Freitag Mitternacht, ich bin gerade von einem Abendessen mit den Kollegen zurück, ein kurzer Blick auf mein Smartphone, nur mal schnell die Nachrichten checken.
[26.06.23 / 00:23] ✎ Freitag Mitternacht, ich bin gerade von einem Abendessen mit den Kollegen zurück, ein kurzer Blick auf mein Smartphone, nur mal schnell die Nachrichten checken. Ein Kontakt von Tinder hat mir geschrieben … habe ich seine Nummer nicht schon letztes Jahr gelöscht? Auf diesem Dating-Portal bin ich auch schon seit letztem Sommer nicht mehr online. Ich antworte ihm mit ein paar kurzen Zeilen.
Es braucht nur zwei oder drei weitere Nachrichten und es stellt sich schnell heraus, was seine Absichten sind: er will ein Sextreffen mit mir, Fotos, Bilder, vielleicht noch ein Video? Sorry Honey. Aber die, die du suchst, bin ich schon lange nicht mehr. Ich gebe ihm einen Link zu meinem Profil auf dem Webcam-Erotik-Portal – dort kann er sich gerne „verlustieren“. Genau dafür ist es da, um solche Kontakte abzuwimmeln … und für mich springt vielleicht auch noch etwas heraus (aber eigentlich habe ich in der ganzen Zeit, die ich da war, noch nie die Auszahlgrenze des Erotik-Portals erreicht).
So viele Dinge passieren mir in der letzten Zeit als Andrea, über die ich nicht so öffentlich schreiben kann. Mein anderes Leben, weit abseits von dem als Morgana – meine Kunstfigur, das ehemalige Escort-Girl, ungehemmt und sexuell freizügig, verrucht und von der Rotlichtszene magisch angezogen. Sie ist nicht echt, sie ist nur ein Teil von mir.
Ich als Andrea – die IT-Ingenieurin mit der in den vielen psychologischen und psychiatrischen Gutachten nachgewiesenen „autistischen Wesensart“, die, deren „soziosexuellen Kontakte“ nur auf flüchtigen Begegnungen basieren. Mein Leben: ich gehe zur Arbeit, ich komme von der Arbeit, ich sitze zu Hause, manchmal gehe ich auch das Wochenende weg, ein Festival, ein Konzert, eine Bar. Mit der Grenze jenseits der Vierzig habe ich (als Frau) die Schwelle zur Unsichtbarkeit überschritten. Es gibt einen Arbeitskollegen, der mich immer zu einem Essen einlädt … macht er mir Avancen? Ich bin in solchen Dingen blind und auf einem guten Rat hin, lasse ich mich während der Probezeit auf nichts ein. Ich verbringe wirklich viel Zeit auf der Arbeit, sie ist fast schon wie eine Sekte. Zwei Monatsgehälter und ich bin bereits raus aus dem Dispokredit.
Die Trans-Selbsthilfegruppe trifft sich zweimal im Monat in einem hübschen Park irgendwo in Magdeburg. Ich würde so gerne darüber schreiben – aber das kann ich nicht. Es ist ein sehr geschützter Kreis, den ich seit zwei oder drei Jahren sporadisch besuche. Ich bin nicht allein, ich habe meine Freunde mit denen ich so intime Fragen teilen kann: Was antworte ich, wenn mich eine Kollegin nach meiner „Periode“ fragt? Nett … ich nehme die Pille? Ich bin auf Hormone? Ich habe deswegen keine Monatsblutung? Auf jeden Fall den Schein bewahren, dass ich eine echte Frau bin (sie hat vielleicht schon mitbekommen, dass ich einiges zu verbergen habe). Der kleine Hexenzirkel der trans Frauen unter dem Baum auf der Wiese in dem Park ist in solchen Fragen auch nicht so wirklich sicher.
Zurück den Sonntagabend bei dreißig Grad in meinem Roadster mit offenen Verdeck die Straße entlang herumräubern, im Autoradio läuft ein zwei Jahrzehnte alter Goa-Trance-DJ-Mix mit laut wummernden Bässen. Vorher noch am Ufer der Elbe in einem Café ein Eis essen. Interessant zu wissen, dass ich mich in jede engste Parklücke zwängen kann, ohne hinterher die Türen öffnen zu müssen – ich klettere einfach oben heraus oder schwinge mich abgestützt wieder hinein, und lasse mich einen halben Meter in meinen Sitz vor dem Lenkrad fallen. Weiter auf dem heißen Asphalt zu der Techno-Musik der Sonne entgegen.