morgana81 - gothic transgender

Nur eine Nacht Schlaf, nur eine Nacht Pause – den nächsten Vormittag sitze ich den Sonnabend schon im Zug Richtung Berlin.

[15.08.24 / 21:49] Nur eine Nacht Schlaf, nur eine Nacht Pause – den nächsten Vormittag sitze ich den Sonnabend schon im Zug Richtung Berlin. Der Trans Pride (oder auch TIN Pride) steht schon seit einigen Wochen in meinem Kalender. Ich ziehe die Cargohose und das Bauchnabelfreie, schwarze Top vom Tag zuvor an. Es wird wieder heiß, mit in meiner Handtasche habe ich die neue Packung Sonnencreme (gekauft in einem Touri-Laden auf der Insel Poel), im Umhängebeutel meinen Strohhut und meine schwarze Bikerjacke, für alle Fälle, könnte ja den Abend noch kalt werden.

Wen werde ich in Berlin treffen … ein paar bekannte Gesichter vom letzten Pride vor zwei Jahren? Dieses Jahr ist der Demo-Umzug wohl eher klein gehalten und weit abseits irgendwo in Treptow. Wird überhaupt irgendjemand kommen? Ich bin da, ich fahre dahin.

Gegen Mittag komme ich mit dem Regionalexpress am Ostkreuz an, bis zu der „Bucht“, See und Kanal, ist es nur noch eine Station mit der S-Bahn. Angekommen sehe ich schon das kleine Demo-Fahrzeug, ein VW-Transporter mit einer Anlage. Ich bin nicht die erste, es sind schon ein paar Leute da. Bis es losgeht, vergeht bestimmt noch eine oder anderthalb Stunden. Die Polizeikräfte sind auch sehr entspannt und sonnen sich an dem Geländer zu dem großen See.

Auf was für Leute werde ich hier treffen? Letztes Mal war ich nicht die einzige trans Frau, auch dieses Jahr erkennt mein Radar so einiges. Die schlaksigen trans Frauen, so wie ich, mit hübschen Rock oder Kleid, die super aufgepumpten transsexuellen Frauen – in ihren Gesprächen sich über den Preis ihres Körpers und der ganzen Operationen unterhaltend – ich stehe zwar daneben, aber ich kann gar nicht mithalten, als Mauerblümchen (höchstens meine Operation, die passt locker mit 32.000 Euro). Dann die anderen, es kommen immer mehr dazu, die Nonbinären, die Drag Queens, die … ganz klassischen Transvestiten? Warum nicht … Berlin war einmal so weit, vor fast hundert oder neunzig Jahren – und dann hat sich das Machtgefüge verändert und es wurde alles nur noch furchtbar düster. Dafür sind wir hier, um dagegen zu demonstrieren, wir sind die Ersten, die dann draufgehen.

Ich habe auch überlegt, ob ich wirklich heute hierher fahre, oder ob ich nicht lieber sicherheitshalber zu Hause bleibe. Mich verstecke. In meiner Eigenansicht: ich lebe stealth. Ich bin ungeoutet auf Arbeit, niemand weiß von meiner Vergangenheit. Einigen Männern erzähle ich es, andere werden es nie erfahren. Meine Legende ist zurecht gelegt: „Ich hatte wirklich mal eine Operation, da wurde mir ein Teil meiner Schamlippe entfernt und nach innen eingenäht, das war 2019. Aber ich war ganz bestimmt niemals ein Mann. Ich bin eine Frau … so richtig bio-cis-hetero.“

Früher Nachmittag, die Sonne brennt heiß auf meine eingecremte Haut, es geht los. Der kleine Demo-Transporter mit der Techno-Musik und bestimmt fünfhundert, oder sogar mehr, Leuten dahinter. Ein paar Straßen werden abgesperrt, eine Brücke wird überquert – hübsches Berliner Fotomotiv im „vorbeiraven“, ich stehe, bzw. laufe in erster Linie und tanze das ganze Stück. Vor mir sind nur noch die Leute mit dem Transparent und natürlich das Demo-Fahrzeug.

Die Demo selbst endet irgendwo im Treptower-Park. Ein, zwei Zelte, jetzt beginnt das Programm. Die vielen Teilnehmer der Demo verteilen sich auf der Wiese. Ich war schon gleich mit den ersten da und sichere mir ein schattiges Plätzchen unter den Bäumen. Redebeiträge und Drag-Performances. Erst als ein paar trans Frauen ihre mühsam trainierte, echte Gesangsstimme präsentieren, bin ich ergriffen. Das ist wirklich harte Arbeit, die Stimme so zu trainieren, dass sie auch im kräftigen Gesang weiblich klingt. Meine Stimme trainiere ich jeden Morgen im Auto auf den tiefen Klang.

Die Sonne bewegt sich um die Bäume, der Schatten wandert, es wird später Nachmittag. Ich muss auf die Uhr schauen, will ich mit dem vorletzten Zug spätestens Mitternacht wieder zu Hause sein. Irgendwo gibt es bestimmt noch eine Party, es ist Sonnabend und überall in Berlin haben die Techno-Clubs gefühlt schon seit gestern durchgehend offen. Mein Körper macht nicht mehr so richtig mit, die anstrengende Fahrt den Tag zuvor, ohne Pause, die vielen hundert Kilometer auf Tour, die Wärme, ich spüre meine Grenzen. Gleichgewichtsattacken, Doppelbilder, wandernde, taube Stellen auf meinem Körper? So ziemlich alles, was die MS die letzten dreiundzwanzig Jahre hervorgebracht hat. Die politische Veranstaltung endet den frühen Abend in diesem Park. Bis zur nächsten S-Bahn-Station sind es nur ein paar Meter.

Den Regionalexpress am Ostbahnhof sehe ich noch auf dem Gleis stehen, Treppe runter, Treppe wieder hoch – der ist weg. Eine Stunde mehr Aufenthalt auf diesem Ostbahnhof. Viel hat sich verändert, einiges nicht, wann war ich das letzte Mal hier? 2010, 2011, 2012 oder so, ein kleines Underground-Festival – und natürlich 2018. Da irgendwo habe ich dann gegessen, bevor ich mit dem nächsten Zug nach Potsdam gefahren bin … ja, ich war wirklich vor meiner großen Operation die Nacht noch in der Disko. Auch jetzt die eine Stunde Wartezeit esse ich hier irgendwo in einer Imbissbude, eine Portion Pommes.

Weiter den Abend zurück im Regionalexpress Richtung Magdeburg, die Frau, die sich in die Reihe vor mir setzt, ist mir schon durch das Fenster aufgefallen, ganz in Schwarz, ein kurzer Ledermantel, Gothic oder Metal, dezentes, schwarzes Augen-Make-up, lange, blonde Haare, leicht gräulich eingefärbt. Sie ist mindestens zwanzig Jahre jünger als ich und alleine unterwegs. Ihre Art, ihr Verhalten, umsichtig schauend, nicht zu viel Kontakt mit den Menschen um sich herum, erinnert mich stark an meine Touren damals mit dem Zug zu den unterschiedlichsten Konzerten und Festivals. Ich habe mich wahrscheinlich auf ihren favorisierten Platz gesetzt – die Sitzreihe ganz hinten im Wagon, am Fenster, wo bestimmt niemals jemand dahinter sitzt, wegen der Wand, optimal, um von allen Menschen den größtmöglichen Abstand zu halten. Und jetzt sitze ich dahinter. Spreche ich sie an? Auf keinen Fall. Meine Blicke treffen ihre Blicke, als sie sich umschaut, sie will das hier nur irgendwie durchstehen, so bald wie möglich ankommen und den Zug verlassen. Ich rolle mich auf meiner Sitzbank ein und versuche, etwas zu schlafen. Es ist kalt geworden, meine Bikerjacke ist viel zu kurz, genauso kurz wie mein Bauchnabelfreies, schwarzes Girlie-Top.

Sie steigt in Magdeburg aus, ich steige hier nur um. Haufenweise Party-People auf den Gleisen, es ist noch nicht mal Mitternacht und die wollen alle noch irgendwo hin. Mein Provinzkaff, gegen Mitternacht angekommen, ist totenstill, selbst die nervige Fabrikanlage und die stark von LKWs frequentierte Bundesstraße direkt vor meinem Haus, liegt friedlich da. Schlüssel umdrehen, Haus und meine Wohnung oben betreten. Wie immer, meinen ganzen Kram auf der Couch ablegen und ins Badezimmer verschwinden. Make-up hatte ich zwar dabei, aber ich habe es nicht verwendet … wollte nur ganz normal als unscheinbare Frau auftreten. Wenig später, Fenster zum kühlen Durchlüften wieder verschließen und ins Bett fallen. Ob sie sich vor mir gegruselt hat? Ich wirke sonst immer merkwürdig auf andere Menschen?

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Kommentar:

[05.12.22 / 17:34] Daniele1992: Hallo Morgana

Mail ist heute rausgegangen

LG Daniele

[13.11.22 / 09:33] Daniele1992: Hallo Morgana

aktuell keine schöne Situation. Ich schreibe Dir noch eine Mail dazu.

LG Daniele

Morgana LaGoth: Einige Kommentare müssen auch nicht allzu öffentlich sein …

[13.05.22 / 09:15] Daniele1992: Hallo Morgana,

Tolle Reisebericht von Deiner neusten Reise nach Paris. Macht grosse Lust auch wieder dort hinzufahren um sich von der Stadt inspirieren zu lassen.

Tolle Neuigkeiten.NeuerJob. Klasse! Freue mich für Dich.

Liebe Grüße

Daniele

Morgana LaGoth: Danke. Endlich wieder verreisen … lange darauf gewartet. Lebendig bleiben, solange es noch geht.

[24.12.21 / 20:55] Daniele1992: Hallo Morgana,

Ich denke an Dich und wünsche Dir frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr 2022.

Liebe Grüße

Daniele

Morgana LaGoth: Vielen Dank, ich wünsche dir ebenfalls ein schönes, neues Jahr.

[25.09.21 / 14:59] Daniele1992: Hallo,

eine Chance etwas Neues zu machen. Neue Perspektiven. Urlaubsträume, die bald real werden können. Nicht so schlecht. Freue mich für Dich. LG Daniele.

Morgana LaGoth: Danke dir.

[11.11.20 / 09:12] Daniele1992: Hallo Morgana

Ich habe Dir eine Mail geschickt.

Lg

Daniele

Morgana LaGoth: Hey ... vom Lenkrad aus mit der Hand winken, von einem MX-5 zum anderen. *freu*

[30.07.20 / 22:03] Daniele1992: Guten Abend

das habe ich sehr gerne gemacht. Zum Einen interessiert mich das Thema und zum Anderen hast Du wirklich sehr lebendig und spannend geschrieben. Da wollte ich Alles lesen und wollte Dir schreiben, das mir Dein Blog besonders gut gefallen hat (Die eigentliche Arbeit hattest Du ja mit dem Verfassen des Blogs). Wenn Du magst können wir den Kontakt gerne per Mail halten. Viele Grüße Daniele

Morgana LaGoth: Mail-Adresse steht oben bei "kontakt" - bei weiteren Fragen, gerne.

[30.07.20 / 12:44] Daniele1992: Guten Morgen,

vielen Dank für Deinen tollen Blog. Ich habe ihn in den letzten Wochen komplett gelesen. Meistens konnte ich gar nicht aufhören zu lesen. Fast wie bei einem sehr spannenden Roman. Ich habe dabei Deine genauen Beobachtungen und Beschreibungen sehr genossen. Deine vielen Ausflüge in die Clubs und zu den Festivals oder Deine Streifzüge d durch die Geschäfte beschreibst Du immer aus Deiner Sicht sehr anschaulich und spannend. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, das alleine zu erleben, häufig auch mit einer gewissen Distanz. Ich kenne ich von mir sehr gut. Highlights sind Deine Reiseberichte. Deine Erlebnisse an den unterschiedlichsten Orten auf der Welt. Vielen Dank dafür. Vielen Dank auch das Du Deinen Weg zu Deinem waren Geschlecht mit uns Lesern teilst. Deinen Weg Deine Gefühle Deine zeitweisen Zweifel. Das ist sehr wertvoll auch für uns Andere, denn es ist authentisch und sehr selten. Du bist einem dadurch sehr vertraut geworden. Für mich ist eine gefühlte grosse Nähe dadurch entstanden. Umso mehr schmerzt es mich von Deinen Rückschlägen zu lesen. Von Deinem Kampf zu Deinem wahren Ich. Von Deinem Kampf umd Liebe, Zährlichkeit und Akzepzanz und Anerkenung. Von Deiem mitunter verzweifeltem Kampf nach Liebe und Anerkennung durch Deinen Exfreund. Leider vergeblich. Dein Kampf um wirtschaftliche Unabhängigkeit und Deine aktuell missliche Lage. Ich glaube dass Du nicht gescheitert bist. Du hast viel Mumm und Hardnäckigkeit bewiesen Deinen Gang zu Dir selbst zu gehen. Du hast auch einen guten Beruf der immer noch sehr gefragt ist. Vielleicht kann ja nach dieser Auszeit und etwas Abstand ein Neuanfang in einer anderen Firma, wo Du keine Vergangenheit als Mann hattest gelingen. Ich wünsche das Dir ein Neuanfang gelingt und drücke Dir ganz fest die Daumen. Daniele

Morgana LaGoth: Da liest sich tatsächlich jemand alles durch? Das ist mittlerweile schon ein kompletter Roman mit mehreren hundert Seiten! Danke dir, für deinen Kommentar (und die aufgebrachte Zeit).

[05.10.19 / 17:11] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

bin 5 T post all-in-one-FzF-OP. Deine guten Wünsche haben geholfen. Der Koch ist immernoch noch super. Alle hier sind herzlich und nehmen sich Zeit.

Herzlich

Drea

Morgana LaGoth: Dann wünsch ich dir jetzt noch viel mehr Glück bei deiner Genesung!

[14.06.19 / 12:57] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

vielen Dank für Deine offenen und kritischen Erlebnisberichte. Ich bin in 3 Monaten in Sanssouci zur FzF-OP. Ich denke auch, was kann schon schief gehen, status quo geht nicht und irgendwas besseres wird wohl resultieren. Wenn es Dich interessiert, halte ich Dich informiert. Drücke mir die Daumen.

Herzlich

Drea

Morgana LaGoth: Ich wünsche dir für deine Operation viel Glück. (Sollte der Koch nicht gewechselt haben, das Essen da in der Klinik ist richtig gut!)

[14.11.17 / 20:13] Morgana LaGoth: Nutzungsbedingungen für die Kommentarfunktion: Die Seitenbetreiberin behält sich das Recht vor, jeden Kommentar, dessen Inhalt rassistisch, sexistisch, homophob, transphob, ausländerfeindlich oder sonstwie gegen eine Minderheit beleidigend und diskriminierend ist, zu zensieren, zu kürzen, zu löschen oder gar nicht erst freizuschalten. Werbung und Spam (sofern die Seitenbetreiberin dafür nicht empfänglich ist) wird nicht toleriert. Personenbezogene Daten (Anschrift, Telefonnummer) werden vor der Veröffentlichung unkenntlich gemacht.

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