße und über die Straßenbahngleise – ich sehe schon die endlos lange Schlange an wartenden, schwarz eingekleideten Menschen – es hat sich überhaupt nichts verändert. Mehr als zehn Jahre bin ich dem WGT fern geblieben, jetzt stehe ich schon wieder da und mache ein Foto von der Warteschlange, nur eben mit dem Smartphone und nicht mit der analogen Touristenkamera 2003.

In der Warteschlange zum Tauschen in das Ticket, komme ich schon ins Gespräch, ich bin nicht die Einzige mit Problemen mit der Post. Andere sind neu hier und kaufen ein Ticket an der Abendkasse. Diese Schlange ist nicht so lang – sehr nett von der Organisation, hast du dein Ticket, kannst du gleich die paar Meter um die Ecke zum anderen Containerfenster und dein Bändchen abholen … neidische Blicke der anderen, die da die hunderte Meter an der langen Schlange warten.

Was mache ich mit dem frei gewordenen Donnerstag Abend? Ein Eis kaufen. In eine Bar gehen, was trinken … ihm eine Nachricht schreiben? „Hello, I'm in Leipzig!“ Das kommt jetzt ganz überraschend. Seit Anfang dieses Jahres, ich wollte ihn immer wieder treffen, ein oder mehrere Nächte mit ihm in Leipzig verbringen. Immer habe ich es in einer Nachricht angekündigt, immer wieder musste ich absagen, ihn enttäuschen, ich bin krank geworden, mein Immunsystem schwankt extrem stark zwischen … großen Ausrufezeichen auf Laborberichten und „Geht gerade noch so“ mit den Werten vom letzten Blutbild. Lymphozyten sind im Keller.

Ich sitze in meiner Lieblingsbar am Leipziger Marktplatz, der kleine Tisch im voll besetzten Außenbereich, vor mir das Smartphone. Die Nachricht tippen und absenden. Smartphone hinlegen, wieder greifen. Display aktivieren. Hat er schon geantwortet? Er hat! Er ist auch in Leipzig und hat Zeit für ein Treffen! Ich freue mich immer wie so ein verknalltes Schulmädchen. Donnerstag Abend ist nur die Party vom „Gothic Pogo Festival“ in Connewitz, Einlass ist zweiundzwanzig Uhr, ich bin da.

Ich laufe das Werksgelände ab. Mein anderes Papierticket habe ich am Einlass schon in ein zweites Bändchen am Handgelenk getauscht. „Die schönere Farbe“, die zwei Bändchen in blau und lila-schwarz, „Das wird ein hartes Wochenende.“ Werde ich das schaffen? Werde ich so viel Kraft und Ausdauer haben? Die Hotelbuchung gab es nur mit Frühstück – und das geht nur bis zehn oder elf Uhr, es muss mich zwingen, die Partynächte für dieses lange Wochenende früher abzubrechen … oder ich mache durch und starte das Frühstück schon um sechs Uhr.

Ich schaue in die vielen Gesichter, die Menschen draußen vor dem Club, die Menschen drinnen auf und am Rande der Tanzfläche. Ich suche ihn, suche die Ecken, wo er schon mal war, wo er saß, wo er ein Bier nach dem anderen getrunken hat, wo er stand, wo er mit jedem ins Gespräch kam und seine Geschichten erzählt hat. Ich erblicke ihn, draußen, am Eingang zum Club-Keller.

Heftige Umarmungen, mein Gesicht und meine Nase tief in seinen Hals graben. Ich habe mir schon vorgestellt, wie er jetzt nach einem Jahr aussehen könnte, vielleicht ganz grau? Weiter nur ein paar ganz kleine Stellen in seinem Vollbart und in seinen schwarzen Haaren. Und etwas mehr dicker. „They did not want to let me in“, klar, in seinem weißen Outfit und die Brusttasche, wie sie viele tragen. „It's not about the outfit, there should be no dress code.“

Wir bleiben im Außenbereich, ein rollender Imbiss verkauft dieses Festivalwochenende vegane Burger und Döner. Die Leute ansehen, beobachten, schwarz-bunte Punks und die Subkultur dieser schwarzen Szene, zu interessant. Nur meine schwarze Lederjacke – die Punkerkutte – signalisiert mich als nicht-szenefremd. Er hat so seine Probleme, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, sie sind spürbar reservierter.

„Let us go“, es ist erst gegen ein Uhr nach Mitternacht, die Straßenbahnen fahren noch nicht den schnellen Takt der folgenden vier Tage und Nächte. Er bezahlt ein vor dem Eingang wartendes Taxi. Zu unserem Hotel, besser noch, die Tankstelle davor, Bier und Wasser kaufen, ersteres für sich, zweites für mich. Er mag das Hotel, es ist diskret, niemand fragt nach, wer da an der Rezeption vorbei geht, die Damen in ihren kurzen Röcken, so wie ich die nächsten Nächte, die Herren, die LKW-Fahrer, die ganze Straße ist zugeparkt mit LKWs. „Zwei Bier und eine große Flasche Wasser.“ Das Taxi fährt schon weg, wir nehmen den kleinen Pfad von der Tankstelle rüber zum beleuchteten Hoteleingang.

Mein Zimmer ist den Fahrstuhl hoch in der zweiten Etage. Die weiße Funkkarte vor das Schloss halten, die Türklinke runterdrücken und die Tür aufdrücken. Lichtschalter suchen … ich muss die Karte noch irgendwo hineinstecken.

Das Zimmer ist eingeräumt, ihm fällt schon gleich meine Phalanx an fünf Paar Stiefeletten für jeden Tag auf (eines zusätzlich zum Autofahren). „I just need to go to toilet, give me some minutes.“ Ich beeile mich, den schwarzen Kajal aus den Augen wischen, Zähneputzen. Er zieht sich draußen schon aus und legt sich auf die rechte Hälfte des Doppelbettes vor den großen, weit geöffneten Fenstern. Ein Blick ins tiefe Schwarz, hier draußen ist nichts, außer die entfernt vorbeirauschenden Züge.

Ich krabbele zu ihm auf das Bett, alle meine Sachen liegen schon auf einem Stuhl irgendwo daneben. Ich schaue ihn an, schaue in seine Augen, wie eine Wildkatze, nimm mich, beiß mich, ich fress dich. Er lenkt mich, drückt meinen Kopf, nimmt meine Hände, bringt mich in Position. Nimm meinen Hodensack, nimm ihn, geh mit der Zunge ganz langsam von unten nach oben und dann wieder mit dem Mund nach ganz unten. Mach es langsam! Ich gehe tief, meinen Kopf zwischen seinen Schenkeln, immer wieder den Blick zu ihm gerichtet. Und wann bin ich dran? Später, später … er macht mich wahnsinnig. Ich will ihn, ich will dich!

Er holt ein Kondom heraus, neben dem Bett und dem Nachttisch steht schon der Abfalleimer, gefüllt mit unzähligen Klopapierstreifen. Ich bin unzählige Male tief gegangen, so viel Speichel, so viel … das Zeug vor dem Sperma. Das Kondom ist knallrot, er liegt weiterhin mit seinem dicken Bäuchlein auf dem Bett. „Do you have some liquid?“ Klar habe ich das! Endlich kommt mal die kleine Probepackung Gleitgel zum Einsatz, die ich schon seit mindestens einem Jahr in meiner Waschtasche und dem „Übernachtungskit“ habe. „Would you like to sit on me?“ Er reißt die kleine Packung auf, „Make also a bit on your ass“, es wird die Reiterstellung. Sie ist nicht so tief, aber er kann meine kleinen Brüste bewundern.

„I have to go.“ Du schläfst nicht bei mir? Er muss den nächsten Tag, in wenigen Stunden noch arbeiten, nur für mich ist der Freitag ein Urlaubstag. „Take your breakfast at nine“, ich sehe ihn wieder, sich anziehen, liege perplex auf meiner Hälfte des Doppelbettes am Fußende und sehe ihn die Tür schließen … vielleicht wenigstens noch eine Umarmung und einen schnellen Abschiedskuss. Drei Uhr den Freitag Morgen, noch fünf oder sechs Stunden bis zum Hotelfrühstück. Die Fenster weit öffnen, das Zimmer aufräumen, bevor ich die Fenster wieder schließe und die schweren Vorhänge zu schiebe. (Ende Teil 1/6)

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Kommentar:

[05.12.22 / 17:34] Daniele1992: Hallo Morgana

Mail ist heute rausgegangen

LG Daniele

[13.11.22 / 09:33] Daniele1992: Hallo Morgana

aktuell keine schöne Situation. Ich schreibe Dir noch eine Mail dazu.

LG Daniele

Morgana LaGoth: Einige Kommentare müssen auch nicht allzu öffentlich sein …

[13.05.22 / 09:15] Daniele1992: Hallo Morgana,

Tolle Reisebericht von Deiner neusten Reise nach Paris. Macht grosse Lust auch wieder dort hinzufahren um sich von der Stadt inspirieren zu lassen.

Tolle Neuigkeiten.NeuerJob. Klasse! Freue mich für Dich.

Liebe Grüße

Daniele

Morgana LaGoth: Danke. Endlich wieder verreisen … lange darauf gewartet. Lebendig bleiben, solange es noch geht.

[24.12.21 / 20:55] Daniele1992: Hallo Morgana,

Ich denke an Dich und wünsche Dir frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr 2022.

Liebe Grüße

Daniele

Morgana LaGoth: Vielen Dank, ich wünsche dir ebenfalls ein schönes, neues Jahr.

[25.09.21 / 14:59] Daniele1992: Hallo,

eine Chance etwas Neues zu machen. Neue Perspektiven. Urlaubsträume, die bald real werden können. Nicht so schlecht. Freue mich für Dich. LG Daniele.

Morgana LaGoth: Danke dir.

[11.11.20 / 09:12] Daniele1992: Hallo Morgana

Ich habe Dir eine Mail geschickt.

Lg

Daniele

Morgana LaGoth: Hey ... vom Lenkrad aus mit der Hand winken, von einem MX-5 zum anderen. *freu*

[30.07.20 / 22:03] Daniele1992: Guten Abend

das habe ich sehr gerne gemacht. Zum Einen interessiert mich das Thema und zum Anderen hast Du wirklich sehr lebendig und spannend geschrieben. Da wollte ich Alles lesen und wollte Dir schreiben, das mir Dein Blog besonders gut gefallen hat (Die eigentliche Arbeit hattest Du ja mit dem Verfassen des Blogs). Wenn Du magst können wir den Kontakt gerne per Mail halten. Viele Grüße Daniele

Morgana LaGoth: Mail-Adresse steht oben bei "kontakt" - bei weiteren Fragen, gerne.

[30.07.20 / 12:44] Daniele1992: Guten Morgen,

vielen Dank für Deinen tollen Blog. Ich habe ihn in den letzten Wochen komplett gelesen. Meistens konnte ich gar nicht aufhören zu lesen. Fast wie bei einem sehr spannenden Roman. Ich habe dabei Deine genauen Beobachtungen und Beschreibungen sehr genossen. Deine vielen Ausflüge in die Clubs und zu den Festivals oder Deine Streifzüge d durch die Geschäfte beschreibst Du immer aus Deiner Sicht sehr anschaulich und spannend. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, das alleine zu erleben, häufig auch mit einer gewissen Distanz. Ich kenne ich von mir sehr gut. Highlights sind Deine Reiseberichte. Deine Erlebnisse an den unterschiedlichsten Orten auf der Welt. Vielen Dank dafür. Vielen Dank auch das Du Deinen Weg zu Deinem waren Geschlecht mit uns Lesern teilst. Deinen Weg Deine Gefühle Deine zeitweisen Zweifel. Das ist sehr wertvoll auch für uns Andere, denn es ist authentisch und sehr selten. Du bist einem dadurch sehr vertraut geworden. Für mich ist eine gefühlte grosse Nähe dadurch entstanden. Umso mehr schmerzt es mich von Deinen Rückschlägen zu lesen. Von Deinem Kampf zu Deinem wahren Ich. Von Deinem Kampf umd Liebe, Zährlichkeit und Akzepzanz und Anerkenung. Von Deiem mitunter verzweifeltem Kampf nach Liebe und Anerkennung durch Deinen Exfreund. Leider vergeblich. Dein Kampf um wirtschaftliche Unabhängigkeit und Deine aktuell missliche Lage. Ich glaube dass Du nicht gescheitert bist. Du hast viel Mumm und Hardnäckigkeit bewiesen Deinen Gang zu Dir selbst zu gehen. Du hast auch einen guten Beruf der immer noch sehr gefragt ist. Vielleicht kann ja nach dieser Auszeit und etwas Abstand ein Neuanfang in einer anderen Firma, wo Du keine Vergangenheit als Mann hattest gelingen. Ich wünsche das Dir ein Neuanfang gelingt und drücke Dir ganz fest die Daumen. Daniele

Morgana LaGoth: Da liest sich tatsächlich jemand alles durch? Das ist mittlerweile schon ein kompletter Roman mit mehreren hundert Seiten! Danke dir, für deinen Kommentar (und die aufgebrachte Zeit).

[05.10.19 / 17:11] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

bin 5 T post all-in-one-FzF-OP. Deine guten Wünsche haben geholfen. Der Koch ist immernoch noch super. Alle hier sind herzlich und nehmen sich Zeit.

Herzlich

Drea

Morgana LaGoth: Dann wünsch ich dir jetzt noch viel mehr Glück bei deiner Genesung!

[14.06.19 / 12:57] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

vielen Dank für Deine offenen und kritischen Erlebnisberichte. Ich bin in 3 Monaten in Sanssouci zur FzF-OP. Ich denke auch, was kann schon schief gehen, status quo geht nicht und irgendwas besseres wird wohl resultieren. Wenn es Dich interessiert, halte ich Dich informiert. Drücke mir die Daumen.

Herzlich

Drea

Morgana LaGoth: Ich wünsche dir für deine Operation viel Glück. (Sollte der Koch nicht gewechselt haben, das Essen da in der Klinik ist richtig gut!)

[14.11.17 / 20:13] Morgana LaGoth: Nutzungsbedingungen für die Kommentarfunktion: Die Seitenbetreiberin behält sich das Recht vor, jeden Kommentar, dessen Inhalt rassistisch, sexistisch, homophob, transphob, ausländerfeindlich oder sonstwie gegen eine Minderheit beleidigend und diskriminierend ist, zu zensieren, zu kürzen, zu löschen oder gar nicht erst freizuschalten. Werbung und Spam (sofern die Seitenbetreiberin dafür nicht empfänglich ist) wird nicht toleriert. Personenbezogene Daten (Anschrift, Telefonnummer) werden vor der Veröffentlichung unkenntlich gemacht.

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