morgana81 - gothic transgender

Ich parke da, wo ich immer parke, die kleine Seitenstraße, in der niemand wohnt.

[15.07.24 / 00:04] Ich parke da, wo ich immer parke, die kleine Seitenstraße, in der niemand wohnt. Alles umpacken, nur das Nötigste – Smartphone, Bargeld, Haarkamm, Deo und schwarzes Augen-Make-up kommt mit in meine Leder-Clutch. Die Handtasche selbst landet mit der Tragetasche im Kofferraum – neben meinem Schlafsack. Der Parfümstoß kopfüber auf den Nacken und meine blonden Haare, ich greife meine Bikerjacke, verriegel das Auto und gehe zu dem Club. Niemand ist hier? Keine Schlange? Auf dem Plakat an der Hauswand des alten Industriegebäudes steht es: Einlass für das Festival heute Abend, 20 Uhr. Verdammt. So viel Stress für nichts. Es ist 19:15 Uhr und ich habe noch eine ganze dreiviertel Stunde zum Vertrödeln übrig. Zurück zum Auto, meine große Sonnenbrille holen, etwas Wasser trinken, danach wieder zu dem Club und die ganzen Graffiti an den gemauerten Häuserwänden bewundern.

Nach und nach kommen tatsächlich noch ein paar mehr Leute, meine Befürchtung, die Schlange an der Abendkasse sprengt den ganzen Block, war mehr als übertrieben. In einer entspannten Atmosphäre öffnet sich die Tür und die ersten Handvoll Gäste können ihren Eintrittsstempel abholen. Ich bewundere weiterhin die vielen Veranstaltungsplakate in dem Eingangsbereich zur Kasse.

Den Club ablaufen, du kennst die Gegend, warst hier schon so viele Male. Unten die Bar, die Bühne, der Merchandise. Oben die Toiletten und die andere Tanzfläche. Beide Tanzflächen sind für diesen Abend und diese Nacht geöffnet – ich wünschte, er würde mir eine Nachricht schreiben, mir die Sicherheit geben, die ganze Nacht bis in den Morgen durchtanzen zu können, mit der Möglichkeit, nur wenig später in ein Bett zu fallen. Er wird mir nicht schreiben.

Ein Mate-Getränk an der Bar, wieder draußen stehen … Was ist das? Ein stacheliges Gewächs an der Holztreppe piekst mich in meine blanken Beine in die Maschen meiner Netzstrumpfhose. „Au.“ Den Jungs vor mir weise ich auf die Gefährlichkeit dieser Pflanze hin. Diese Jungs werde ich wenig später auf der Bühne wiedersehen.

Goth Girl geht aus

Der Vorhang wird aufgezogen und die erste Band des Abends beginnt zu spielen. Ein brachiales Post-Punk-Gewitter voller Energie! Die Jungs, von denen ich vorhin dachte, denen willst du lieber nicht im Dunkeln auf der Eisenbahnstraße begegnen, sind eine Band. Bias. Vorurteile täuschen. Die kleine Halle, der Raum vor der Bühne füllt sich und es wird eine Wahnsinns Show. Die muss ich mir unbedingt merken. Ich habe einen Flyer mit eingesteckt, ich sammle hier alle Flyer, die so herumliegen.

Keine Zugabe, entweder der Zeitplan ist zu eng, oder sie haben noch nicht so viele Titel. Die Wartezeit zur nächsten Band verbringe ich mit dem Besuch der oberen Etage neben den Toiletten. Mein Plakat hängt da immer noch an der Wand, das eine Post-Punk-Konzert wo ich mal war, Mitte der Zweitausender. Für diese „linksalternative Begegnungsstätte“ und ihr fünfundzwanzigjähriges Jubiläum hängen ein paar liebevoll dekorierte Schautafeln in der Etage auf dem Flur. Interessiert betrachte ich sie, die amüsanten Rivalitäten zwischen Plagwitz und Connewitz, der ganze Trouble mit den Grünen in Uniform und der ganzen Staatsmacht. Das Haus war nie besetzt? Aber es hat den Charme.

Wieder unten, die nächste Band, draußen wird es allmählich dunkel. Drinnen ist es tropisch heiß. Sie singen ihre Texte in Russisch, ich verstehe nur drei Wörter. Irgendetwas mit Arbeit und Danke für nichts? Rabota, Spasiba, nitschewo … Der Sprache nicht mächtig, nur zur Musik applaudierend, noch mehr Post-Punk-Kram. Interessanterweise wird das Wort „Goth“ auf dem Flyer in keinster Weise erwähnt.

Als ich von der Toilette wieder runterkomme, läuft schon bedrohlich düstere Musik zu der nächsten Performance. Shibari. Ich muss sie hier schon einmal gesehen haben, vielleicht erinnere ich mich nur nicht, weil alles im dunklen Bühnennebel untergegangen ist. Ich finde einen Platz in dritter Reihe, vorne die Gäste setzen sich schon hin. Ich verfolge aufmerksam die Darbietung, mindestens genauso gefesselt, wie die Frau auf der Bühne in dem knappen, schwarzen Outfit und ihr Begleiter im vollkommenen Latex (nehme ich an). Es ist faszinierend, ihn dabei zuzusehen, wie er aus ihr ein Mobilee strickt und mit ihr spielt. Die beiden müssen sich wahnsinnig viel vertrauen, sie hängt in anderthalb Meter Höhe gefesselt in der Luft. Könnte ich das auch? Sie braucht eine gewisse, athletische Körperspannung und leidenschaftliche Hingabe für diese formvollendete Ästhetik. Fein abgestimmt und verknotet durch ihren erfahrenen Begleiter. Tief durchatmen für das Publikum, als sie wieder ganz langsam den Boden berührt. Ich hätte niemanden, den ich so vertrauen könnte.

Ein weiteres Mate-Getränk, die paar Minuten vor der Tür. Meine Bikerjacke kommt hier zum Einsatz, die ich sonst in dem Club zusammen mit meiner Clutch über den Arm halte. Der Headliner steht noch an. Der Typ aus Glasgow, der gar nicht aus Schottland kommt, aber richtig gut Synthesizer spielen kann. Ich habe ihn schon mehrmals live gesehen, bewundere seine Fertigkeiten auf der Bühne, natürlich stehe ich wieder weit vorn. Vier, fünf Synthesizer, hier ein paar Regler, dort ein paar Drehknöpfe. Benutzt er einen Synthesizer wirklich nur für einen einzigen Effekt? Ein paar Titel die er spielt, gehören auch mit zu meinen Lieblingstiteln von ihm. Ein neuer Titel, den ich aber schon auf seiner Internetpräsenz gehört habe, gefällt mir auch noch viel mehr. Ich wünschte, ich könnte dann später an dem Merchandise-Stand ein weiteres Album von ihm kaufen, weiß aber nicht, auf welcher Platte dieser Titel ist. Und ich habe auch gar keinen Platz, die ganzen CDs und Vinylschallplatten zum Auto zu transportieren, nur in meiner kleinen Clutch unter dem Arm. Er spielt ein paar Zugaben, ich tanze schon seit dem ersten Titel. Es muss zwei Uhr nachts sein, als er sich von dem Publikum wieder verabschiedet und der große, schwarze Vorhang vor der Bühne ein letztes Mal zugezogen wird.

Was nun? Mein Freund hat sich nicht gemeldet (für den Leser, bzw. die Leserin, gemeint ist mein Langzeit-Liebhaber, ich verliere selbst den Überblick, da sind noch ein paar Männer mehr in meiner Kontaktliste), ich werde wohl mit dem Auto einsam auf der Autobahn wieder zurückfahren. Schön für mich, ich schlafe in meinem eigenen Bett, Pech für mich, damit ich das schaffe, muss ich auf das Tanzen verzichten und hier schon in wenigen Minuten abhauen. Ich tanze wenigstens noch drei Titel auf der beginnenden Disco-Nacht. Italo-Disco. Mein Favorit. Ich weiß, dass in einem Club ganz in der Nähe schon seit Mitternacht und bis in den frühen Morgen diese Spielart der elektronischen Musik aufgelegt wird. Das wäre mein Plan B gewesen, hätte ich es hier nicht bis rein geschafft. Etwaiger Einlassstopp wegen Überfüllung.

2:30 Uhr, zum Auto. „Abmarsch.“ Mit demselben Tempo, wie ich den Nachmittag hierher gekommen bin, rase ich die Nacht auf der Autobahn auch wieder zurück. Die Musikanlage weit aufgedreht, die Synth-Wave-Klänge und die Beats hämmern mich wach. Jedes Auto wird gnadenlos überholt und vorbeigerauscht, noch schnellere Autos rauschen an mir vorbei. „German Autobahn!“ 3:55 Uhr und ich betrete die Räume meiner Wohnung, irgendwo weit abseits in der tiefsten Sachsen-Anhaltinischen Provinz.

Meine beiden Taschen werfe ich einfach so auf die Couch. Die Netzstrumpfhose abstreifen, das Kleid und die Jacke auf einen Bügel hängen. Im Bad den schwarzen Kajal und das Mascara in einem Abschminktuch fangen … mich im Spiegel betrachten. Du kennst das, du machst das schon dein ganzes Leben. „Und, hast du mal mit jemanden gesprochen, hast du mal jemanden kennen gelernt? Nein.“ Wieder nicht. Ich schau mir ins Gesicht und ich weiß, es gibt nur einen möglichen Grund dafür: Du musst potthässlich sein. Ganz bestimmt.

Ich werde, wenn überhaupt, auf Discos und in Clubs nur von sturzbetrunkenen Männern angequatscht. Könnte es sein, dass ich vielleicht zu hübsch bin und die sich nicht an mich herantrauen? Jedes Mal, wenn diese Argumente aufkommen, betrachte ich mich mehr im Spiegel. Mein Standardspruch jeden Morgen und jeden Abend: „Hast du dich schon mal im Spiegel gesehen? Du bist hässlich.“ Was das mit sich bringt, ich habe nichts zu verlieren, ich kann mir als Ausgestoßene aus der Gesellschaft alle Freiheiten nehmen, ich muss niemanden gefallen. Ich mache das Beste aus dieser Situation … glaube ich zumindest. Ich bin das ganze Thema schon so oft durch, so viele Jahre. Vielleicht erreiche ich mal einen Punkt, an dem mir das ganze beziehungslose Dasein wirklich egal sein kann, aber dann kommt immer mein romantisches, naives Ich durch: „Wenn du achtzig bist, dann wirst du dich zum ersten Mal richtig verlieben, ganz bestimmt!“ Ins Bett fallen, dunkle Vorhänge zu, den fröhlich-doofen, sonnigen Sonntag Morgen aussperren und draußen lassen. Bitteren Sarkasmus wieder aktivieren. (Ende Teil 2/2)

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Kommentar:

[05.12.22 / 17:34] Daniele1992: Hallo Morgana

Mail ist heute rausgegangen

LG Daniele

[13.11.22 / 09:33] Daniele1992: Hallo Morgana

aktuell keine schöne Situation. Ich schreibe Dir noch eine Mail dazu.

LG Daniele

Morgana LaGoth: Einige Kommentare müssen auch nicht allzu öffentlich sein …

[13.05.22 / 09:15] Daniele1992: Hallo Morgana,

Tolle Reisebericht von Deiner neusten Reise nach Paris. Macht grosse Lust auch wieder dort hinzufahren um sich von der Stadt inspirieren zu lassen.

Tolle Neuigkeiten.NeuerJob. Klasse! Freue mich für Dich.

Liebe Grüße

Daniele

Morgana LaGoth: Danke. Endlich wieder verreisen … lange darauf gewartet. Lebendig bleiben, solange es noch geht.

[24.12.21 / 20:55] Daniele1992: Hallo Morgana,

Ich denke an Dich und wünsche Dir frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr 2022.

Liebe Grüße

Daniele

Morgana LaGoth: Vielen Dank, ich wünsche dir ebenfalls ein schönes, neues Jahr.

[25.09.21 / 14:59] Daniele1992: Hallo,

eine Chance etwas Neues zu machen. Neue Perspektiven. Urlaubsträume, die bald real werden können. Nicht so schlecht. Freue mich für Dich. LG Daniele.

Morgana LaGoth: Danke dir.

[11.11.20 / 09:12] Daniele1992: Hallo Morgana

Ich habe Dir eine Mail geschickt.

Lg

Daniele

Morgana LaGoth: Hey ... vom Lenkrad aus mit der Hand winken, von einem MX-5 zum anderen. *freu*

[30.07.20 / 22:03] Daniele1992: Guten Abend

das habe ich sehr gerne gemacht. Zum Einen interessiert mich das Thema und zum Anderen hast Du wirklich sehr lebendig und spannend geschrieben. Da wollte ich Alles lesen und wollte Dir schreiben, das mir Dein Blog besonders gut gefallen hat (Die eigentliche Arbeit hattest Du ja mit dem Verfassen des Blogs). Wenn Du magst können wir den Kontakt gerne per Mail halten. Viele Grüße Daniele

Morgana LaGoth: Mail-Adresse steht oben bei "kontakt" - bei weiteren Fragen, gerne.

[30.07.20 / 12:44] Daniele1992: Guten Morgen,

vielen Dank für Deinen tollen Blog. Ich habe ihn in den letzten Wochen komplett gelesen. Meistens konnte ich gar nicht aufhören zu lesen. Fast wie bei einem sehr spannenden Roman. Ich habe dabei Deine genauen Beobachtungen und Beschreibungen sehr genossen. Deine vielen Ausflüge in die Clubs und zu den Festivals oder Deine Streifzüge d durch die Geschäfte beschreibst Du immer aus Deiner Sicht sehr anschaulich und spannend. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, das alleine zu erleben, häufig auch mit einer gewissen Distanz. Ich kenne ich von mir sehr gut. Highlights sind Deine Reiseberichte. Deine Erlebnisse an den unterschiedlichsten Orten auf der Welt. Vielen Dank dafür. Vielen Dank auch das Du Deinen Weg zu Deinem waren Geschlecht mit uns Lesern teilst. Deinen Weg Deine Gefühle Deine zeitweisen Zweifel. Das ist sehr wertvoll auch für uns Andere, denn es ist authentisch und sehr selten. Du bist einem dadurch sehr vertraut geworden. Für mich ist eine gefühlte grosse Nähe dadurch entstanden. Umso mehr schmerzt es mich von Deinen Rückschlägen zu lesen. Von Deinem Kampf zu Deinem wahren Ich. Von Deinem Kampf umd Liebe, Zährlichkeit und Akzepzanz und Anerkenung. Von Deiem mitunter verzweifeltem Kampf nach Liebe und Anerkennung durch Deinen Exfreund. Leider vergeblich. Dein Kampf um wirtschaftliche Unabhängigkeit und Deine aktuell missliche Lage. Ich glaube dass Du nicht gescheitert bist. Du hast viel Mumm und Hardnäckigkeit bewiesen Deinen Gang zu Dir selbst zu gehen. Du hast auch einen guten Beruf der immer noch sehr gefragt ist. Vielleicht kann ja nach dieser Auszeit und etwas Abstand ein Neuanfang in einer anderen Firma, wo Du keine Vergangenheit als Mann hattest gelingen. Ich wünsche das Dir ein Neuanfang gelingt und drücke Dir ganz fest die Daumen. Daniele

Morgana LaGoth: Da liest sich tatsächlich jemand alles durch? Das ist mittlerweile schon ein kompletter Roman mit mehreren hundert Seiten! Danke dir, für deinen Kommentar (und die aufgebrachte Zeit).

[05.10.19 / 17:11] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

bin 5 T post all-in-one-FzF-OP. Deine guten Wünsche haben geholfen. Der Koch ist immernoch noch super. Alle hier sind herzlich und nehmen sich Zeit.

Herzlich

Drea

Morgana LaGoth: Dann wünsch ich dir jetzt noch viel mehr Glück bei deiner Genesung!

[14.06.19 / 12:57] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

vielen Dank für Deine offenen und kritischen Erlebnisberichte. Ich bin in 3 Monaten in Sanssouci zur FzF-OP. Ich denke auch, was kann schon schief gehen, status quo geht nicht und irgendwas besseres wird wohl resultieren. Wenn es Dich interessiert, halte ich Dich informiert. Drücke mir die Daumen.

Herzlich

Drea

Morgana LaGoth: Ich wünsche dir für deine Operation viel Glück. (Sollte der Koch nicht gewechselt haben, das Essen da in der Klinik ist richtig gut!)

[14.11.17 / 20:13] Morgana LaGoth: Nutzungsbedingungen für die Kommentarfunktion: Die Seitenbetreiberin behält sich das Recht vor, jeden Kommentar, dessen Inhalt rassistisch, sexistisch, homophob, transphob, ausländerfeindlich oder sonstwie gegen eine Minderheit beleidigend und diskriminierend ist, zu zensieren, zu kürzen, zu löschen oder gar nicht erst freizuschalten. Werbung und Spam (sofern die Seitenbetreiberin dafür nicht empfänglich ist) wird nicht toleriert. Personenbezogene Daten (Anschrift, Telefonnummer) werden vor der Veröffentlichung unkenntlich gemacht.

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