Der CSD in Magdeburg, mal wieder.
[28.08.24 / 00:25] ✎ Der CSD in Magdeburg, mal wieder. Nach dem CSD in Leipzig letztes Wochenende, ist hier auch in Magdeburg eine Gegendemo von Rechts angekündigt – ich erwarte genauso viele, mutige Menschen hier, die für die queere Bewegung einstehen und den Faschos zahlenmäßig weit überlegen sind. Es werden bestimmt Tausende kommen.
Die Nacht davor wird schlaflos. Liegt es an dem Essen, den Abend zuvor, oder an den schwül-warmen Temperaturen (offenes Fenster, Oropax und Mückenschutz), oder an der Ankündigung meiner neuen Eroberung (oder ich die seine), mich in Magdeburg begleiten zu wollen. Die Tage zuvor – er bombardiert mich mit Nachrichten und Liebesschwüren. Das vergangene Wochenende bin ich den Morgen vor ihm geflüchtet, mir wurde das zu viel … und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob er weiß, was ich bin … Gegen fünf Uhr morgens den Sonnabend schaffe ich es doch, noch drei Stunden bis zum Frühstück – und Beine rasieren und Körper vorbereiten, etwas zu schlafen.
Ich nehme das Auto, das mit der Kundgebung und den Regionalzug nach Magdeburg um elf Uhr, schaffe ich so nicht mehr. Meine neue Regenbogenfahne lasse ich zu Hause, sie hängt groß an der Küchentür. Outfit für die Demo an diesem heißen Tag: meine indisch-orientalische, dunkle Tunika. Mit anthrazit-grauer Skinny-Jeans … sah zu komisch aus, nur mit nackten Beinen. Schuhe: die bequemen Hi-Top-Sneakers. Meine Flip-Flops nehme ich mit, die möchte ich unbedingt später tragen, zusammen mit dem neuen, silbernen Fußkettchen. Schmuck für den Tag: Ringe, Armreif, Silberkette mit Ganesha und meinen schweren, antik-silbernen, marokkanischen Armreif.
Das Auto parke ich in dem Parkhaus unter der Shopping-Mall im Herzen von Magdeburg. Meinen Strohhut und meine große, schwarze Sonnenbrille habe ich noch dabei, als ich das Einkaufszentrum nach oben hin, in Richtung des alten Marktes von Magdeburg verlasse. Vollkommen anderes Bild, wo sind die Zwanzig- bis Dreißig- und Vierzigjährigen? Schon wieder nur Jugendliche … und davon noch nicht mal viele? Von den achttausend erwarteten Teilnehmern ist die Zahl weit entfernt. Polizeikolonnen rauschen vorbei … einige, nicht wenige, haben sich einschüchtern lassen? Wahrscheinlich ist es den Tag einfach nur viel zu heiß.
Eine große Flasche Wasser mit dabei, im Schatten des Rathauses creme ich mich mit dem Sonnenschutz ein. Das Smartphone aus meiner Tasche ziehen, vielleicht hat sich jemand von meinen Kontakten angekündigt. Er ist es, mein neuer Liebhaber vom letzten Wochenende. Ich hatte ihm um 4:30 Uhr morgens geschrieben, dass ich nicht einschlafen konnte und sehr wahrscheinlich nicht nach Magdeburg fahre. Es hat ihn nicht abgeschreckt, er ist trotzdem aus Leipzig gekommen und sucht mich jetzt hier.
Ich gebe jedem eine Chance? Ich freue mich, dieses Mal nicht den CSD alleine abzulatschen. Wenig später treffen wir uns auf dem alten Marktplatz, inmitten der vielen bunten Menschen mit den bunten Fahnen. Er freut sich auch, dass ich es geschafft habe. Lass uns einen schattigen Platz suchen, bevor die Demo losgeht.
Die Trucks setzen sich in Bewegung. Laute Musik. Wir lassen ein paar von denen vorbeiziehen, hören uns die Musik an, was gefällt, was von den DJs auf den Trucks gespielt wird. So viele Demo-Fahrzeuge sind es nicht, die knapp dreitausend, vorwiegend jungen Menschen, reihen sich ein. Wir sind irgendwo im hinteren Feld und ziehen mit.
Der CSD führt in Richtung Domplatz und Landtagsgebäude. Er ist vorbereitet, Schirmmütze, Wasserflaschen, Essensproviant und bietet mir immer wieder etwas an. Nach wie vor kommunizieren wir immer noch nur über Handgesten und dem Übersetzungsprogramm auf seinem Smartphone. Am Domplatz mit dem Zwischenstopp der Demo, suchen wir uns ein Café – die dritte Tasse Kaffee für mich diesen Morgen, ich muss mich wachhalten.
Er ist weiterhin an mir interessiert, nimmt meine Hand und küsst sie. Ich muss mich damenhaft immer verlegen wegdrehen. Die Demo geht weiter, er zahlt die zwei Tassen Cappuccino und wir reihen uns wieder ein.
Der CSD führt jetzt nah an der Elbe vorbei, Sightseeing-Tour. Wieder oben in der Stadt kürzen wir – wie viele andere Teilnehmer – über eine Seitenstraße ab und befinden uns jetzt im vorderen Teil der Demo mit dem lauten CSD-Truck der Veranstalter. Die Demo stoppt, es geht nicht weiter, von irgendwo erschallen Rufe: Nazis raus! Die Polizeieskorte dicht neben uns bezieht Stellung und reiht sich auf. Kommando Handschuhe. Der Helm wird übergezogen, die Handschuhe übergestreift. Ich mache meiner Begleitung mit einer Geste, meine beiden Fäuste prallen aufeinander, darauf aufmerksam und gebe ihm zu verstehen, dass es hier gleich Action geben wird. Ein paar besonders mutige Demoteilnehmer strömen in die Seitengasse, die Polizisten voreilend hinterher, um die beiden Lager zu trennen. Die Faschos sehe ich nicht. Verunsicherte, zurückbleibende CSD-Demoteilnehmer? Das Bild, wie ich ihm zugewandt, als verängstigte Frau in seinen Armen liege, ist ein ikonisches Filmmotiv. Der vordere Demo-Truck fährt die Musikanlage wieder hoch und der CSD startet wieder, die letzten paar hundert Meter wieder zurück von der Gegend rund um den Magdeburger Hauptbahnhof hin zu dem alten Markt und Stadtkern.
Das Ende der Demo erreichen wir nicht, wir gehen beide ein Eis essen. Zielgerichtet leite ich ihn zu dem italienischen Eiscafé, in dem ich nach meinen Shopping-Touren immer ein Eis esse. Stracciatella in der Waffel für mich, eine Kugel Vanille für ihn. Während wir im Schatten eines Schirms das Eis schlecken, laufen ein paar Polizisten in Krawall-Montur an uns vorbei … die Rechten, die sie verfolgen, oder absichernd begleiten, entpuppen sich als … marodierende Jugendbanden. Ein Haufen halbstarker, pubertärer Jungs auf einem Event-Trip, mal was erleben, mal rebellisch sein, mal den anderen, nicht weniger jüngeren „Schwuchteln“ Angst machen. Wo sind die militanten Neo-Nazis von früher abgeblieben?
Die Demo ist für uns beide beendet, er möchte gerne ein Hotelzimmer für uns buchen … lasse ich mich darauf ein? Er hat mich bereits so weit. Nur glaube ich nicht, dass es hier in Magdeburg genug Hotels gibt und dass diese überhaupt ein Zimmer frei haben. Seine Vorschläge auf der Suche auf seinem Smartphone, sind entweder weit außerhalb oder richtige, „spartanisch“ eingerichtete Monteursbuden. Ich kenne hier im Zentrum zwei Hotels, aber die sind bestimmt weit über seiner Preisklasse. Lass uns zu dem Hotel gehen, das hier gleich um die Ecke ist … wir können ja mal fragen.
Das stadtbekannte, Vier-Sterne-Hotel – ich betrete zum ersten Mal die Lobby und mein Blick schweift nach oben in diesem bestimmt zehnstöckigen Glaspalast. Die Damen an der Rezeption tippen ein paar Daten in ihren Computer ein. „Tut mir leid, wir sind ausgebucht.“ Die zwei Gestalten vor ihr, die eine, offensichtlich transsexuelle Prostituierte und ihr arabischer Klient, wirken auch nicht so, wie das betuchte Klientel, das hier sonst verkehrt. Beim zweiten Versuch, in einem anderen Hotel gleich um die Ecke am Hauptbahnhof, stecke ich wenigstens noch das Regenbogenbändchen von meiner Lederhandtasche weg und drehe meinen schwarzen Tragebeutel mit dem Punkermotiv um. Auch hier ist kein Zimmer mehr frei. Was nun? Er sucht auf seinem Smartphone ein Hotel außerhalb von Magdeburg, ich habe noch mein Auto in dem Parkhaus stehen. Das eine Hotel, das er findet – das kenne ich. Nicht von innen, aber ich weiß, wo das ist. Das eine Hotel in dem nächsten Ort, nicht unweit des Gewerbegebietes mit den Firmen und Fabrikanlagen – da arbeite ich (und fahre immer an dem Hotel vorbei). Er hat immer noch keine Ahnung, was ich bin, was ich beruflich mache, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Für ihn bin ich nach wie vor … eine Prostituierte? Zumindest ein leichtes Mädchen.
Wir essen noch etwas in dem arabischen Bistro in der Fußgängerzone, er hat mich gefragt, ob ich ein arabisches Restaurant kenne, ich weiß, wo eines ist, ich habe hier in der Gegend um die Universität mal drei Monate gewohnt. Das Bistro gibt es immer noch, aber es hat sich ganz schön verkleinert. Er füttert mich den späten Nachmittag an dem einen Tisch im Außenbereich, was arabische Männer so machen mit ihren Frauen. Irgendwann muss ich das ablehnen, ich habe noch meinen eigenen Teller mit Manakish und Falafel. Der Mann am Verkaufstresen / Dönerstand kennt auch ein Hotel, aber das ist dasselbe, in dem wir schon zuerst waren. Wieder zurück zu dem Einkaufscenter und dem Parkhaus darunter. In dem Einkaufscenter kaufe ich in einer Drogerie noch schnell eine Zahnbürste und eine kleine Reisepackung Zahnpasta für mich. Es könnte sein, dass ich die Nacht noch in einem Hotel verbringe. Ich hoffe auf eine Dusche – der Sommertag ist einfach zu heiß. (Ende Teil 1/2)