Draußen der Regen, der Regenschirm, meine Lederjacke, meine Nachrichten auf seinem Telefon:
[17.07.23 / 00:53] ✎ Draußen der Regen, der Regenschirm, meine Lederjacke, meine Nachrichten auf seinem Telefon: „Go now, hotel.“ Mein Weg führt mich durch die dunklen Straßen der Fußgängerzone, vorbei an der Gay Bar neben dem Hotel. Könnte er dort sitzen und auf mich warten? Nur ich habe die Schlüsselkarte. In der Lobby im Hotel vor dem Fahrstuhl krame ich mein Telefon aus der Handtasche … eine Nachricht von ihm, nur der Name der Bar. Die paar Meter draußen wieder zurück. Dort angekommen, frage ich die, geschützt vor der Nässe unter der Markise sitzenden Gäste, ob hier schon zu ist und ob sie meinen Freund gesehen haben. Bin ich zuerst da und er kommt noch? Nein, er sitzt drinnen. Er erkennt mich, kommt kurz raus und winkt mich hinein. Mist. Er ist bereits betrunken.
Alle meine Pläne, meine Erwartungen, meine Wünsche, meine Geilheit sind dahin. Das Kondom, welches ich vorhin in dem Club an der Garderobe, als Geschenk für die Gäste, noch schnell mit eingesteckt habe, es war vollkommen für umsonst? Ich setze mich neben ihm auf einen Barhocker und zähle die aufgereihten Bierflaschen auf dem Tresen vor mir. Die zwei leeren Likörgläser sind mir auch nicht entgangen.
Er erzählt von seiner Idee, ein Franchise-Unternehmen, eine eigene Bar irgendwo in Leipzig, wie viel er noch braucht, um da einsteigen zu können. Ich erfahre, dass er nicht mehr direkt in Leipzig wohnt und hauptsächlich vom „Bürgergeld“ lebt (also das umbenannte „Hartz-IV“). Scheiß Jobcenter. Gespräche in der Kneipe, denen ich nur zustimmen kann. Er bescheißt die, ich bescheiß die – wer nicht? Nur die Leute von der Arbeitsagentur (das Büro für die Akademiker) haben mir wirklich geholfen und mich indirekt, mit einer sinnvollen, technischen Schulung, in mein neues Arbeitsverhältnis gebracht. Noch sechs Monate Gehalt und ich könnte in sein Business einsteigen und das mitfinanzieren – geht das überhaupt? Als stille Teilhaberin / Barbesitzerin? Es ist ein Franchise, und das sind eigentlich auch nur Sklaven.
Irgendwie ist die Bar, in der wir sitzen, schon die ganze Zeit am Schließen. Wir verlassen sie auch. Der Regen draußen hat nachgelassen, er kennt angeblich noch eine andere Bar, die offen hat. So lange ist meine Zeit in Leipzig noch nicht zurück, um diese Zeit – gegen drei Uhr nachts – hat fast nichts mehr offen. Quer über den Marktplatz, meine Stammbar von früher, oben ist schon alles zu, aber unten in der Seitengasse gibt es noch den Keller. Zwei Afrikaner versuchen erzürnt an der Security hineinzukommen, werden aber abgewiesen … ihre Hautfarbe? Unten wird auch schon alles zugemacht. Mein Freund stellt sich daneben, er hält schon die ganze Zeit meine Hand. Die Erscheinung, dass wir ein Paar sind, wirkt vielleicht deeskalierend. Ich versuche ihn immer etwas wegzuziehen, lass uns etwas Abstand zu den Security-Leuten nehmen, wir gehen woanders hin. Betrunken sind für ihn alle Menschen seine Freunde und er wird in Gespräche verwickelt. Meine Buttons an meiner Lederjacke werden von einem Gast gemustert: „Irgend so eine Pride-Scheiße, nichts Vernünftiges an Punk.“
Wir irren weiter, vorbei an den Gästen, freundlich. Er kennt da noch ein Restaurant, er hat Hunger. „Du, um diese Uhrzeit hat wirklich nichts mehr offen!“ Allerhöchstens noch der Schnellimbiss im Hauptbahnhof. 24/7. Gut, lass uns zum Bahnhof gehen.
Ich habe die Hoffnung, dass er mit jeden Meter an der frischen Luft etwas weniger betrunken wird, Hand in Hand laufen wir die Straßen entlang. Der hell beleuchtete Hauptbahnhof vor uns, die Straße, die Verkehrsampeln spiegelnd in den Pfützen. Im Gebäude des Hauptbahnhofs selbst, warten unzählige junge Menschen auf die ersten Züge wieder zurück. Alles Besucher des CSD vor vielen Stunden? Die bunten Fahnen hier und da verraten es. Der Schnellimbiss hat immer offen, wir gehen hinein. Er lässt seine Finger über den Bestellbildschirm gleiten, stellt sich ein Menü zusammen und ich bewundere seine Fertigkeit, wie er das fehlerfrei in seinem betrunkenen Zustand schafft. Nur der Bezahlvorgang und das Bereitstellen des Menüs dauert eine Ewigkeit.
Was passiert hier? Wo bin ich hier? In welchem Kreis der Hölle? Nummern tauchen an den Monitoren auf, aber viele Gäste warten einfach nur noch. Mein Freund entdeckt, dass er nicht der einzige mit seiner arabischen Sprache ist … regt ihn etwas auf? Ist er angepisst oder scherzt er einfach nur. Meine Arabischkenntnisse beschränken sich auf eine Fernsehserie, die in Berlin spielt: „Wallah, ich schwör', das sind alles Arschlöcher hier!“
Irgendwann kommen wir doch noch mit einer Papiertüte, aufgedruckt mit einem großen „M“, wieder hinaus. Ein Burger, Fritten, eine Schachtel stark gewürztes Hühnchenfleisch. Er bietet es mir an, aber ich wollte für mich nur meine Flasche Wasser (ich esse nichts mehr nach Mitternacht). Zurück zum Hotel. Es wird schon leicht bläulich dunkelhell am Himmel.
Im Hotelzimmer, ich schminke mich vor dem Spiegel am Waschbecken ab, wische mir den Kajal und das Mascara aus den Augen. Zähneputzen, er fängt derweil schon an, an mir herumzumachen und ich spüre seine Hände hinter mir. Ein Augenaufschlag, ein Blick in den Spiegel. Bitte …
Ich drehe mich um, gehe mit ihm ins Bett. Er schubst mich, dreht mich, wirft mich, drückt mich in Position, ich bin bereits nackt, er zieht sich ein Kondom über und nimmt mich von hinten. Er stößt tief zu. Wie sehr habe ich das vermisst. Ich liege auf meinem Bauch, er über mir. Er drückt mich immer weiter nach vorne, ich kann nicht anders, als laut aufzustöhnen und mich in das Bett zu krallen. Der Lärm der krachenden Möbel muss bis in die nächsten Zimmer zu hören sein.
Wenn er rausrutscht, wenn er seine Erregung verliert, ich drehe mich sofort um. Das Kondom wird weggeworfen, ich nehme sein Teil in den Mund, gehe schnell und rabiat tief. Nur keine Zeit verlieren! Ich will, dass er schnell wieder steif wird und wir das nächste Kondom verwenden können. Er nimmt mich wieder von hinten …
In den Pausen bin ich über ihm. Meine Hand gleitet in meine Schamlippen … ich bin so unfassbar feucht! Verdammt! Ein ganzes Jahr ohne Sex! Ich bin eine Raubkatze. Ich tue mein Bestes, ich gebe ihm diesen Deepthroat Blowjob, bleibe tief. Er kommt. Ausgerechnet jetzt … wo ich kurz nach oben, Luft holen wollte. Explosionsartig ergießt sich alles auf seinem Bauch, das ganze Sperma. Sorry. I'm so sorry! Ich wollte alles aufnehmen, in meiner Phantasie wollte ich in den Moment über ihn rutschen und alles in meine Vagina laufen lassen. Ich will ein Kind von dir. Ich gebe ihm ein Handtuch, er kann damit alles aufwischen.
Wenig später, ich nehme eine Dusche, wasche alle meine Körperöffnungen sauber. Er zieht sich an. Ich bin zurück auf meinem Bett: „Du willst schon wieder gehen?“ Ich bemerke genau, dass er gerade nichts von sich zurücklässt. Seine Antwort, dass er nur mal schnell eine Flasche Bier holen will, lässt mich mehr als misstrauisch erscheinen. Das hat vielleicht einmal funktioniert (letztes Jahr), aber kein zweites Mal. Ein Abschiedskuss, ich sehe ihn wieder die Tür schließen. Die Schlüsselkarte verbleibt im Zimmer. Sofort nach seinem Verlassen beginne ich das Zimmer aufzuräumen, die benutzten Kondome einzusammeln, die leeren Flaschen beiseite zu räumen, ein Handtuch zusammenzufalten … hoffentlich habe ich das richtige der beiden Handtücher zum Duschen für danach verwendet. Ich rücke die Betten zusammen, ordne die Bettdecke, lösche alle Lichter, öffne das Fenster mit dem Morgenlicht für einen Spalt und lege mich ins Bett. Er kommt nicht mehr zurück, du kannst jetzt ganz sicher einschlafen.
Neun Uhr morgens den Sonntag, spätester Check-out ist erst gegen zwölf Uhr, ich hätte noch zwei Stunden weiter schlafen können. So sind es vielleicht nur drei geworden. Egal, reicht auch aus, mehr Zeit für mich für eine weitere Dusche und endlich die Haare waschen (wie viel Sperma da wohl drin klebt). Ich räume danach alle meine Sachen zusammen und mache das Hotelzimmer noch viel mehr hübscher. Alles an Müll aufsammeln und in den Eimer geben. Die benutzten Handtücher auf einen Haufen werfen. Den Klodeckel zumachen, noch einmal die Spülung betätigen. Eine Frau hat hier gewohnt. Nur, dass der Mülleimer ohne Beutel war, ist vielleicht etwas eklig … bei den benutzten Kondomen im Bodensatz. Dafür lasse ich alle Pfandflaschen zurück.
Zurück nach dem Check-out zu dem Bäcker um die Ecke gegenüber, dieser ist mir bei meinem letzten Besuch Pfingsten vor ein paar Wochen zuvor, entgangen. Ein komplettes Frühstücksmenü mit Croissant, Brötchen, Nuss-Nougat-Creme, Honig und einem mittelgroßen Pott Kaffee. Zurück zu meinem Auto, das immer noch in dem Parkhaus am Hauptbahnhof steht … wenn ich schon nicht das Hotelzimmer bezahlt habe, dann eben den luxuriösen Stellplatz für meinen roten Roadster (es sind nur 23 Euro Parkgebühr). Zurück im schönsten Sonnenschein die Autobahn in mein anderes Leben.
Was ist eigentlich aus meiner neuen Disco-Bekanntschaft geworden? Ich bin mir noch nicht so sicher was „seine“ Textnachrichten bedeuten … ich glaube, er hält mich für eine Prostituierte?
(Ende Teil 3/3)