[01.09.22 / 19:30] ✎ „Der Mann aus Zimmer XXX hat seine Schlüsselkarte nicht mitgenommen“, kurz nach sechs Uhr stehe ich wieder angezogen in Jeans und Tunika, mit meiner Lederjacke und meiner Handtasche an der Rezeption.
„Sie wollen abreisen? Wie ist ihr Name?“, der Hotelmitarbeiter schaut in das Buchungssystem.
„Mein Name steht da nicht“, ich überlege erst noch, wie ich in meiner Rolle als Escort-Girl eine amüsante Spitze loswerde und darauf hoffe, dass „mein Klient“ wenigstens das Zimmer bezahlt hat, aber dafür mich nicht, als sich alles schon auflöst. Er hat wirklich die Kosten für das Zimmer übernommen. Wenn er zurückkehrt, muss er an der Rezeption nach der Karte fragen, sie ist dort hinterlegt.
Die paar Schritte den kühlen Montag Morgen zur Straßenbahnhaltestelle am Baumarkt, den fernen Stadtrand. Andere Leute gehen jetzt zur Arbeit, ich komme von da. Mit aller Anmut einer Dame des anrüchigen Gewerbes schreite ich dahin.
Zurück am Leipziger Hauptbahnhof, die Zeit bis zur Abfahrt auf dem Gleis gegenüber reicht gerade noch so für einen doppelten Espresso im Pappbecher und ein Schokobrötchen in der Tüte. Wenn ich wieder in Magdeburg bin, nehme ich ein zweites Frühstück, dann aber eine Porzellantasse. Der Pendlerzug ist ebenso voll wie alle Züge des Wochenendes und sowieso der letzten drei Monate für das Aktionsticket, das, so wie ich, anscheinend sehr viele Menschen ausgiebig genutzt haben. Im Zug versuche ich etwas weiter zu schlafen, die große Sonnenbrille schützt meine Augen vor der durch die dichte dunkelgrau-blaue Wolkendecke immer wieder durchstechenden Morgensonne. So viele Punk- und Gothic-Konzerte, die ich mit dem Zug noch vor vielen Jahren quer durch Deutschland bereist habe.
Magdeburg Hauptbahnhof, den Reißverschluss der Punkerkutte halb geöffnet, den nächsten Bäcker in dem Food-Court des gegenüberliegenden Shoppingcenters angepeilt, wenigstens da drinnen sollte ich mal meine Sonnenbrille abnehmen.
Komische Menschen, gehen zur Arbeit, an dem Stehtisch mit zwei viel zu niedrigen Barhockern, die anderen beobachtend, schlürfe ich meinen zweiten Espresso und esse ein weiteres Schokocroissant … oder war es umgekehrt? Wenige Meter weiter, die Rolltreppe runter, verschwinde ich wieder auf der Damentoilette, das Wasserlassen brennt. Zurück am Waschbecken zum Händewaschen mache ich mich frisch, Zähneputzen und die langen, blonden Haare kämmen. Blick in den Spiegel. Ich habe gleich noch meinen 9:30 Uhr Termin bei meiner Frauenärztin. Ihm habe ich die Nacht vorher noch erzählt, dass alles was er da unten kaputt macht, morgen die Ärztin sehen wird. „My pussy's a wounded soldier.“ Endlich kann ich dieses Zitat anwenden.
Wenig später in dem Untersuchungszimmer der Praxis auf dem Gyno-Stuhl, tastet sie alles ab, die Haut ist tatsächlich an der oberen Seite, nahe der Klitoris, leicht eingerissen, die Spuren der Nacht. Auf ihren ärztlichen Rat sollte ich vielleicht davon Abstand nehmen, mir da alles von den Männern, unter extremsten Schmerzen reindrücken zu lassen. Die kleine Hautfalte ist dafür einfach nicht ausgelegt. Sie tastet auch meine Brüste ab, ich nehme seit Januar schrittweise mehr Hormone, es fällt auf, ich passe wieder in mein A-Körbchen. Eine Brustvergrößerung mit Implantaten lehne ich weiterhin entschieden ab! Sie sind genauso schön, wie sie sind (nur leider zu selten beachtet).
Selbstbewusst zurück zum Bahnhof und weiter in mein heimatliches Provinzkaff. Dort angekommen in meinem Badezimmer (und nach einer Dusche) bedecke ich meine Vulva und alles was in ihr drin ist, mit einer umfassenden, weißlich-gelben Schicht an pflegender und beruhigender Wundsalbe für sehr empfindsame Hautpartien. Sie sieht niedlich aus, die kleine Ritze, so weiß eingecremt.
Mein „Freund-Ex-Freund“ wird sich nicht weiter bei mir melden, eine Nachricht von mir an ihn, ich danke dir so sehr, dass du mir wieder die Angst vor dem Sex genommen hast. So viel Zeit ist vergangen, zweieinhalb oder drei Jahre – ich glaubte mich wieder in meiner zweiten asexuellen Phase – und doch bin ich wieder wie vorher, abenteuerbegierig mit der Lust auf neue Männerbekanntschaften. Die in echt, nicht die mit dem Online-Dating und den Video-Calls, die mir letztendlich gar nichts bringen (und bei denen nie etwas Erwähnenswertes passiert ist). Nur das da unten … meine Frauenärztin hat es erneut angesprochen, bin ich wirklich so glücklich damit? Noch eine weitere Operation mit einer wesentlichen Vertiefung (oder Neukonstruktion) birgt ein immenses Risiko, nur um die Männer – nur um mich – beim Sex zu befriedigen (mir ist das mit den Schmerzen bewusst). Weiter in die noch kommenden Nächte … (Ende Teil 3/3)