
Beine rasieren, Duschen, Make-up auftragen, die Zwei-Farben-Lidschatten-Palette, schwarzer Mascara und Kajal, das orientalische Parfüm hinten auf den Nacken und die zwei Flecken Patchouli hinter den Ohren.
[16.09.25 / 13:23] ✎ Beine rasieren, Duschen, Make-up auftragen, die Zwei-Farben-Lidschatten-Palette, schwarzer Mascara und Kajal, das orientalische Parfüm hinten auf den Nacken und die zwei Flecken Patchouli hinter den Ohren. Die Netzstrumpfhose mit dem Blumenrankenmuster, das schwarze One-Shoulder-Kleid, die Perlenkette, der marokkanische Armreif, der andere silberne Armreif und der Ring mit dem grünen Stein. Die absatzlosen 22-Loch-Schnürstiefel und die Punker-Lederkutte. Meine kleine, schwarze Handtasche – auf dem Weg zu den S- und U-Bahn-Stationen den beginnenden Abend in Berlin sehe ich viele junge Frauen, die genau so herum laufen. Wieder meine zwei Stationen auf die Südseite vom Spreekanal, zu dem Club für das schwarze Festival. Der Weg ist schnell zu laufen, ich bin pünktlich um zwanzig Uhr für den Einlass da. Festival-Armbändchen vorzeigen, natürlich ganz in Schwarz. So viele sind noch nicht da, wird es diesen Abend auch so voll, wie den letzten Abend?
Die erste Band spielt wieder draußen auf dem Paradise-Floor, ich habe schon meine erste Flasche Wasser geholt. Die Band, die den Abend beginnt, sie ist uralt, aus der Frühzeit der Achtziger, ich habe sie zuerst vom Namen nicht erkannt … da war doch was? Sie spielen ihre Songs, die beiden Herren, den weiblichen Gesangspart muss eine viel jüngere Gastsängerin übernehmen. Und dann werden die ersten Noten ihrer alten Songs gespielt, jetzt kommt alles zurück, klar, kenne ich die. Ich bin immer noch (fast) textsicher, ich habe ihre Songs auf meinem alten Radiosender hoch und runter gespielt! Ob das jemals funktioniert hat, ob die jemals Tantiemen dafür bekommen haben? Meine vorproduzierte Radiosendung lief auf einem US-amerikanischen Streamingsender, für den ich monatlich ein paar Dollar für das Ausstrahlungsrechte-Management abdrücken musste, der Streamingsender ist dann insolvent gegangen oder wurde verkauft. Ich glaube nicht, dass die beiden deutschen Herren dafür jemals Geld bekommen haben, oder auch nur von der Existenz meines Übersee-Piratensenders erfahren haben. Ich hatte in der Spitze bis zu dreihundert Stunden Musikhörer … im Monat.
Die nächste Band, ich wechsele auf den Main-Floor … satanisch angehauchter EBM? Ritual-Black-EBM? Weihrauchschwaden in der Luft? Ich stehe bequem hinten in der Menge und betrachte die Szenerie. Gefällt mir. Und dass ich gleich neben mir an der Wand einen Haken für meine Lederjacke finde und einen schmalen Bar-Tresen für meine Tasche und meine Flasche … ich richte mich perfekt ein in meinem kleinen Wohnzimmer.
Die dritte Band später den Abend, wieder draußen auf dem Paradise-Floor, ich habe zu viel Zeit draußen verbracht, irgendjemand hat mich angesprochen und gefragt, ob ich in einer Band spiele, weil er glaubt, mich zu erkennen. Ich verneine das kurz, er geht wieder weg … er wird nicht wirklich mich meinen, ich habe zwar ein paar Songs von mir ins Internet hochgeladen, wo ich auf den Synthesizern und Drum-Computer mein „Pow-Wow“ trommele – aber das ist weit davon entfernt, irgendwie bekannt zu sein. Realistisch gesehen, mich kennt keine Sau … er muss mich verwechselt haben. Noch in Gedanken betrete ich den aus Holzwänden gezimmerten zweiten Floor draußen im Garten, weit komme ich nicht, schon am Eingang staut sich alles, die Hütte ist voll.
Bevor ich im Eingangsbereich zerquetscht werde, nur mit einem bescheidenen Blick aus den hintersten Reihen auf die Sängerin vorne auf der Bühne, versuche ich es, wieder draußen, über die Kunststoffglasfenster, aber das ist doof, hier höre ich ja nichts. Eine Flasche Wasser an der Bar … wenig später versuche ich es erneut im Eingangsbereich des Floors, jetzt mit einem halben Meter weiter und nicht mehr ganz so eng voller Menschen.
Die vierte und letzte Band, auch nur wieder eine Solokünstlerin an ihren Synthesizern. Dieses Mal stehe ich weit vorne auf einer der seitlichen Holzpodeste des Main-Floor und habe den besten Blick des gesamten Festivals auf die Bühne. Ihre Songs … ist das ihr Pronomen? Ihre Musik ist richtig gut, es gibt nur wenige, die so gut mit Synthesizern umgehen können – und ihre Stimme, operettenhaft? Auf jeden Fall trainiert. Ich spiele schon mit dem Gedanken, später am Merchandise-Stand nach einem Album von ihr zu suchen, aber so kleine Underground-Künstler haben nie das Geld, etwas in hoher Stückzahl pressen zu lassen. Ein Song kommt mir bekannt vor, den habe ich schon im Internet gehört, eines meiner YouTube-Abonnements kuratiert Playlisten der kleinen Künstler dieser noch viel kleineren Szene.
Mitternacht, alle wechseln wieder rüber von dem Main-Floor auf den Paradise-Floor draußen im Garten, der letzte Programmpunkt, keine Bands, Drag Shows! Darauf freu ich mich schon, seit ich den Flyer dieses Festivals Pfingsten bei dem anderen Festival eingesteckt habe. Die Drag Queen führt durch das viel zu kurze Programm und animiert die Gäste, auf die Frage, wer denn noch nicht auf einer Drag Show war, melden sich ganz vereinzelt, ganz wenige … vielleicht fünf. Auch dieses Mal, die Hütte ist voll, aber es besteht noch genug Platz für einen schmalen Gang durch das Publikum, durch den die Drag Queens mit viel Kontakt ihre Shows von der Bühne abseits performen können. Drei Drag Queens in aufwendigen, „gruftigen“ Kostümen – und ein Drag King! Wow … Und was für ein Kostüm! Und Make-up … so pechschwarz, so düster, so magisch. Die Posen des Drag Kings … mache ich das manchmal auch? Ich bin verwirrt und zugleich verzaubert.
Die Show ist wirklich viel zu kurz, ich hätte gerne mehr davon gesehen. Bis nach ein Uhr die Nacht sitze ich noch oben auf der Dachterrasse schräg über der Bar. Noch zwei Stunden bis drei Uhr nachts … mein Plan, bis vier Uhr im Hotel, schlafen bis zehn, Frühstück gegen elf, Check-out um zwölf. Diese zwei Stunden will ich tanzen, ich bin nicht müde.
Ich wechsele von der einen Tanzfläche auf die andere und wieder zurück auf die eine. Drinnen der Main-Floor, zu schnelle, harte Beats, draußen der Paradise-Floor, Achtziger-EBM, weniger schnell, gleich hart, das ist nicht der Club mit den Betonwänden von vor über zehn Jahren auf der anderen Seite der Spree. Tanze ich? Ich sitze auf einer Bank, es wird immer voller, ich kann hier nicht mehr sitzen. „Are you O.K., Madame?“ Ich fühle mich etwas beengt. Nach draußen Luft holen, wieder auf den Main-Floor, die dunklen Gemächer, die rot angeleuchteten Mauerwände, der ganze Nebel. Die Musik passt, ich kann mich fallen lassen, mich ganz hingeben. Ich habe den kleinen Haken an der Wand für meine Jacke wiederentdeckt, auch meine Tasche und meine Flasche Wasser stehen wieder auf dem schmalen Holzbrett. Ich tanze wie ich nur kann in meinem schwarzen One-Shoulder-Dress.
Irgendwann, es wird kühler, es ist nicht mehr so voll, Punk-Songs werden angespielt, ich ziehe meine Lederjacke über, das Tempo ist nicht mehr so schnell. Eine Toilette muss ich noch suchen, bevor ich gehe … drinnen wie draußen die Toiletten, es gibt keine Klobrille in den Kabinen. Unmengen an Klopapier, bevor ich mich irgendwo hinsetze.
Drei Uhr nachts, noch einmal der Blick runter von oben auf der Dachterrasse auf den gartenartig angelegten Innenhof mit den interessanten, schwarz gekleideten Gästen, dieser zweite Abend hat mir noch viel mehr gefallen, als der erstere … ich ziehe es in Erwägung, nächstes Jahr wiederzukommen. Alle Festivals, von denen ich Flyer habe, die sind immer irgendwo weiter weg in Deutschland, meine Gegend ist Leipzig und Berlin. Über die zwei Stationen mit U- und S-Bahn zurück zum Hotel … ab drei Uhr nachts hängen die merkwürdigen Gestalten in den U-Bahnhöfen ab.
Ich bin schon wieder vor dem Wecker wach, wenigstens 9:30 Uhr, nicht zehn Uhr. Nach Abschminken im Hotelbadezimmer und ins Bett fallen gegen vier Uhr, wieder nur fünfeinhalb Stunden Schlaf. Opulentes Frühstück. Danach duschen, zusammenpacken, Check-out noch vor um zwölf Uhr. Zweiten Kaffee in der Espresso-Bar im Ostbahnhof, bis mein Zug um kurz vor dreizehn Uhr fährt, vergeht noch eine Stunde. Der Regionalexpress wird voll … einsteigen im Ostbahnhof sichert die letzten freien Plätze oben im Doppelstockwagon.
Solitär, Solitär, Solitär … Im Internet surfen, ein wenig Musiktheorie. Mein neuer Song, er steht noch ganz am Anfang, die ersten Takte habe ich vor einem Wochenende schon angespielt: eine Mischung aus Detroit-Techno und Acid-House, 4/4 straight to the floor, ich will die TR-909-Sounds verwenden, nur Base Drum und Claps, mit Accent, ein einzelnes Open Hi-Hat ganz hinten, den Trick macht der Rimshot: auf der „1“ und mit einen Delay-Effekt im 3/4. Die Textpassagen singe ich bei 130 BPM, der analoge Synthesizer spielt ein Arpeggio die Tonleiter aufwärts … acht Noten? Ich gehe auf Pentatonik und die EBM-spezifische, „ägyptische“ Tonleiter. Eine Idee für die Bass-Sequenz fehlt mir noch, welche Akkorde ich nehme, steht auch noch nicht fest. Der Song lebt von den Texten, die ich singe, die steigern sich hinein … da ist alles drin, von den kühlen, dunklen Hotelzimmern von ihm verlassen zu werden.
Nächster Halt Magdeburg, der Zug endet hier. Weiter geht es, noch dreißig Minuten bis sechzehn Uhr den Sonntag, mit der schaukelnden Regionalbahn. Zurück in mein Heimatkaff. (Ende Teil 3/3)
Kommentar:
[05.12.22 / 17:34] Daniele1992: Hallo Morgana
Mail ist heute rausgegangen
LG Daniele
[13.11.22 / 09:33] Daniele1992: Hallo Morgana
aktuell keine schöne Situation. Ich schreibe Dir noch eine Mail dazu.
LG Daniele
[13.05.22 / 09:15] Daniele1992: Hallo Morgana,
Tolle Reisebericht von Deiner neusten Reise nach Paris. Macht grosse Lust auch wieder dort hinzufahren um sich von der Stadt inspirieren zu lassen.
Tolle Neuigkeiten.NeuerJob. Klasse! Freue mich für Dich.
Liebe Grüße
Daniele
[24.12.21 / 20:55] Daniele1992: Hallo Morgana,
Ich denke an Dich und wünsche Dir frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr 2022.
Liebe Grüße
Daniele
[25.09.21 / 14:59] Daniele1992: Hallo,
eine Chance etwas Neues zu machen. Neue Perspektiven. Urlaubsträume, die bald real werden können. Nicht so schlecht. Freue mich für Dich. LG Daniele.
[11.11.20 / 09:12] Daniele1992: Hallo Morgana
Ich habe Dir eine Mail geschickt.
Lg
Daniele
[30.07.20 / 22:03] Daniele1992: Guten Abend
das habe ich sehr gerne gemacht. Zum Einen interessiert mich das Thema und zum Anderen hast Du wirklich sehr lebendig und spannend geschrieben. Da wollte ich Alles lesen und wollte Dir schreiben, das mir Dein Blog besonders gut gefallen hat (Die eigentliche Arbeit hattest Du ja mit dem Verfassen des Blogs). Wenn Du magst können wir den Kontakt gerne per Mail halten. Viele Grüße Daniele
[30.07.20 / 12:44] Daniele1992: Guten Morgen,
vielen Dank für Deinen tollen Blog. Ich habe ihn in den letzten Wochen komplett gelesen. Meistens konnte ich gar nicht aufhören zu lesen. Fast wie bei einem sehr spannenden Roman. Ich habe dabei Deine genauen Beobachtungen und Beschreibungen sehr genossen. Deine vielen Ausflüge in die Clubs und zu den Festivals oder Deine Streifzüge d durch die Geschäfte beschreibst Du immer aus Deiner Sicht sehr anschaulich und spannend. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, das alleine zu erleben, häufig auch mit einer gewissen Distanz. Ich kenne ich von mir sehr gut. Highlights sind Deine Reiseberichte. Deine Erlebnisse an den unterschiedlichsten Orten auf der Welt. Vielen Dank dafür. Vielen Dank auch das Du Deinen Weg zu Deinem waren Geschlecht mit uns Lesern teilst. Deinen Weg Deine Gefühle Deine zeitweisen Zweifel. Das ist sehr wertvoll auch für uns Andere, denn es ist authentisch und sehr selten. Du bist einem dadurch sehr vertraut geworden. Für mich ist eine gefühlte grosse Nähe dadurch entstanden. Umso mehr schmerzt es mich von Deinen Rückschlägen zu lesen. Von Deinem Kampf zu Deinem wahren Ich. Von Deinem Kampf umd Liebe, Zährlichkeit und Akzepzanz und Anerkenung. Von Deiem mitunter verzweifeltem Kampf nach Liebe und Anerkennung durch Deinen Exfreund. Leider vergeblich. Dein Kampf um wirtschaftliche Unabhängigkeit und Deine aktuell missliche Lage. Ich glaube dass Du nicht gescheitert bist. Du hast viel Mumm und Hardnäckigkeit bewiesen Deinen Gang zu Dir selbst zu gehen. Du hast auch einen guten Beruf der immer noch sehr gefragt ist. Vielleicht kann ja nach dieser Auszeit und etwas Abstand ein Neuanfang in einer anderen Firma, wo Du keine Vergangenheit als Mann hattest gelingen. Ich wünsche das Dir ein Neuanfang gelingt und drücke Dir ganz fest die Daumen. Daniele
[05.10.19 / 17:11] Drea Doria: Meine liebe Morgana,
bin 5 T post all-in-one-FzF-OP. Deine guten Wünsche haben geholfen. Der Koch ist immernoch noch super. Alle hier sind herzlich und nehmen sich Zeit.
Herzlich
Drea
[14.06.19 / 12:57] Drea Doria: Meine liebe Morgana,
vielen Dank für Deine offenen und kritischen Erlebnisberichte. Ich bin in 3 Monaten in Sanssouci zur FzF-OP. Ich denke auch, was kann schon schief gehen, status quo geht nicht und irgendwas besseres wird wohl resultieren. Wenn es Dich interessiert, halte ich Dich informiert. Drücke mir die Daumen.
Herzlich
Drea
[14.11.17 / 20:13] Morgana LaGoth: Nutzungsbedingungen für die Kommentarfunktion: Die Seitenbetreiberin behält sich das Recht vor, jeden Kommentar, dessen Inhalt rassistisch, sexistisch, homophob, transphob, ausländerfeindlich oder sonstwie gegen eine Minderheit beleidigend und diskriminierend ist, zu zensieren, zu kürzen, zu löschen oder gar nicht erst freizuschalten. Werbung und Spam (sofern die Seitenbetreiberin dafür nicht empfänglich ist) wird nicht toleriert. Personenbezogene Daten (Anschrift, Telefonnummer) werden vor der Veröffentlichung unkenntlich gemacht.
1