morgana81 - gothic transgender

Sternzeit irgendwas, Logbucheintragung des Captains:

[01.01.70 / 00:00] Sternzeit irgendwas, Logbucheintragung des Captains:

[30.07.23 / 22:51] Dicht an dicht, vor mir die anderen Menschen, neben mir, hinter mir. Der schwarze Block schiebt sich vorwärts, durch die Straßen von Magdeburg. Nur ein kurzes Stück in Richtung der Messehallen rüber auf die andere Seite der Elbe … dort der Bundesparteitag einer nicht näher erwähnten, neofaschistischen Partei. „Alerta, alerta, antifascista!“ Laute Sprechchöre, ununterbrochen. Pyrotechnik wird gezündet, ein Böller, mehrere Rauchbomben. Ich steige mit meinen Füßen darüber, durch den roten Qualm. Vermummung wird vereinzelt angelegt, ich setze meine tiefschwarze Sonnenbrille auf, meine grüne Regenjacke ist schon beim Start am Hauptbahnhof eingerollt in meiner schwarzen Handtasche verschwunden. Jetzt nur noch meine schwarze Lederjacke, meine schwarz-graue Jeans und meine Schnürstiefel. Den schwarzen Kapuzenpullover habe ich zu Hause gelassen, auch wenn es nieselt, die Temperaturen sind an diesem Sonnabend zu heiß.
Der Demozug bleibt auf der langen Elbbrücke stehen, die seitlichen Transparente werden als Sichtschutz hoch gehalten, die begleitenden Polizeieskorten filmen alles. Innerhalb des schwarzen Blocks der Antifa kann jetzt etwas entspannt werden, etwas Raum in diesem sicheren Platz schaffen, bevor es dann nach ein paar Minuten wieder vorwärts geht: „Nach vorne aufrücken!“ Keine Möglichkeit schaffen, den Bullen vereinzelt Personen herauszugreifen. „Siamo tutti antifascisti!“
Stunden später, ich sitze gelangweilt unter einem aufgebauten Zeltdach einer Gewerkschaft im Schatten vor der schwitzenden Sonne, die Lederjacke habe ich schon lange ausgezogen, darunter trage ich nur mein Trans-Lives-Matter T-Shirt. Die Demo hatte beim Start noch ein- oder zweitausend Menschen, jetzt den Nachmittag auf dem Platz mit der Protestkundgebung hat sich alles zerstreut. So viele sind hier nicht mehr. Ein schwarzer Block ist gar nicht mehr so richtig zu erkennen und der Parteitag mit den Nazis ist noch mehrere hundert Meter entfernt. Nett gemeint von den linken Organisatoren, hier eine Gegenveranstaltung abzuhalten, aber das werden die Rechten dahinten nie hören oder mitbekommen. Ich warte auf die andere Zubringerdemo, die hier noch ankommen soll. Ein Rave, zwei Trucks, viel Techno, die ich schon mittags zu Beginn am Bahnhof gesehen habe.
Laute Bässe, es passiert endlich was! Interessiert beobachte ich das Spiel vor mir, wie die Polizei mit mehreren Fahrzeugen die Kreuzung absperrt, bevor die zwei Trucks auftauchen und in Richtung des Versammlungsplatzes einbiegen … mit vielleicht fünfzig, oder hundert, oder zweihundert Leuten dahinter. Es werden auf jeden Fall mehr, als auch ich erkenne, dass die Demotrucks nicht hier anhalten und die Straße weiterziehen, in Richtung der Messehallen! Ich laufe schnell dazu und reihe mich ein.
Der Demozug verlässt die Hauptstraße, biegt ab in Richtung der Messeparkplätze, eine Gasse in Richtung der ersten Messehalle und bleibt stehen. Die Anlage wird aufgedreht, laute Musik. Vor uns, der tanzenden Crowd, das abgesperrte Gelände, hohe Zäune mit Sichtschutz. Davor haufenweise Bereitschaftspolizei in dicker Montur, dahinter die Messehalle und die ganzen blau-weiß-roten Fahnen dieser Partei im Wind. Eine bizarre Atmosphäre. Diese Fahnen erinnern nicht ganz zufällig an die Beflaggung in ganz Deutschland vor achtzig oder neunzig Jahren. Sie versuchen es nicht einmal mehr, es zu leugnen, dass sie Nazis sind!
Die Lage ist ernst, so entspannt und frei kann ich an diesem späten Nachmittag und an diesem Ort nicht mehr tanzen. Immer wieder ist da diese Vorahnung, wenn die wirklich mal an die Macht kommen – und das wird, ich hoffe, niemals passieren – dann haben wir hier auch Zustände wie jetzt in Russland und jetzt in einigen Bundesstaaten in den USA. Alles, was trans ist, wird systematisch ausradiert und kriminalisiert. Namens- und Personenstandänderungen werden rückgängig gemacht (das passiert in Russland!) und nicht mehr anerkannt, jede Möglichkeit, auf eine geschlechtsangleichende Operation oder eine Hormontherapie wird unterbunden oder sogar verboten. Gesellschaftlich wirst du als trans Frau wieder auf einen Mann zurückgestuft, egal, wie weit du schon transitioniert bist – und hast im besten Fall noch Glück, wenn du von einem wütenden, parteifreundlichen Mob nicht gleich auf offener Straße totgeprügelt wirst. Auch das hatten wir hier in Deutschland schon, 1933 – die Erstürmung des Instituts von Magnus Hirschfeld in Berlin und die erschreckende Erkenntnis, dass seine trans Mitarbeiterinnen nach diesem dunklen Tag nie wieder gesehen wurden. Und die da hinten, in der zweiten Messehalle direkt hinter der ersten vor uns, sind mit ihrem Hass nicht weiter weg. In der Geschichte der Menschheit ist das in etwa so nah, wie gestern.
Ich hoffe, sie hören uns, der dumpfe Krach von irgendwo weiter weg, als belustigende Randnotiz dieser alten Herren, voller rassistischer und alles-möglicher-phoben Scheiße in ihren Köpfen. Gewählt werden sie trotzdem. Mir bleibt nichts anderes übrig, als für den Tag, wenn das Undenkbare passiert, einen Plan zur Flucht ins Exil umzusetzen. Es wird immer schwerer, noch ein europäisches Land zu finden, das nicht komplett einer faschistischen Ideologie erliegt.
Die kleine Demo zieht ab, die beiden Trucks setzen zurück. Die bis jetzt noch friedlichen Teilnehmer drehen sich auch um in Richtung der Musik. Ein Tumult entsteht, die Situation scheint zu kippen. Was ist passiert? Ich sehe es nicht genau, ein Demoteilnehmer wurde von der blau-schwarz uniformierten Schutzstaffel festgesetzt und mitgenommen? Eine aufgebrachte Menschentraube bildet sich. Der Veranstalter der Demo versucht über das Megaphone zu eskalieren. Ich drehe mich mehrmals hin und her, ich weiß nicht, was ich machen soll. Setze ich mich jetzt hier einfach hin? Auf das Kopfsteinpflaster? So als gewaltloser Protest? Ich sehe die Menschen vor mir – es hat keinen Sinn, mit den Polizisten zu diskutieren, die sind psychologisch geschult, alles zu blocken! Ich erinnere mich an den Moment, als ich auch mal von denen mitgenommen wurde. „Ach, Scheiße!“ Ich drehe mich beschämt mit gesenkten Kopf um und ziehe auch ab. „No one left behind.“ Ein Versprechen, das ich nicht halten konnte … dafür das Versprechen meiner Eltern den Morgen gegenüber, dass ich mich nicht verhaften lasse.
Die Demo kehrt zurück auf den Kundgebungsplatz mit der kleinen, aufgebauten Bühne und der Tankstelle und den Discounter als einzige Futterquelle gegenüber. Es sind den Abend noch weniger Menschen da, als noch zu dem Höchstpunkt am frühen Nachmittag. „Abmarsch“, ich bleibe auch nicht mehr länger. Zurück über die zwei Elbbrücken in Richtung Innenstadt und den Bahnhof. Den Weg zurück, den ich vor vielen Stunden noch entgegengesetzt gelaufen bin, inmitten der von überall angereisten, antifaschistischen Demoteilnehmer, seitlich flankiert von unzähligen Hundertschaften der Bereitschaftspolizei. Jetzt den Abend ziehen nur noch vereinzelt ein paar Einsatzfahrzeuge an mir vorbei. Eine ziemlich düstere Stimmung, dass die Sonne jetzt scheint, nach diesem sehr wechselhaften Tag, ändert daran nichts. Auch nicht die Pasta bei meinem Italiener den späten Abend im Außentisch vor der Shopping-Mall mit den vielen jungen Leuten, denen dieses (eigentlich ernste) Thema wahrscheinlich am Arsch vorbei geht. Manchmal werde ich noch wegen meines auffälligen T-Shirts mit der hellblau-weiß-rosaroten Flagge angestarrt. „Trans Lives Matter.“

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Kommentar:

[05.12.22 / 17:34] Daniele1992: Hallo Morgana

Mail ist heute rausgegangen

LG Daniele

[13.11.22 / 09:33] Daniele1992: Hallo Morgana

aktuell keine schöne Situation. Ich schreibe Dir noch eine Mail dazu.

LG Daniele

Morgana LaGoth: Einige Kommentare müssen auch nicht allzu öffentlich sein …

[13.05.22 / 09:15] Daniele1992: Hallo Morgana,

Tolle Reisebericht von Deiner neusten Reise nach Paris. Macht grosse Lust auch wieder dort hinzufahren um sich von der Stadt inspirieren zu lassen.

Tolle Neuigkeiten.NeuerJob. Klasse! Freue mich für Dich.

Liebe Grüße
Daniele

Morgana LaGoth: Danke. Endlich wieder verreisen … lange darauf gewartet. Lebendig bleiben, solange es noch geht.

[24.12.21 / 20:55] Daniele1992: Hallo Morgana,

Ich denke an Dich und wünsche Dir frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr 2022.

Liebe Grüße
Daniele

Morgana LaGoth: Vielen Dank, ich wünsche dir ebenfalls ein schönes, neues Jahr.

[25.09.21 / 14:59] Daniele1992: Hallo,

eine Chance etwas Neues zu machen. Neue Perspektiven. Urlaubsträume, die bald real werden können. Nicht so schlecht. Freue mich für Dich. LG Daniele.

Morgana LaGoth: Danke dir.

[11.11.20 / 09:12] Daniele1992: Hallo Morgana

Ich habe Dir eine Mail geschickt.

Lg
Daniele

Morgana LaGoth: Hey ... vom Lenkrad aus mit der Hand winken, von einem MX-5 zum anderen. *freu*

[30.07.20 / 22:03] Daniele1992: Guten Abend

das habe ich sehr gerne gemacht. Zum Einen interessiert mich das Thema und zum Anderen hast Du wirklich sehr lebendig und spannend geschrieben. Da wollte ich Alles lesen und wollte Dir schreiben, das mir Dein Blog besonders gut gefallen hat (Die eigentliche Arbeit hattest Du ja mit dem Verfassen des Blogs). Wenn Du magst können wir den Kontakt gerne per Mail halten. Viele Grüße Daniele

Morgana LaGoth: Mail-Adresse steht oben bei "kontakt" - bei weiteren Fragen, gerne.

[30.07.20 / 12:44] Daniele1992: Guten Morgen,
vielen Dank für Deinen tollen Blog. Ich habe ihn in den letzten Wochen komplett gelesen. Meistens konnte ich gar nicht aufhören zu lesen. Fast wie bei einem sehr spannenden Roman. Ich habe dabei Deine genauen Beobachtungen und Beschreibungen sehr genossen. Deine vielen Ausflüge in die Clubs und zu den Festivals oder Deine Streifzüge d durch die Geschäfte beschreibst Du immer aus Deiner Sicht sehr anschaulich und spannend. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, das alleine zu erleben, häufig auch mit einer gewissen Distanz. Ich kenne ich von mir sehr gut. Highlights sind Deine Reiseberichte. Deine Erlebnisse an den unterschiedlichsten Orten auf der Welt. Vielen Dank dafür. Vielen Dank auch das Du Deinen Weg zu Deinem waren Geschlecht mit uns Lesern teilst. Deinen Weg Deine Gefühle Deine zeitweisen Zweifel. Das ist sehr wertvoll auch für uns Andere, denn es ist authentisch und sehr selten. Du bist einem dadurch sehr vertraut geworden. Für mich ist eine gefühlte grosse Nähe dadurch entstanden. Umso mehr schmerzt es mich von Deinen Rückschlägen zu lesen. Von Deinem Kampf zu Deinem wahren Ich. Von Deinem Kampf umd Liebe, Zährlichkeit und Akzepzanz und Anerkenung. Von Deiem mitunter verzweifeltem Kampf nach Liebe und Anerkennung durch Deinen Exfreund. Leider vergeblich. Dein Kampf um wirtschaftliche Unabhängigkeit und Deine aktuell missliche Lage. Ich glaube dass Du nicht gescheitert bist. Du hast viel Mumm und Hardnäckigkeit bewiesen Deinen Gang zu Dir selbst zu gehen. Du hast auch einen guten Beruf der immer noch sehr gefragt ist. Vielleicht kann ja nach dieser Auszeit und etwas Abstand ein Neuanfang in einer anderen Firma, wo Du keine Vergangenheit als Mann hattest gelingen. Ich wünsche das Dir ein Neuanfang gelingt und drücke Dir ganz fest die Daumen. Daniele

Morgana LaGoth: Da liest sich tatsächlich jemand alles durch? Das ist mittlerweile schon ein kompletter Roman mit mehreren hundert Seiten! Danke dir, für deinen Kommentar (und die aufgebrachte Zeit).

[05.10.19 / 17:11] Drea Doria: Meine liebe Morgana,
bin 5 T post all-in-one-FzF-OP. Deine guten Wünsche haben geholfen. Der Koch ist immernoch noch super. Alle hier sind herzlich und nehmen sich Zeit.
Herzlich
Drea

Morgana LaGoth: Dann wünsch ich dir jetzt noch viel mehr Glück bei deiner Genesung!

[14.06.19 / 12:57] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

vielen Dank für Deine offenen und kritischen Erlebnisberichte. Ich bin in 3 Monaten in Sanssouci zur FzF-OP. Ich denke auch, was kann schon schief gehen, status quo geht nicht und irgendwas besseres wird wohl resultieren. Wenn es Dich interessiert, halte ich Dich informiert. Drücke mir die Daumen.
Herzlich
Drea

Morgana LaGoth: Ich wünsche dir für deine Operation viel Glück. (Sollte der Koch nicht gewechselt haben, das Essen da in der Klinik ist richtig gut!)

[14.11.17 / 20:13] Morgana LaGoth: Nutzungsbedingungen für die Kommentarfunktion: Die Seitenbetreiberin behält sich das Recht vor, jeden Kommentar, dessen Inhalt rassistisch, sexistisch, homophob, transphob, ausländerfeindlich oder sonstwie gegen eine Minderheit beleidigend und diskriminierend ist, zu zensieren, zu kürzen, zu löschen oder gar nicht erst freizuschalten. Werbung und Spam (sofern die Seitenbetreiberin dafür nicht empfänglich ist) wird nicht toleriert. Personenbezogene Daten (Anschrift, Telefonnummer) werden vor der Veröffentlichung unkenntlich gemacht.

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