Der Sonntag, Dress des Tages:
[11.06.25 / 01:55] ✎ Der Sonntag, Dress des Tages: das Spitzenkleid und die kleine Clutch, Tasche in Tasche. Bühne des Tages: das Stadtbad, da war ich noch nie. Ich lasse mir den frühen Nachmittag Zeit, Beine rasieren, duschen, meine Sachen zum Anziehen wählen, mich ausgehfertig machen. Als Silberschmuck habe ich zusätzlich zu meinem Jeden-Tag-Schmuck noch den marokkanischen Armreif und ein kleines Kreuz als Anhänger mitgenommen, beides passte zum „Trad Goth“ Outfit, für die Glam-Variante wähle ich wieder den Ganesha-Anhänger an der Silberkette und dem Armreif mit Glitzersteinen.
Zuerst Frühstück. In der Innenstadt, die Leipziger Bäckerkette. Eigentlich ist das Wochenende das zeitgleich stattfindende Leipziger Stadtfest und ich sollte die Innenstadt wirklich meiden, zu viele Menschen, aber die große Filiale der Bäckerkette ist nun mal dort und ich wüsste nicht, wo ich um fünfzehn Uhr noch ein Frühstück bestellen kann. Ein Brötchen, ein Croissant, ein Café Crema. Die dunkelste Ecke in dem verglasten Innenhof war noch frei. Der versteckt liegende Innenhof des italienischen Restaurants wenig später, ist voller schwarz gekleideter Gothics.
Einlass im Stadtbad ist um 16:30 Uhr, eigentlich nur ein oder zwei Stationen hinter dem Hauptbahnhof, aber ich steige doch eine Station zu spät aus, ich hätte es wissen müssen, als ich hier noch gewohnt habe, bin die 16 immer von Eutritzsch bis zum Zentrum an dem markanten Gebäude vorbeigefahren, es ist eine große Schwimmhalle, gefühlt ein Jahrhundert alt. Mit der Straßenbahn wieder eine Station in die Gegenrichtung, dann weiter zu Fuß, musste ja jetzt auch gerade in diesem Moment, anfangen zu regnen … Beschissenstes Wetter seit 2007 …
Das historische Hallenbad ist wirklich beeindruckend, die erste Band fängt an, zu spielen, dieser Abend wird düster und Wave. Die Schwimmhalle mit den massiven Säulen im Historismus, sie wirkt wie eine Kathedrale! Der Hall! Ich bin fasziniert.
Die zweite Band, dafür bin ich hier: Jakuzi aus der Türkei! Wie haben die das nur bis hierher geschafft? Für mich ein Geheimtipp, die kennt doch niemand, die spielen doch bestimmt auf der winzigsten Bühne. Die große Kathedrale ist voll. Ich stehe ganz vorne in zweiter Reihe, es ist den Jungs anzumerken, dass sie sich nicht so wohl dabei fühlen. In der Türkei kennt sie doch jeder, aber hier in Deutschland? Und sie singen nur auf Türkisch? Ich als Fan habe natürlich schon ein Album von ihnen, ich bin wahrscheinlich die Einzigste, die Teile der Texte mitsingt … die Titel, wie sie auf das Booklet gedruckt sind. Sie spielen auch einige ihrer eigenwilligen „Schunkelsongs“, die Dramatik und Melancholie liegt wahrscheinlich in den Texten … wird es das Publikum verkraften? Einige aus den ersten Reihen drehen sich schon um, ich blicke nur kurz hinter mir … der Saal ist immer noch voll.
Nach dem Auftritt, zum Merchandise-Stand, ihr neustes Album ist leider nur auf Vinyl, ich habe zwar einen Plattenspieler, aber keinen Einkaufsbeutel für die Scheibe. Das ich von dem anderen Album eine CD habe, wirkt etwas merkwürdig, sie war vielleicht nicht „offiziell“.
Zwischen den Bands die Umbaupause, Sitzplätze gibt es hier nicht, allerhöchstens in den historischen Waschräumen. Das Publikum sitzt in den seitlichen Arkadengängen auf der Auslegware, so auch ich, mit einem Taschentuch darunter. Menschen stolpern über ausgestreckte Beine und Stiefel.
Die dritte Band, düsteres Zeug, sperrig, nicht so eingänglich für mich. Die vierte Band, sie ist so eine Solokünstlerin, eine schwarze Frau! Das ist in der Szene selten. Und sie ist so eine, wo ich einen Song kenne, den ich richtig gut finde und nie weiß, von wem der ist. Das ist ihr Song, den sie als letztes zur Zugabe spielt. Ein elektronischer Song aus dem Ende der Achtziger, die markanten Synthesizer- und Drum-Computer-Sounds.
Während ihres Auftritts, ihre Musik – mir kommt die Idee für einen neuen Song, die Texte fließen mir in den Kopf: „Loving a Ghost“. Endlich habe ich ein Thema, über das ich singen kann, das ich in meiner Musik verarbeiten kann. Synthesizer-Tracks kommen aus einer Jam-Session vor zwei Jahren, den Text vervollständige ich in der Umbaupause danach, wieder sitzend in den seitlichen Arkaden. Ich tippe den kurzen Mehrzeiler in meine Smartphone-Notizen.
Der Headliner des Abends: Linea Aspera. Eines der Alben, das in meinem Autoradio rund läuft. Das Set geht lang, die Halle ist voll. Manchmal geht es zu lang, es wirkt, als würden die beiden einige ihrer Songs bewusst wiederholen und dabei nur leicht variieren. Etwas ermüdend für mich, aber ich versuche durchzuhalten. Nur leider wird es gegen Ende des Konzertes politisch, ich bin deprimiert, dass meine an sich zutiefst unpolitische Gothic-Szene dazu bewegt wird, eine Seite zu wählen, der Kampf in Nah-Ost ist nicht mein Kampf, jede Phrase von: „Ich bin besser als du, wir sind (moralisch) besser als ihr“, hat immer ein Hauch von Faschismus.
An der Straßenbahnhaltestelle, es ist spürbar kälter geworden, gut, dass ich das Spitzenkleid mit meiner Lederjacke kombiniere.
Meine Freude ist nur kurz, als ich wieder um ein Uhr nachts das Werk 2 und das „Gothic Pogo Festival“ erreiche … schon wieder Einlassstopp vor dem Clubkeller mit den Konzerten. Überall Menschen. Der Innenhof ist voll, die andere große Halle ist voll, keine Chance, zu tanzen, keine Chance, an die Bar zu gehen, die Traube an Menschen steht in mehreren Schichten.
Als die kleine Halle etwas leerer wird, die Konzerte sind durch, kann auch ich rein, aber sie wird gleich wieder richtig voll, dabei ist das doch der elektronische Synth-Wave-Abend, der geht die ganze Nacht bis zum Morgengrauen. Ich fühle mich beengt und unwohl, auch am Rande sitzen und die Augen schließen und mich auf die Musik konzentrieren, wirkt nicht. Manchmal werde ich angerempelt, manchmal streifen Menschen an mir vorbei. Ich öffne meine Augen und sehe, dass es nicht besser wird.
„Abbruch!“ 2:30 Uhr, ich springe auf, laufe so schnell wie möglich zur Garderobe, meine Tasche und meine Lederjacke abholen, um dann noch schneller aus dem Clubkeller hinaus zum Ausgang des Geländes zu flüchten. Vor der Einlasskontrolle steht schon die nächste Schlange, vielleicht ist diese Angst vor Menschenmassen nur eingebildet und nicht echt, aber andere Menschen haben auch eine panische Angst vor Spinnen, was für mich vollkommen unlogisch und irrational ist, die kleinen achtbeinigen Krabbeltiere sind doch so niedlich. Zurück zum Hotel, wenigstens schaffe ich das Frühstück in ein paar Stunden. Die Taxifahrer verdienen gutes Geld mit mir, das Hotel fernab. (Ende Teil 4/6)