Morgana verschwindet ...
[05.03.21 / 02:35] ✎ Morgana verschwindet ... es waren nie die Tabletten, ich liege nach wie vor die Nächte wach und schlafe bis in den späten Vormittag. Die Wirkung der Rehaklinik verpufft geradezu innerhalb einer Woche, mein Tages- und Schlaf-Wachrhythmus gleicht sich rasend schnell wieder der Zeit davor an. Tief in der Nacht der Lärm der vorbeirauschenden, tonnenschweren LKWs auf der einen Seite, das kleine Fenster, dicht abgehängt mit einem dunklen Baumwollhandtuch und der immerwährenden und niemals aufhören zu dröhnenden Fabrikanlage in Sichtweite, auf der anderen Seite. Tausche Schlaftabletten gegen Ohrstöpsel aus wattiertem Knetwachs ... von der einen psychischen Abhängigkeit in die andere.
Den Mittag, zum Frühstück, liegen Briefe vom Jobcenter auf dem Tisch. Ich weiß genau: "Mach sie nicht auf! Laß sie liegen, verbrenne sie, wirf sie ungelesen weg!" Da steht nie etwas Gutes drin. Zu viele traumatische Erfahrungen. Mit einem unwohligen Gefühl öffne ich sie doch ... sie wollen Kontoauszüge und Einblick in mein Vermögen von vor zwei Jahren. Warum? Was geht euch das an? Die paar wenigen hundert Euro "Kapitalertrag" habe ich schon längst in Wien und auf Ibiza verjubelt. Damals noch, in der alten Zeit, bevor die ganze Welt unterging.
"Die Patientin konnte sich glaubhaft von Suizidgedanken distanzieren." Zitat aus dem Entlassungsbericht der neurologischen Reha. Was die nicht wissen, es nagt weiter an mir und wird auch nicht besser. Das ich die Antidepressiva abgesetzt habe, hinterläßt Spuren in meiner Seele. Mir wird dringend angeraten, eine ambulante Psychotherapie zu machen - oder zumindest noch einmal eine "richtige" psychische Reha zu beginnen. Mir wird das alles zuviel. Die Listen mit den Telefonnummern und Adressen der Therapeuten habe ich nach meiner Rückkehr nicht einmal mehr angerührt. Die Briefe, die da jetzt neu dazu gekommen sind (die beiden da oben in den beschriebenen Zeilen, in den häßlichen Briefumschlägen) tun ihren Rest.
In der Klinik, in den Gesprächen, ist meine erschreckende Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit aufgefallen - die ganze Welt hat gerade dieses Problem! Draußen die Menschen, von denen ich glaube, daß sie da sind (ich höre den Straßenlärm), wirken auf mich nur wie seelenlose Maschinen, die nur noch automatisch funktionieren. Es ist, als hätte man ihnen gesagt, daß sie tödlich erkrankt sind und es keine Heilung mehr gibt - und sie wollen es nicht wahrhaben. Klammern sich an die fixe Vorstellung, daß alles wieder wie vorher wird ... doch das tut es nicht. Für mich gibt es keine Zukunft mehr. Morgana stirbt ... ganz langsam.
Traumszenen in kursiv, weit nach Mitternacht.